Astrophysik-Praxis am Wendelstein Observatorium

  • Hallo zusammen,


    Ich möchte ein Erlebnis aus der Astrophysik teilen, genauer gesagt aus dem Astrophysik-Studium an der LMU München und an der Unisternwarte, weil es mir unglaublich viel Spaß macht und in den letzten zwei Jahren tolle Erlebnisse beschert hat. Ich hoffe ihr habt an diesem Erlebnis genauso viel Spaß wie ich!


    Am Sonntag taucht im Laufe des Tages der vage Verdacht auf, dass wir von Mittwoch auf Donnerstag wohl die letzte Chance auf eine zweite Exkursion zum Wendelstein bekommen. Unsere zwei Betreuer des Master-Praktikums, Matthias und Raphael, haben dann tatsächlich am nächsten Tag die gleichzeitig gefürchtete und erhoffte E-Mail geschrieben. Das hat für Aufregung und ein wenig Stress gesorgt, weil zwei ganze Tage im eng getakteten Uni-Treiben sehr wertvoll sind und die eben für den Ausflug draufgehen würden. Aber das war es mir wert.


    Aufgrund der Umstände der Exkursion als auch der Tatsache, dass der Mond schon gegen 20:18 aufgehen würde, habe ich den 10‘‘ Dobson diesmal nicht mitgenommen. Das Fernglas dagegen war bereits eingepackt als wir gebeten wurden unser Gepäck im Rucksack zu minimieren, weil der Aufzug im Berg nun kaputt gegangen war und wir samt Schlafsack, warmer Kleidung, Technik und kulinarischer Versorgung hochlaufen mussten. Also bin ich es schweren Herzens wieder losgeworden. Irgendwann, sage ich mir, fahre ich nur zum visuellen Beobachten mit rauf. Irgendwann.


    Wir fahren also am Mittwochnachmittag mit drei Studierenden und zwei Betreuern zum Wendelstein los. Ich bin entzückt von der geheimnisvollen Stimmung, die der blaue Nebel über dem Wald und den Berghängen liegend, erzeugt. Verwundert aber auch, woher kommt diese Farbe?









    Rechtzeitig zur letzten Geisterbahn, …ääh Seilbahn sind wir vor Ort. Die Gondel ist bis auf uns und den Fahrer leer. In der Stille und Enge des Nebels geht es hinauf, bis wir plötzlich ein Licht sehen und ein paar Berggipfel aus den Wolken spitzeln. Wow! Einen Moment schweben wir umwogt von weichen Wolken auf der Oberfläche eines unendlichen Ozeans. Die Sonne gleißt uns ins Gesicht. Es ist traumhaft!


    Niemand sagt etwas, alle genießen einfach in der Stille den zauberhaften Anblick bis die Gondel ruckelnd oben ankommt. Raphael eilt dann die 100 Höhenmeter voraus, weil die Beobachtungen für das 2m-Teleskop einem straffen Zeitplan unterliegen. Oben angekommen pausiere ich kurz und staune nochmal ausgiebig über das Wolkenmeer rundherum. Richtung Norden: NICHTS bis auf Wolken soweit man schauen kann.



    Mit diesem Eindruck im Gedächtnis geht es an die Arbeit. Wir müssen nämlich noch Flats aufnehmen für die Messung heute. Es geht um Kugelsternhaufen, speziell um M15. Die Sterne darin werden wir heute in verschiedenen Spektralbereichen photometrieren um am Ende ein Hertzsprung-Russell-Diagramm zu bekommen und das Alter von M15 zu bestimmen. Wir benutzen dazu das 43cm-Teleskop von PlaneWave. Es wird über einen der Rechner im Kontrollraum gesteuert, per Kommandozeile. Die Kommandos sind intuitiv, das hat man schnell drauf.


    Die nächsten Stunden sind wir mit dem Startup, Flat-, Bias- und Dark-Aufnahmen und dem Fokussieren beschäftigt. Die Fokusposition wird automatisch bestimmt, durch eine Reihe von Belichtungen, deren PSF ermittelt wird. Das ergibt dann eine Parabelkurve, deren Minimum als optimaler Fokus gesetzt wird. Das Seeing Richtung M15 ist nicht umwerfend, weil gerade Wind aus Süden kommt, der direkt durch den Spalt in den Dom reinbläst und Turbulenzen verursacht.


