Beweisführung der Erddrehung durch Mondbeobachtung

  • Angeregt durch eine Bemerkung von Prof. Lesch in der Sendung Terra X am 31.10.2021 im ZDF (Keppler, Darwin, Freud), kam ich auf den Gedanken, dass Kopernikus, Galilei oder Keppler die Drehung der Erde auch durch eine genaue Beobachtung der Mondbewegung von verschiedenen Breitengraden der Erde aus hätten beweisen können.


    Ich meine Folgendes: Der Mond bewegt sich bei seinem Erdumlauf pro Minute ca. 30,5“ nach Osten (360° / 29,5 Tage / 24 Std. / 60 Min). Gleichzeitig bewegt sich ein Beobachter am Äquator durch die Erdrotation pro Minute ca. 27,8 km nach Osten (40.000 km / 24 Std. / 60 Min.). Dadurch scheint sich ein im Meridian stehender Mond durch die Parallaxenverschiebung gegenüber einem nahe westlich stehenden Stern etwas zurück zu bewegen, und zwar um ca. 15“ (tan-1(27,8 km / 380.000 km) = 0,0042°) pro Minute. Insgesamt bleibt natürlich eine östliche Bewegung des Mondes von 15,5“ (30,5“ - 15“) pro Minute. Wird die Beobachtung dagegen z. B. auf dem 70. Breitengrad vorgenommen, beträgt die Parallaxenverschiebung wegen des dort geringeren Erdumfangs nur ca. 5“ und somit die östliche Bewegung des Mondes pro Minute 25,5“ (30, 5“ - 5“).


    Heute ist das mit unseren Taschenrechnern kein Problem, aber die damaligen Astronomen waren gute Beobachter und begabte Mathematiker und m. E. auch in der Lage, diese komplizierten Berechnungen durchführen können.


    Meine Frage ist nun, ob in der Literatur etwas über diese Beweisführung zu finden ist. Mir ist nichts dergleichen bekannt.

    ioastronomie


    Anmerkung: Bei bekannter Erddrehung könnte man mit dieser Methode die Mondentfernung berechnen.

  • Auch Wissenschaftler machen sich oft nicht mehr Mühe als notwendig. Für sie damals galt natürlich der einfache Beweis: ist die Sonne der Mittelpunkt, dreht sich die Erde.

    Man muß auch an die damals sehr beschränkten Beobachtungsmöglichkeiten denken. Der erste, der überhaupt einen reellen Versuch machte eine Entfernung im Sonnensystem zu messen/berechnen, war Jeremia Horrocks, der 1639 den Venustransit beobachtete und die Winkelausdehnung der Venus in der Sonnenscheibe zu 70 Bogensekunden bestimmen konnte, was umgerechnet einem Abstand zur Sonne von ca 95 Millionen km entspricht. Sehr genau war das ja nicht.

  • Über die Mondparallaxe kann man die Drehung der Erde nicht beweisen. Die Messergebnisse wären unabhängig davon, ob die Erde (kopernikaniches Weltbild) oder die Fixsternsphäre (ptolemäisches Weltbild) rotiert.


    Im Ptolemäus' Almagest wurde übrigens die Größe der Mondsphäre schon einigermaßen richtig angegeben. Die Größe wurde aus der Mondparallaxe berechnet.


    Gruß

    Wolfgang

  • Solche Überlegungen gab es tatsächlich. Aber du wirfst da mehrere Jahrhunderte der Astronomiegeschichte in einen Topf.

    Der älteste bekannte Versuch der Bestimmung der Größe der Erde datiert aus der Antike (Schattenwurfvergleich mittags an zwei Orten unterschiedlicher Breite). Darauf aufbauend die Größe des Mondes durch Beobachtung des Schattenkrümmung der Erde auf dem Mond bei einer Mondfinsternis. Der Versuch per Winkelmessung im Dreieck Sonne, Erde, Mond war aber zu ungenau und hätte auch nur Verhältniswerte geliefert, aber noch keine absoluten Entfernungen.

    Absolute Werte gab es erst per Venustransit und dessen Parallaxevermessung.


    Die Erddrehung ist einfach, wenn man akzeptierte, dass Fixsterne fix sind und die Erde eine Eigenrotation hat. Einfach Nacht für Nacht den Meridiandurchgang eines Sternes beobachten. Wurde aber von vielen nicht akzeptiert (da drehte sich die Fixsternsphäre) ... daran hätte Deine Herangehensweise nichts geändert.


