Hallo zusammen,
Ich möchte ein Erlebnis aus der Astrophysik teilen, genauer gesagt aus dem Astrophysik-Studium an der LMU München und an der Unisternwarte, weil es mir unglaublich viel Spaß macht und in den letzten zwei Jahren tolle Erlebnisse beschert hat. Ich hoffe ihr habt an diesem Erlebnis genauso viel Spaß wie ich!
Am Sonntag taucht im Laufe des Tages der vage Verdacht auf, dass wir von Mittwoch auf Donnerstag wohl die letzte Chance auf eine zweite Exkursion zum Wendelstein bekommen. Unsere zwei Betreuer des Master-Praktikums, Matthias und Raphael, haben dann tatsächlich am nächsten Tag die gleichzeitig gefürchtete und erhoffte E-Mail geschrieben. Das hat für Aufregung und ein wenig Stress gesorgt, weil zwei ganze Tage im eng getakteten Uni-Treiben sehr wertvoll sind und die eben für den Ausflug draufgehen würden. Aber das war es mir wert.
Aufgrund der Umstände der Exkursion als auch der Tatsache, dass der Mond schon gegen 20:18 aufgehen würde, habe ich den 10‘‘ Dobson diesmal nicht mitgenommen. Das Fernglas dagegen war bereits eingepackt als wir gebeten wurden unser Gepäck im Rucksack zu minimieren, weil der Aufzug im Berg nun kaputt gegangen war und wir samt Schlafsack, warmer Kleidung, Technik und kulinarischer Versorgung hochlaufen mussten. Also bin ich es schweren Herzens wieder losgeworden. Irgendwann, sage ich mir, fahre ich nur zum visuellen Beobachten mit rauf. Irgendwann.
Wir fahren also am Mittwochnachmittag mit drei Studierenden und zwei Betreuern zum Wendelstein los. Ich bin entzückt von der geheimnisvollen Stimmung, die der blaue Nebel über dem Wald und den Berghängen liegend, erzeugt. Verwundert aber auch, woher kommt diese Farbe?
Rechtzeitig zur letzten Geisterbahn, …ääh Seilbahn sind wir vor Ort. Die Gondel ist bis auf uns und den Fahrer leer. In der Stille und Enge des Nebels geht es hinauf, bis wir plötzlich ein Licht sehen und ein paar Berggipfel aus den Wolken spitzeln. Wow! Einen Moment schweben wir umwogt von weichen Wolken auf der Oberfläche eines unendlichen Ozeans. Die Sonne gleißt uns ins Gesicht. Es ist traumhaft!
Niemand sagt etwas, alle genießen einfach in der Stille den zauberhaften Anblick bis die Gondel ruckelnd oben ankommt. Raphael eilt dann die 100 Höhenmeter voraus, weil die Beobachtungen für das 2m-Teleskop einem straffen Zeitplan unterliegen. Oben angekommen pausiere ich kurz und staune nochmal ausgiebig über das Wolkenmeer rundherum. Richtung Norden: NICHTS bis auf Wolken soweit man schauen kann.
Mit diesem Eindruck im Gedächtnis geht es an die Arbeit. Wir müssen nämlich noch Flats aufnehmen für die Messung heute. Es geht um Kugelsternhaufen, speziell um M15. Die Sterne darin werden wir heute in verschiedenen Spektralbereichen photometrieren um am Ende ein Hertzsprung-Russell-Diagramm zu bekommen und das Alter von M15 zu bestimmen. Wir benutzen dazu das 43cm-Teleskop von PlaneWave. Es wird über einen der Rechner im Kontrollraum gesteuert, per Kommandozeile. Die Kommandos sind intuitiv, das hat man schnell drauf.