    Bevor es ganz dunkel ist hänge ich noch mehrmals aus einem der Fenster im Kontrollraum um den Dämmerungshimmel zu bestaunen (ich habe mich wohl schief aus dem Fenster gelehnt wie das obige Bild beweist). Total verrückt, wie das aussieht. So bunt, und so unterschiedlich bunt in beide Richtungen. Und der Erdschatten ist der Wahnsinn. Das hat mich schon beim letzten Mal vor zwei Wochen total umgehauen. So klar abgegrenzt. Meine begeisterte Reaktion darüber wird mit Belustigung aufgenommen.


    Vom Rest der Nacht weiß ich noch was passiert ist, kann die Ereignisse aber zeitlich nicht mehr genau sortieren. Die Messungen an M15 haben wir in allen drei Filtern relativ schnell fertig gehabt. Zu viele Bilder wollen wir auch nicht haben, wir müssen in der Auswertung nämlich die Sterne alle per Hand auswählen. Danach durften wir uns mehr zum Spaß Objekte aussuchen und aufnehmen. Wir haben den M42, NGC 891 und M1 aufgenommen. Einige andere Objekte, die wir probiert haben, waren eher ein Flop. Z.B. NGC2903. Wir haben es probiert, aber der Mond hat ganz heftiges Streulicht verursacht, war zu nah dran. Den Pacman-Nebel haben wir auch angefahren. Ein bisschen hat der Dunkelnebel sich auf den längeren Belichtungen schon gezeigt, aber die wollten mir alle nicht glauben, dass ich da was sehe, auch auf den kurzen Belichtungen. Das war schon letztes Mal so. :)


    Während die Belichtungsreihen mit Dither liefen gab es nichts am kleinen Teleskop zu tun. Wir sind mal hoch auf die Plattform gegangen und haben den Sternenhimmel bewundert, solange der Mond noch nicht aufgegangen war. Also waren nur ein paar freiäugige Beobachtungen drinnen: Andromeda ist an der üblichen Stelle geschwebt, die Plejaden waren sehr schön, M44 ging natürlich, H+Chi, M13 ging mit bloßem Auge auch. Ich habe mich auch an M33 versucht, anfangs war ich mir aber nicht sicher. Dann etwas gewartet und entspannt rumgeschaut. Meine Augen haben auch noch etwas gebraucht um sich zu adaptieren. Beim zweiten und dritten Mal habe ich sie dann indirekt aufblitzen sehen. Die Position hat auch gut mit der übereingestimmt, die ich nachher zur Sicherheit nochmal nachgeschaut habe. Ansonsten habe ich eine funkelnde Milchstraße und ein paar Sternschnuppen gesehen.


    Nachdem wir zwischendrin unten waren und die neuen Messungen gestartet haben zeigen uns Raphael und Matthias nochmal das 2m Fraunhofer Teleskop (für das gesamte Gerät ins Bild klicken). Ein ganz schönes Trumm dieses Teleskop. Sehr beeindruckend.


    Zurück im Kontrollraum: „Wake up!“ tönt es von einem der PCs für das 2m-Teleskop. Die Betreuer eilen zum Bildschirm und beschäftigen sich. „Slew ended!“, verkündet die mechanische Stimme des PlaneWave-PCs kurz darauf. Meistens bedeutet das aber nicht, dass er fast fertig mit der Messung ist, weil er nach jedem automatischen Ditherstep kräht.

    Wir stellen Raphaels Rotlicht-Lampe auf die Probe, mithilfe zweier Gratings die eigentlich zum kleinen Spektrographen des 43cm-Teleskops gehören. Die Erkenntnis: Rot ist nicht nur rot sondern hat auch einen eindeutigen grünen Anteil. Mit dem weißen Licht kann man schöne Spektren an die Decke projizieren (ins Bild klicken).