    Ins Wanken kam das geozentrische Weltbild dann, als Galileo die Monde des Jupiters identifzierte, die sich um den Jupiter und nicht um die Erde drehten. Keplers Ellipsen kamen in einer Zeit, da war die wissenschaftliche Deutungshoheit der Kirche schon im Wanken. Kepler selbst musste im 30-jährigen Krieg mehrfach umziehen. Der Wissenschaftsbegriff erfuhr - angefangen in England - eine moderne Wandlung (Gründung der Royal Society als älteste nationale Wissenschatftsgesellschaft in 1660).


    Der bekannteste direkte Beweis für die Erddrehung war dann das Foucaultsche Pendelexperiment in 1851.


    Bis dahin war unter Gelehrten allerdings das heliozentrische Weltbild schon lange akzeptiert und die Erde auch schon vermessen (siehe Geschichte der Meter-Definition als 10 Millionster Teil des 1/4 des Erdumfangs). Die astronomischen Distanzen zwischen Sonne und Planeten konnten mit dem Venustransit 1769 berechnet werden. Das mathematische Wissen via Parallaxe die Distanzen zu messen, war schon länger bekannt. James Cook fuhr deshalb extra um die halbe Welt um eine möglichst große Parallaxenbasis zu haben. Auf seiner zweiten Reise hatte er dann die erste brauchbare Uhr mit an Bord (H4 von Harrison) und testete sie für die Längengradbestimmung.

    Nun zu Deinen Überlegungen (allerdings in anderer Aufgabenstellung):

    Im Zuge der Längengradbestimmung gab es eine Phase (bevor Uhren präziser wurden), in der man die Ephemeriden (Bahndaten) des Mondes zur Zeitmessung heranzog. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Monddistanz . Das Verfahren basiert auf einen Vergleich der Sternzeit und lokalen Ortszeit, was gedanklich eine sich drehende Erde voraus setzt. Erstmalig vorgestellt von Johannes Werner 1524, erstmalig praktisch genutzt um 1763. Ohne Einbeziehung des Parallaxefehlers durch den Standort auf der Erde liefert die Methode keine vernünftigen Werte. Zwei Beobachter auf der Erde sehen den Mond ja um ein Mehrfaches seines Durchmessers vor den Fixsternen verschoben.


    Mit einem ähnlichen Verfahren versuchte man über die Stellung der Jupitermonde die Zeit zu bestimmen, scheitere zunächst, weil man noch nicht die Lichtgeschwindigkeit kannte. Man würde je nach Entfernung von Jupiter zur Erde da +/- 15 min daneben liegen. Nicht akzeptabel für die Seenavigation (1 min Fehlzeit = 60 Seemeilen am Äquator). Ole Rømer zeigte umgekehrt in 1676, dass man aus diesem Fehler die Lichtgeschwindigkeit berechnen kann. Es war Christian Huygens, der 1678 mit der Methode zum ersten Mal die Lichtgeschwindigkeit auf 212.000 km/s berechnete. Der Wert war aber noch so fehlerhaft, dass er für die Zeitbestimmung nicht ausreichte, weshalb das Verfahren in der Navigation nie Bedeutung erlangte. Als man die LG genau genug kannte, waren Uhren schon so genau, dass man das Verfahren nicht mehr brauchte. Und die Monddistanzbestimmung war ja ähnlich genau und zudem ständig durchführbar, weil anders als der Jupiter, der Mond bis um Neumond immer beobachtbar ist (Tag + Nacht), Jupiter aber monatelang am Taghimmel unsichtbar ist.

  • Mir schwebt da was.


    Mal ohne Mathematik. Mal angenommen, die Erde drehe sich nicht. Dann flitze der Mond mit einer Geschwindigkeit über den Nachthimmel. Das bedeutet aber, dass bei einem Sonnenfinsternis, der Mond mit gleicher Geschwindigkeit die Sonne überdecken und wieder verlassen müsste. Drehe sich die Erde nicht, so würde die Sonne mehrere Tage am gleichen Punkt bleiben, es verginge ein halbes Jahr, wenn es wieder Abend wird. Die Sonnenfinsternisse wären kürzer. Mittels Steinkreisen wussten sie, dass der Tag nicht dem Sonnenumlauf entspricht.