Die nächsten Stunden sind wir mit dem Startup, Flat-, Bias- und Dark-Aufnahmen und dem Fokussieren beschäftigt. Die Fokusposition wird automatisch bestimmt, durch eine Reihe von Belichtungen, deren PSF ermittelt wird. Das ergibt dann eine Parabelkurve, deren Minimum als optimaler Fokus gesetzt wird. Das Seeing Richtung M15 ist nicht umwerfend, weil gerade Wind aus Süden kommt, der direkt durch den Spalt in den Dom reinbläst und Turbulenzen verursacht.
Bevor es ganz dunkel ist hänge ich noch mehrmals aus einem der Fenster im Kontrollraum um den Dämmerungshimmel zu bestaunen (ich habe mich wohl schief aus dem Fenster gelehnt wie das obige Bild beweist). Total verrückt, wie das aussieht. So bunt, und so unterschiedlich bunt in beide Richtungen. Und der Erdschatten ist der Wahnsinn. Das hat mich schon beim letzten Mal vor zwei Wochen total umgehauen. So klar abgegrenzt. Meine begeisterte Reaktion darüber wird mit Belustigung aufgenommen.
Vom Rest der Nacht weiß ich noch was passiert ist, kann die Ereignisse aber zeitlich nicht mehr genau sortieren. Die Messungen an M15 haben wir in allen drei Filtern relativ schnell fertig gehabt. Zu viele Bilder wollen wir auch nicht haben, wir müssen in der Auswertung nämlich die Sterne alle per Hand auswählen. Danach durften wir uns mehr zum Spaß Objekte aussuchen und aufnehmen. Wir haben den M42, NGC 891 und M1 aufgenommen. Einige andere Objekte, die wir probiert haben, waren eher ein Flop. Z.B. NGC2903. Wir haben es probiert, aber der Mond hat ganz heftiges Streulicht verursacht, war zu nah dran. Den Pacman-Nebel haben wir auch angefahren. Ein bisschen hat der Dunkelnebel sich auf den längeren Belichtungen schon gezeigt, aber die wollten mir alle nicht glauben, dass ich da was sehe, auch auf den kurzen Belichtungen. Das war schon letztes Mal so.
Während die Belichtungsreihen mit Dither liefen gab es nichts am kleinen Teleskop zu tun. Wir sind mal hoch auf die Plattform gegangen und haben den Sternenhimmel bewundert, solange der Mond noch nicht aufgegangen war. Also waren nur ein paar freiäugige Beobachtungen drinnen: Andromeda ist an der üblichen Stelle geschwebt, die Plejaden waren sehr schön, M44 ging natürlich, H+Chi, M13 ging mit bloßem Auge auch. Ich habe mich auch an M33 versucht, anfangs war ich mir aber nicht sicher. Dann etwas gewartet und entspannt rumgeschaut. Meine Augen haben auch noch etwas gebraucht um sich zu adaptieren. Beim zweiten und dritten Mal habe ich sie dann indirekt aufblitzen sehen. Die Position hat auch gut mit der übereingestimmt, die ich nachher zur Sicherheit nochmal nachgeschaut habe. Ansonsten habe ich eine funkelnde Milchstraße und ein paar Sternschnuppen gesehen.
Nachdem wir zwischendrin unten waren und die neuen Messungen gestartet haben zeigen uns Raphael und Matthias nochmal das 2m Fraunhofer Teleskop (für das gesamte Gerät ins Bild klicken). Ein ganz schönes Trumm dieses Teleskop. Sehr beeindruckend.
Zurück im Kontrollraum: „Wake up!“ tönt es von einem der PCs für das 2m-Teleskop. Die Betreuer eilen zum Bildschirm und beschäftigen sich. „Slew ended!“, verkündet die mechanische Stimme des PlaneWave-PCs kurz darauf. Meistens bedeutet das aber nicht, dass er fast fertig mit der Messung ist, weil er nach jedem automatischen Ditherstep kräht.