    Plötzlich ist niemand mehr beschäftigt, weil beide Teleskope Photonen vor sich hin sammeln. Wir schauen uns auf dem großen Bildschirm Zeitrafferaufnahmen und Bilder von Raphael an. Die hat er vor zwei Wochen bei der ersten Exkursion gemacht. OH! In den Aufnahmen kann man auch das Airglow sehen, das Norman in derselben Nacht auf seinen Bildern hatte, stelle ich fest. Es hat die gleiche Struktur und hauptsächlich eine rote Färbung. Cool, eine Bestätigung. Dann gibt’s noch ein paar Bilder von gierigen Dolen, die uns beim Frühstück auf der Terrasse aufgelauert haben und die Gruppenbilder bei Tag und Nacht. Matthias hat ein Video eines Sonnenuntergangs von 2018 zu zeigen. Der Feuerball geht direkt hinter einem weit entfernten Turm unter, der von der Form her Olympiaturmmäßig aussieht. Er ist der Meinung das könnte der Turm in Nördlingen sein, das kann ich aber nicht glauben. Der Kirchturm in Nördlingen schaut ganz anders aus und ist viel… nördlinger, ääh ich meine nördlicher. Irgendwie kann ich mir auch nicht vorstellen, dass man den so prominent in der Landschaft sehen könnte, da ist doch noch der Kraterrand davor und dahinter. Das muss ein hohes Ding sein, weil man außenrum nur flachen Horizont sieht. Wir rekonstruieren in welcher Richtung die Sonne zu dem Datum untergegangen ist und sind uns dann einig, dass es nicht Nördlingen sein kann. Die Richtung ist vom Wendelstein aus eher Memmingen...



    Die vernünftigste von uns drei Studentinnen ist bereits ins Bett gegangen. Wir anderen zwei wollen den Sonnenaufgang ansehen. Das habe ich mir blöderweise in den Kopf gesetzt. Auch wenn mehr Schlaf weniger Bedarf für die nächsten Tage bedeuten würde und somit mehr Zeit, die verpassten Kurse nachzuholen. Erlebnisse fürs Leben sind nicht so oft, für die Uni lernen tue ich dagegen jeden Tag. Also dösen wir noch drei Stunden am Tisch im Kontrollraum und pflanzen uns dann zum Sonnenaufgang auf die Plattform. Es ist kalt und windig, aber die Morgenstimmung ist wunderbar. Die Sonne geht hinterm Wilden Kaiser auf und taucht uns und das Liebespaar vom Wendelstein in orangenfarbenes Licht. Den spitzen Schatten des Wendelsteins kann man auf der anderen Seite auch sehen. Wir knipsen noch ein paar Bilder und gehen danach endlich ins Bett. Ich schlafe sofort ein.













    Am nächsten Morgen, also um 13 Uhr, wird in etwas Eile gefrühstückt und gepackt. Dann laufen wir geschwind den Berg hinab um noch die vorletzte Seilbahn zu erwischen. Das Wetter ist teilweise bewölkt, aber warm, weil die Sonne durchscheint. Nach einer mir kurz vorkommenden Heimfahrt im Sternwarten-Bus sind wir wieder in München. Im kalten München. Am Abend bin ich sehr müde aber sehr zufrieden und schreibe das gesamte Erlebnis trotz der Müdigkeit gleich in der Nacht noch auf. Weil ich weiß, dass ich es sonst mit allem, was die nächsten Tage für die Uni wieder ansteht, nicht machen werde.


    DAS war also ein Erlebnis der wundervollen Art, die man im Astrophysik-Studium machen kann. Der Alltag sieht aber oft auch eher so






    …aus. Viel Spaß beim Studieren!

    Marine

  • Hallo Marine,


    sehr schön, und mit viel lebendigem Drumherum ! Und von den Landschaftsbildern und dem ganzen Layout her erinnert mich das ja gleich an einen klassischen Norman-Bericht - noch verstärkt durch das wohlvertraute Bergpanorama vom Wendelstein aus :) .