    Der Schattenwurf des Mondes auf einen Stein des Steinkreises, entspricht der Funktion


    w(h)-->a sin(b(h-c))+d


    w Schattenweite
    h Nachtstunde, oder aber auch Sternposition, oder Anzahl Sanduhrdrehungen. Die Uhr gab es ja noch nicht.


    Mit gleichperiodischer Messungen, sind nach minimal 4 Messungen die Parameter a, b, c, d herauszufinden. Je mehr periodische Messungen gemacht werden, desto genauer liessen sie die Parameter interpolieren. Gibt dann sowas. x Achse die Zeit und y Achse die Schattenweite. Der Schattenwinkel kann man ebenfalls festhalten, wenn man will.



    Nun werden im Jahr, an 4 Vollmondsnächten die Messung vorgenommen, beginnend beim Schattenwurf des Vollmondes. Dann stellt man fest, dass diese Kurve nicht nur links und rechts abgeschnitten ist, (Dämmerung Sommer / Winter). Sie ist auch seitlich hin und her gewandert. Zusätzlich kommt noch, dass die Vollmondsnächte nicht immer haargenau periodisch sind. Wie ist das zu erklären, da ja keine fremde Kräfte den Mond verschiebt? Es bleibt übrig: die Erde rotiert.


    Noch einfacher ist es, wenn man die Relativgeschwindigkeiten zur Mond und Erde noch die Sterne dazu nimmt. Aber aus der Aufgabenstellung entnehme ich, Nur mithilfe des Mondes. Die Sonne kommt aber ins Spiel, wegen der Messdatenerfassung Sommer / Winter.



    Anders bei der Sonne, erfährt die Kurve eine Stauchung, Streckung. Die höhe variiert auch. Zusätzlich bewegt sich diese Kurve, wenn man die 4 Messung übereinander hält auch in die höhe.

  • Das bedeutet aber, dass bei einem Sonnenfinsternis, der Mond mit gleicher Geschwindigkeit die Sonne überdecken und wieder verlassen müsste.

    Genau das funktioniert selbst im ptolemäischen Weltbild. So gut, dass man rund 1500 Jahre ohne Teleskop nicht das Gegenteil beweisen konnte.

    "Mal ohne Mathematik" ist immer dann blöde, wenn man da einen Knoten in seinen Überlegungen hat.

    Im geozentrischen Weltbild steht die Erde. Sonne, Mond, die Planeten und Fixsterne bewegen sich in Sphären drum herum. Das passt schon und funktioniert in jedem Planetarium heute noch. Da sitzt du auch still im Stuhl, während die Projektoren alles drehen lassen. Die Zuschauer würden ja schwindlig werden, wenn es anders wäre. Übrigens ein Argument, das sogar für das geozentrische Weltbild spricht: Wer sich dreht, dem wird schwindlig.

  • Kommt mir noch ein kleiner Nachtrag in den Sinn


    In den Nächtehimmel des südlichen Europas, aber auch Marokko und Sahararegion, ist einiges mehr zu erkennen mit blossem Auge. Die Linse wurde erst später von Newton erfunden. Wenn sie die Möglichkeiten hatten, die Jupitermonde mit blossem Auge zu erkennen, könnten ihnen mittels Steinkreise unterschiedliche Geschwindigkeiten aufgefallen sein. Spätestens dann, wenn der Jupitermond sich auf einmal rückwärts bewegt. Da steckt die Erdrotation und die Elypsebahn um die Sonne drin.


    01-28035-durrington.jpg


    Aber für so eine Beobachtung bräuchten die Steinkreise eine feinere Unterteilung. Diese Bauten findet man eher bei den nordischen Völkern. Auch müssten die Steine etwas höher sein. Hatten nicht die Römer kreisförmige, gespitzte Holzpfähle? Vielleicht gibt es da einen Entdecker, der nicht ernst genommen wurde.


    Der Satz von Pythagoras, so sagen einige Archäologen, habe nicht er erfunden. Sie fanden ein Grabstein, der 1000 Jahre vor seiner Lebzeit war. Darin war es hingekritzelt. Auch das Newtonsche Integral war eine Wiederentdeckung. Der erste, der Integrierte war Archimedes. Aber der alleinige Entdecker war er auch nicht, da Näherungswerte berechnen schon die Araber betrieben. In Alexandrien war das Weltgrösste Bibliothek, wo Archimedes regelmässig übersetzte aus Griechenland.