Wir stellen Raphaels Rotlicht-Lampe auf die Probe, mithilfe zweier Gratings die eigentlich zum kleinen Spektrographen des 43cm-Teleskops gehören. Die Erkenntnis: Rot ist nicht nur rot sondern hat auch einen eindeutigen grünen Anteil. Mit dem weißen Licht kann man schöne Spektren an die Decke projizieren (ins Bild klicken).
Plötzlich ist niemand mehr beschäftigt, weil beide Teleskope Photonen vor sich hin sammeln. Wir schauen uns auf dem großen Bildschirm Zeitrafferaufnahmen und Bilder von Raphael an. Die hat er vor zwei Wochen bei der ersten Exkursion gemacht. OH! In den Aufnahmen kann man auch das Airglow sehen, das Norman in derselben Nacht auf seinen Bildern hatte, stelle ich fest. Es hat die gleiche Struktur und hauptsächlich eine rote Färbung. Cool, eine Bestätigung. Dann gibt’s noch ein paar Bilder von gierigen Dolen, die uns beim Frühstück auf der Terrasse aufgelauert haben und die Gruppenbilder bei Tag und Nacht. Matthias hat ein Video eines Sonnenuntergangs von 2018 zu zeigen. Der Feuerball geht direkt hinter einem weit entfernten Turm unter, der von der Form her Olympiaturmmäßig aussieht. Er ist der Meinung das könnte der Turm in Nördlingen sein, das kann ich aber nicht glauben. Der Kirchturm in Nördlingen schaut ganz anders aus und ist viel… nördlinger, ääh ich meine nördlicher. Irgendwie kann ich mir auch nicht vorstellen, dass man den so prominent in der Landschaft sehen könnte, da ist doch noch der Kraterrand davor und dahinter. Das muss ein hohes Ding sein, weil man außenrum nur flachen Horizont sieht. Wir rekonstruieren in welcher Richtung die Sonne zu dem Datum untergegangen ist und sind uns dann einig, dass es nicht Nördlingen sein kann. Die Richtung ist vom Wendelstein aus eher Memmingen...
Die vernünftigste von uns drei Studentinnen ist bereits ins Bett gegangen. Wir anderen zwei wollen den Sonnenaufgang ansehen. Das habe ich mir blöderweise in den Kopf gesetzt. Auch wenn mehr Schlaf weniger Bedarf für die nächsten Tage bedeuten würde und somit mehr Zeit, die verpassten Kurse nachzuholen. Erlebnisse fürs Leben sind nicht so oft, für die Uni lernen tue ich dagegen jeden Tag. Also dösen wir noch drei Stunden am Tisch im Kontrollraum und pflanzen uns dann zum Sonnenaufgang auf die Plattform. Es ist kalt und windig, aber die Morgenstimmung ist wunderbar. Die Sonne geht hinterm Wilden Kaiser auf und taucht uns und das Liebespaar vom Wendelstein in orangenfarbenes Licht. Den spitzen Schatten des Wendelsteins kann man auf der anderen Seite auch sehen. Wir knipsen noch ein paar Bilder und gehen danach endlich ins Bett. Ich schlafe sofort ein.
Am nächsten Morgen, also um 13 Uhr, wird in etwas Eile gefrühstückt und gepackt. Dann laufen wir geschwind den Berg hinab um noch die vorletzte Seilbahn zu erwischen. Das Wetter ist teilweise bewölkt, aber warm, weil die Sonne durchscheint. Nach einer mir kurz vorkommenden Heimfahrt im Sternwarten-Bus sind wir wieder in München. Im kalten München. Am Abend bin ich sehr müde aber sehr zufrieden und schreibe das gesamte Erlebnis trotz der Müdigkeit gleich in der Nacht noch auf. Weil ich weiß, dass ich es sonst mit allem, was die nächsten Tage für die Uni wieder ansteht, nicht machen werde.
DAS war also ein Erlebnis der wundervollen Art, die man im Astrophysik-Studium machen kann. Der Alltag sieht aber oft auch eher so
…aus. Viel Spaß beim Studieren!
Marine