    Es ist kalt und windig, aber die Morgenstimmung ist wunderbar. Die Sonne geht hinterm Wilden Kaiser auf ...

    Deine wunderbare Morgenaufnahme drückt das sehr gut aus 8) . Das Motiv erinnert mich an so einige Sonnenaufgänge am nahen Sudelfeld, die wir nach einer Geminiden-Nacht morgens im Schlafsack erleben durften. Da geht die Sonne dann noch bisserl weiter rechts am Wilden Kaiser auf, mit noch kürzerem Tagbogen Mitte Dezember.


    Servus

    Ben

  • Hallo Ben,


    Danke dir!

    Und von den Landschaftsbildern und dem ganzen Layout her erinnert mich das ja gleich an einen klassischen Norman-Bericht - noch verstärkt durch das wohlvertraute Bergpanorama vom Wendelstein aus :)

    Stimmt, durch die zeitliche und räumliche Nähe der beiden Ausflüge wirkt das sehr ähnlich.


    Genau, vom Sudelfeld sieht es fast gleich aus, das Bergpanorama. Die Sonne geht vermutlich eine ganze Zeit lang hinter dem Wilden Kaiser unter weil der so breit ist. :)


    Viele Grüße

    Marine

  • Danke Dir, Marine, für den unterhaltsamen und interessanten Bericht.

    Ich finde es grossartig, wenn man als Wissenschaftler einfach auch mal nur die Schönheit seiner Forschungsobjekte geniessen kann.


    Es ist wohl genau diese Begeisterung, die einen dann im Berufsalltag auch weniger spannende Aufgaben durchhalten lässt :beaming_face_with_smiling_eyes:


    lg matss

  • Hallo Marine,

    Genau, vom Sudelfeld sieht es fast gleich aus, das Bergpanorama. Die Sonne geht vermutlich eine ganze Zeit lang hinter dem Wilden Kaiser unter weil der so breit ist.

    Ja, und mir fallen dazu noch drei eigene Erlebnisse mit Sonnenaufgangsbildern ein:


    In 2013: http://cougar.bakonyi.de/~ben/…1312-sudelfeld/index.html

    In 2018 (2. Bericht): http://cougar.bakonyi.de/~ben/…201812-meteore/index.html


    Und in 2011 bei den Leoniden. Die sind etwas früher, und die Sonne geht entsprechend

    weiter links noch am Zahmen Kaiser auf:

    Sudelfeld-Bilder


    Servus

    Ben

  • Servus Marine,


    toller Bericht und schöne Stimmungen. Hast das harte Leben angehender Astrophysiker gut eingefangen, mit Flats, Focusreihen, Messungen und Schlafentzug. Ich wußte gar nicht, daß du bei der Truppe dabei warst, die vor mir oben war. Ihr habt die letzte schöne Herbstnacht dieses Jahres miterlebt. Mittlerweile ist es am Berg eher ungemütlich und sehr frostig geworden. Nun kommt wieder die Zeit von Schneeschaufel, Grödeln und Schneeschuhen... :rolleyes:

    Als ich am Donnerstag Nachmittag am Testzentrum beim Winklstüberl vorbei gefahren bin, wäre ich beinahe schwach geworden, weil da gerade gar nichts los war. Um mit der Bahn zu fahren, braucht man ja den Test wegen 2G+. Bin aber doch wieder, wie so oft, zu Fuß aufgestiegen und habs nicht bereut. Das war der letzte richtig trockene und angenehm warme Tag vor dem großen Wintereinbruch.

    Zitat

    Der Feuerball geht direkt hinter einem weit entfernten Turm unter, der von der Form her Olympiaturmmäßig aussieht.

    Wenn Matthias das Video etwa Juni, Anfang Juli gemacht hat, dann ist dort der Kühlturm des KKW Grundremmingen zu sehen. Die Sonne geht relativ kurz vor und nach der Sommersonnenwende genau dahinter unter. Bei so Hochnebellagen wie bis gestern konnte man die Position zudem gut an der Wolke über dem Kühlturm erkennen. Damit ist ja in 6 Wochen Schluß, wenn das Kraftwerk abgeschaltet wird.