  • Der Übergang vom geozentrischen Weltbild zum heliozentrischen Weltbild fand sehr langsam statt. Es gab nicht das eine entscheidende Argument. Es war eher so, dass die Indizien für das heliozentrische Weltbild immer zahlreicher wurden. Die Diskussion fing schon lange vor Kopernikus an. Das heliozentrische Weltbild wurde von Aristarch von Samos im 3. Jahrhundert v. Chr. begründet. Kopernikus hat Aristarch auch ausdrücklich als Urheber genannt. Deshalb wurde Kopernikus von seinen Zeitgenossen auch gelegentlich als "der moderne Aristarch" bezeichnet. Auch im Mittelalter wurde schon diskutiert, ob es nicht einfacher wäre, die Erde als rotierend und die Fixsternsphäre als stillstehend anzusehen (z.B. Nikolaus von Oresme im 14. Jahrhundert). Schon damals war man sich bewusst, dass zwischen beiden Weltmodellen durch reine Beobachtung der Bewegungsverläufe nicht entschieden werden kann.


    Kopernikus konnte in seinem Buch 1543 kein einziges neues Argument für den Heliozentrismus vorweisen. Kopernikus' Leistung besteht ja nicht darin, das heliozentrische Weltbildes entwickelt zu haben. Seine Leistung ist, dass er für das heliozentrische Weltbild einen mathematischen Formalismus entwickelt hat, mit dessen Hilfe man die Planetenbewegungen berechnen kann. Die Methode wurde gerne als Formalismus akzeptiert. Wahrheit wurde dem heliozentrischen Weltbild 1543 aber nicht zugebilligt.


    Hauptsächliches Argument dagegen: In einer heliozentrischen Welt müsste eine Fixsternparallaxe beobachtbar sein, was aber nicht der Fall war. Daher muss im heliozentrischen Universum die Fixsternsphäre unermesslich groß sein. Auch immer präzisere Messungen bis zum Ende des 16. Jahrhunderts konnten keine Parallaxe nachweisen. Zu dieser Zeit ging Tycho Brahe von einem Sterndurchmesser von 2' aus. (Ein Experiment, das ich bei Gelegenheit mal machen werde: Mit Tychos Peilmethode den scheinbaren Durcmesser eines Sternes messen. Ich vermute, dass die 2' ganz einfach die Größe des Beugungsscheibchens auf der Netzhaut sind.) Zusammen mit dem notwendigen großen Abstand der Fixsternsphäre ergibt ein scheinbarer Sterndurchmesser von 2' einen unglaublich großen tatsächlichen Sterndurchmesser. Außerdem hat Tycho Brahe argumentiert: Warum soll denn ausgerechnet der schwere Klotz von Erde durchs Weltall rasen, während die leichten feurigen Himmelskörper, Sonne und Sterne, stillstehen?


    Witzigerweise haben die Kopernikaner im 16. Jahrhundert in Ermangelung wissenschaftlicher Argumente gerne theologisch argumentiert.


    Letztendlich kam der endgültige Durchbruch des heliozentrischen Weltbildes erst zustande, nachdem die komplette Physik erneuert wurde. Auf Grundlage der vorherigen aristotelischen Physik war es geradezu absurd von einer beweglichen Erde auszugehen. Denn Beobachtungen alleine, ohne übergeordnetes Theoriegebäude, können niemals nachweisen, dass sich die Erde bewegt.