    Als kleine Ergänzung füge ich mal eine Aufnahme vom Aufstieg am Donnerstag an, aufgenommen von der Lacheralm. Zum Zeitpunkt dieser Aufnahme habt ihr euch wohl gerade zum Abmarsch fertig gemacht:



    Gruß und CDS,


    Haley

  • Servus Marine, Ben,


    in den Wochen um die Wintersonnenwende sind die Sonnenaufgänge ein bisserl spektakulärer als sonst, weil der Kaiser so zerklüftet ist. Da hab ich auch noch ein schönes Beispiel für. Das ist am 4. Jänner 2011 entstanden. An dem Tag hat sichs doppelt gelohnt den Sonnenaufgang mitzunehmen, weil die Sonne da teilverfinstert hinterm Wilden Kaiser aufgegangen ist. Zuerst die Stimmung kurz vor Sonnenaufgang, dann noch die dicke Sichel überm Bleikogel:


     



    Gruß und CDS,


    Haley

  • Schön habt ihr's da :)

    Marine, danke für den ausführlichen Bericht. Ganz klasse! Da werden auch bei mir Erinnerungen wach: ich bin während des Studiums in Freiburg ein Semester lang jeden Freitagnachmittag mit dem Fahrrad zum Praktikum am Sonnenobservatorium auf dem Schauinsland gefahren. Da hatten wir mit dem Heliostaten im Keller eine 30 cm große Sonnenscheibe, auf der man sich mit dem Spektrographen die interessanten Stellen raussuchen konnte. Aussicht gab's auch, wenn auch nicht so spektakulär wie am Wendelstein.


    Viele Grüße, Holger

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Hallo matss,

    Es ist wohl genau diese Begeisterung, die einen dann im Berufsalltag auch weniger spannende Aufgaben durchhalten lässt :beaming_face_with_smiling_eyes:

    Danke für die nette Rückmeldung. Absolut, das trifft es sehr gut. :)


    Servus Ben,

    da sind schöne Bilder dabei, danke für die Links! Den Bericht von 2018 kannte ich sogar schon. Und der Sonnenfänger im Bericht von 2013 gefällt mir. :)


    Servus Haley,

    Danke dir! Jetzt haben wir und zum zweiten Mal verpasst, da oben. :S

    Ja da hatten wir echt nochmal Glück mit dem Wetter und der Corona-Situation. Ab nächster Woche wird bei uns an der Uni vermutlich auch alles wieder online sein, deswegen ist es toll, dass es kurz davor noch geklappt hat.

    Interessant was du zu dem Turm geschrieben hast. Wenn ich mich richtig erinnere hat Matthias das Video im August aufgenommen. Aber ich glaube der Turm war viel spitzer als ein Kühlturm :/

    Tolles Bild mit der teilverfinsterten Sonne!


    Hallo Holger,

    Da werden auch bei mir Erinnerungen wach: ich bin während des Studiums in Freiburg ein Semester lang jeden Freitagnachmittag mit dem Fahrrad zum Praktikum am Sonnenobservatorium auf dem Schauinsland gefahren. Da hatten wir mit dem Heliostaten im Keller eine 30 cm große Sonnenscheibe, auf der man sich mit dem Spektrographen die interessanten Stellen raussuchen konnte. Aussicht gab's auch, wenn auch nicht so spektakulär wie am Wendelstein.

    Cool! :star_struck: Und einen witzigen Namen hat der Berg.

    Hast du Physik/Astrophysik studiert?



    Viele Grüße

    Marine

  • Hallo Marine,


    ein sehr schoener Bericht, der Erinnerungen weckt. Das Ambiente vom Wendelstein wird von anderen deutschen Observatorien nur schwer zu erreichen sein. Eine fast 2000 Meter hohe Felsnadel im Voralpenland hat eben ihre besondere Reize.


    Im Jahr 1998 war ich als Doktorand selber mal dort. Damals noch mit dem 0.8m DFM-RC, der ja inzwischen dem 2m weichen musste. Zusammen mit einem Diplomanden und meinem Betreuer Martin Roth hatten wir planetarische Nebel mit der Monica-Kamera (die Martin als Doktorand entwickelt hatte) im Schmalband aufgenommen. Ich hatte fuer die Zeiten, wo nichts zu tun war, auch meinen kleinen 60/700er Refraktor auf parallaktischer Montierung dabei, und ich konnte ein paar nette Astrofotos machen.

    Eine Sache, die mir (zusammen mit der verstopften Abwasserleitung, aber das war wenig appetitlich) in Erinnerung blieb, war der grosse Einfluss des Sendemastes auf das CCD-Bild. Wir sahen sehr viel Moire, das sich je nach Kuppelstellung aenderte und die Datenreduktion fuer den Diplomanden nicht einfach machten. Ich hatte damals auch ein tragbares Kassettenabspielgeraet dabei, das ich beim Beobachten mit dem kleinen Refraktor draussen benutzte. Ich hoerte andauernd Stimmen, und da war niemand. Bis ich die Kassette herausnahm und auf PLAY drueckte. Durch geschicktes Drehen des Kassettenrekorders konnte ich die Nachrichten im Bayerischen Rundfunk hoeren! Die Feldstaerken waren am Wendelstein so gross, dass ich heute dank Herzschrittmacher Hausverbot haette. Hattet Ihr aehnliche Probleme mit Moire und anderen Effekten, die durch das Feld der verschiedenen Sendemasten ausgeloest wurde?

  • Servus Jürgen,


    du hast Recht, die Feldstärken kommen an einigen Stellen des Geländes in die Nähe der Grenzwerte, ich nenne den Sendemast deshalb gern mal "Störsender". Stimmen aus dem Rekorder hab ich auch schon mal erlebt, bei Benutzung einer Videokamera. Da waren dann plötzlich Nachrichten mit auf der Aufnahme. Die früheren Geräte wie das Vielkanalphotometer MCCP haben wir ganz gut mit einer Blechtonne vor der Strahlung geschützt. Für MONICA wurde das dann später auch gemacht, kann mich da noch an die ersten Experimente mit Kupferdrahtgeflecht erinnern, bis es dann auch da eine Kupfertonne gab, dank der das Problem dann einigermaßen gut im Griff war. Wegen der starken Strahlung ist ein Labor in der Station als EMV dichter Raum ausgebaut. Dort können dann auch Gerätetests ohne störenden Sendereinfluß durchgeführt werden. Die aktuellen Geräte sind alle so gut es geht EMV dicht abgeschirmt, so daß dieses Thema gut gehändelt wird.

    Ich kann mich übrigens noch erinnern, daß wir ebenfalls zusammen beobachtet haben. Der Diplomand, war das vielleicht der Gerd Gottschalk? Bin mir aber nicht sicher. Hab das als recht lustige Zeit in Erinnerung. Damals war doch auch der Hale Bopp zu sehen, vom Wendelstein aus war der teilweise gigantisch gut. Übrigens hängt im Eßzimmer der Station ein Bild, das du am 30.03.97 vom Hale Bopp gemacht hast.


    Gruß und CDS,


    Haley

  • Hey, das ist cool! An das Bild konnte ich mich gar nicht erinnern. Aber ich glaube, der Martin hat mich damals um einen Abzug gebeten. Tolle Erinnerungen. Das Bild wurde mit dem gleichen Refraktor nachgefuehrt. Wahrscheinlich 135er Tele, Blende 2.8 und Scotchchrome 400. Den Refraktor habe ich noch in meiner Werkstatt, und ab und zu wird er noch verwendet. Ich habe mit ihm 1985/6 Halley gesehen und ich will das 2061 nochmal damit machen ... danach kann mich der Teufel holen (ich werde dann 91 sein).

    Den Kometen hatte ich vom Hohen List aufgenommen (damals Bonner Universitaetssternwarte). Das war mindestens ein Jahr, bevor ich in Potsdam anfing.

    Edit: Habe Hale-Bopp mit Hyakutake verwechselt. Das Haleboppbild muss das von Ostern 1997 gewesen sein, aufgenommen von einem einsamen Acker in Dreierwalde bei Rheine. Der Diplomand war Kurt Huebner aus Berlin. Ein sehr netter Kerl, den ich erstmals auf der VdS-Tagung 1989 im damaligen West-Berlin kennenlernte.


    Ich wuerde gern mal wieder zum Wendelstein kommen, und vor ein paar Jahren bekam ich mal eine Anfrage fuer ein Weitfeld-Integralfieldunit fuer den 2m. Allerdings musste ich vorrechnen, dass ein solches Instrument mit dem gewuenschten Sampling an einem 2m-Teleskop nicht moeglich war. Das hat mich zu einigen theoretischen Ueberlegungen zu Weitfeld-IFUs veranlasst.

    Aber selbst, wenn es moeglich gewesen waere: Seit 1999 habe ich den Herzschrittmacher und damit Hausverbot. Die Feldstaerken sind zu hoch, um das zu riskieren.

  • Servus Jürgen,


    Das Bild vom Hale Bopp ist tatsächlich auf Scotchcrome 400. Ich habe den Halley 1986 von Teneriffa aus gesehen, das war meine erste Astroreise, sehr abenteuerlich mit fast schon primitivem Equipment, aber eine tolle Zeit damals. Ich befürchte, ich werds bis zur Rückkehr vom Halley nicht mehr schaffen, aber wer weiß. Die uralten Optiken mit denen ich damals Photos gemacht habe, hab ich jedenfalls noch.

    Gut, daß meine Erinnerung mal richtig gestellt wurde, vermutlich ists die Verknüpfung mit Berlin, die mich auf Gerd brachte. Ich war ja mal auf der WFS, lustigerweise war das auch 1989, ca 6 Wochen bevor die Mauer fiel. Damals kamen Uli, der mich damals begleitet hat und ich noch in den Genuß des vollen Transitprogramms auf der Fahrt durch die DDR.

    Es ist natürlich schade mit dem Schrittmacher. Da wird unser Berg schon zum gefährlichen Pflaster. So ein Treffen wäre sicher sehr nett. Den Martin Roth habe ich jetzt auch schon sehr lange nicht mehr gesehen, die Jahre der Zusammenarbeit mit ihm waren aber richtig intensiv. Der ist ja jetzt in Potsdam schon seit vielen Jahren Professor.


    Gruß und CDS,


    Haley

  • Hi Haley,

    warst Du also auch auf der VdS-Tagung 1989? Ich war da auch - der Mensch mit dem Vakuumspiegelteleskop, das nie funktionierte. Den Hale-Bopp habe ich uebrigens 1997 von einem Acker aus aufgenommen, oben korrigiert.


    Ich schicke Dir mal eine PN zum Weiterplaudern.

  • Cool! :star_struck: Und einen witzigen Namen hat der Berg.

    Hast du Physik/Astrophysik studiert?

    Hallo Marine,


    Ich hab Physik studiert. An Astrophysik gab's nur zwei Vorlesungen und das Praktikum, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. In Freiburg machen das die Sonnenphysiker vom Kiepenheuer-Institut. Ist aber auch schon 20 Jahre her mittlerweile...


    Gruß, Holger

    :milky_way: 10" f/5 Newton-Bino :comet: 120mm f/5 Achromaten-Bino :hammer_and_wrench: 8" f/8 Jones-Schiefspiegler-Bino

  • Hallo Marine,


    jetzt melden sich hier fast alle aus dem Astrotreff, die mal Physik studiert haben. :)


    Danke für den toll geschriebenen Beitrag! Praktikumsberichte lesen sich ja selten derart spannend!

    Und die Aussicht von da oben auf die Nebelfelder, das sieht ja wirklich aus wie Inseln, die aus dem Wasser ragen.


    Das 2 Meter Teleskop sieht gigantisch aus! Schade, dass sowas nicht visuell genutzt werden kann. 2 m Öffnung als Dobson-Teleskop wäre toll. :)


    Der Alltag sieht aber oft auch eher so

    …aus. Viel Spaß beim Studieren!

    Marine

    Bin total froh, sowas nicht mehr zu brauchen. ;)



    Clear skies


    Robin

  • Hallo Jürgen,


    danke dir! Ja das ist schon ein besonderer Ort da oben. Und ein außergewöhnlicher Arbeitsplatz.


    Es ist schön andere Erfahrungen vom Wendelstein zu hören! Die meisten Doktoranden oder Postdocs, mit denen ich momentan an der Unisternwarte zu tun habe, haben das 0.8m Teleskop gar nicht mehr miterlebt. :)


    Stimmen aus einem Rekorder haben wir nicht gehört, dafür die Stimme die einen zum aufwachen auffordert. ^^

    Ich glaube das Feld des Sendemastes hat unsere Messungen zumindest nicht so stark beeinflusst dass man es gleich auf den Bildern gesehen hätte. Vielleicht fällt uns später in der Datenauswertung etwas auf, aber vorort gab es kein Moiré oder andere sichtbare Probleme damit. Kann es sein, dass der Dom die Strahlung auch abschirmt? Wir haben hauptsächlich in die entgegengesetzte Richtung geschaut mit dem 43cm Teleskop.


    Aah und das Bild von Hale Bopp im Esszimmer ist mir beide Male wo wir oben waren aufgefallen! Witziger Zufall, dass es von dir ist.


    ...und Hallo Holger,


    Ah ist ja schön, dass sie sowas anbieten, ich glaube das Studentenpraktikum gibts auch immer noch. Eine Freundin, die in Freiburg studiert hat mal was erzählt.


    Viele Grüße

    Marine

  • Hallo Robin,


    Danke, freut mich wenn er gern gelesen wird!

    Das war die leicht verdauliche Version des Praktikumsberichtes. ;) Ich möchte gar nicht wissen, wie viel Arbeit die Betreuer manchmal beim Korrigieren haben, unser Rekord für einen Versuchs-Bericht waren ca. 80 Seiten in LaTeX zu einem Versuch, der insgesamt 9 Stunden gedauert hat. Ich meld mich dann nochmal mit unserem Endergebnis für M15.


    Und ja 2m Öffnung visuell wäre natürlich gigantisch! :)


    Schöne Grüße

    Marine

  • Hallo Jürgen,


    Danke dir!

    Als einmaliges Erlebnis kann der Mittwochabend nicht mithalten. Aber ich schätze den Mittwochabend auf der Volkssternwarte als wiederkehrendes Erlebnis sehr! ;)


    Schöne Grüße

    Marine

  • Hallo Marine,


    Ich muss mich auch mal zu Wort melden :) Lieben Dank für den lebendigen Bericht! Da warst du zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hast eine bombastische Stimmung eingefangen! Erinnert mich an meinen ersten La Palma Aufenthalt 2010, als wir vor dem Passatwolken auf die Cumbre geflüchtet sind und bald das Wolkenmeer unter uns hatten....


    Toll, dass ihr zwischen den Messungen noch etwas Zeit zum Kucken und Staunen gefunden habt! 😀


    Was ist das eigentlich für ein "Alltagsprotokoll" mit dem ganzen Gammas?


    Viele Grüße,

    Stefan

  • Achso, zu 2m + Öffnung fällt mir der Ami ein, der einen militärischen 100" günstig erstanden hat und seither visuell nutzt. Leider komme ich gerade nicht auf den Namen....

    Hallo Stefan,


    das da?

    Utah truckdriver builds worlds largest amateur telescope
    A Utah man has created what may be the largest amateur telescope on record -- a device that enables users to view constellations visible only through the…
    www.dailymail.co.uk


    Das hätte ursprünglich nach unten schauen sollen statt nach oben. :)


    Clear skies


    Robin

  • Hallo Stefan!


    Es war mir eine Freude. :)

    Stimmt, auf La Palma können die Wolken ähnlich ozeanisch aussehen.


    Das sind Christoffel-Symbole. Braucht man in der Allgemeinen Relativitätstheorie um die Einsteingleichungen hinzuschreiben. Sorgt für eine ziemliche Index-Schlacht.;)


    Viele Grüße

    Marine

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