    Gruß

    Wolfgang

  • Hi Wolfgang


    Bist aber in der Geschichte extrem bewandert! Gratulation. Ich habe mich letzthin mit der Vorzeit der Aufklärung befasst. Was Gesellschaftlich abging war nur noch grausam und absurd, dass es nur zur Aufklärung kommen musste. Es gab auch unter den sogenannten Hexen Sternkundige und Medizinerinnen. Aber wie sie ihre Versuche erklärten, muss aus heutiger Sicht es eher als experimentelle Philosophie angesehen werden. Ja wer die chronologische Geschichte im Kopf hat, kann aus dem Stehgreif gerade sagen, welche Entdeckungen, wann, plausibel waren. Einen lacher gibt es, wenn man die Geschichte der Geisteskrankheiten mal anschaut. So glaubten die Indianer bei einem Schizophrenen, dass es kontakt habe mit den Ahnen. Den erklärten sie dann zum Medizinmann. Als er dann seine Anfälle bekam, unterstützte ihn der ganze Stamm und sie begannen sich ebenfalls hysterisch zu benehmen, ums Feuer herum. So rekonstruieren die Historiker die hysterischen Volkstänze, welche einzelne Stämme heute noch so Vorführen, als seien sie "vom Affen gebissen". Anders die Katholiken. Jemand der Epilepsie hatte, packten sie an den Armen. Der Pastor kam mit seinem Kreuz und drückte es auf den Mund bei Anfällen. Dämonen austreiben. Bei Starrkrampf wussten sie sogar der Name, des Dämonen. Dass solche Glaubheiten als Hirngespinst anzusehen sind, reicht die heutige Vorstellungskraft aus, dass das Volk damals nach der Aufklärung dürstete.


    interessante Konversation. :)

  • ... und die Evangelischen?


    Tja, Luther und seine Meinung zu Hexen ... Wiedertäufern ... das Diakonische Werk hatte sogar eigene KZ's ...


    Schreib' lieber Christen, dann paßt's.


    ... und auch die Aufklärung hatte mindestens zwei sehr unterschiedliche Phasen, eine zumindest sehr moralisierende Endphase ...

  • Einen lacher gibt es, wenn man die Geschichte der Geisteskrankheiten mal anschaut. So glaubten die Indianer bei einem Schizophrenen, dass es kontakt habe mit den Ahnen.

    Man muss mit der Beurteilung - und vor allem der Verurteilung - der Vergangenheit sehr vorsichtig sein. Wenn man sich wirklich die Mühe macht und sich intensiv mit den Gegebenheiten einer bestimmten Zeit auseinandersetzt, ist plötzlich vieles nicht mehr so lächerlich, wie es auf den ersten Blick durch die moderne Brille erscheint. Ich wäre übrigens lieber ein Schizophrener bei den Indianern als ein Schizophrener im Amerika der 1950er Jahre gewesen. Nicht nur Schizophrene sondern auch verhaltensauffällige Jugendliche wurden damals zigtausendfach einer Lobotomie unterzogen. Prominentestes Opfer war Rosemary Kennedy, die Schwester von John F. Kennedy.


    Die Naturwissenschaftler haben sich einen Gründungsmythos zurechtgelegt. Nach diesem Mythos haben sich die Naturwissenschaften in einem hehren Kampf im Zeichen der Wahrheit entwickelt. Die Gegner waren reaktionäre Kräfte, die an Zauberei, Astrologie und überhaupt alles Irrationale geglaubt haben. Inbegriff dieses Gegners war die katholische Kirche. All ihre Macht hat der Kirche aber nichts geholfen. Dank Märtyrer wie Galileo Galilei und Giordano Bruno gingen die Naturwissenschaften am Ende als Sieger hervor. Soweit der Mythos. Die moderne Wissenschaftsgeschichtsschreibung hat diesen Mythos mittlerweile weitgehend zerstört. Die Wissenschaftsgeschichte ist hochgradig komplex. Interessant finde ich z.B. die Wendung, die die Geistesgeschichte zum Beginn der Neuzeit genommen hat. Der Mythos sagt, dass mit der Neuzeit Schritt für Schritt alles Irrationale, Magische zurückgedrängt wurde. In Wirklichkeit hat genau das Gegenteil stattgefunden. Die Gelehrten des Mittelalters waren vergleichsweise rational (Natürlich eine andere Rationalität als die heutige). Mit dem Fund und der Übersetzung antiker hermetischer Schriften glaubte man in der frühen Neuzeit den Schlüssel zu höchstem Wissen gefunden zu haben. Damit entstand eine sehr starke Strömung in Richtung Magie , Astrologie, Kabbala, Alchemie, Hexenglauben u.s.w. Dieser Strömung stand die katholische Kirche weitgehend ablehnend gegenüber. In der Zeit der Gegenreformation war die Kirche dann auch nicht zimperlich mit derartigen "Magiern", vor allem dann, wenn sie aus den eigenen Reihen kamen, wie z.B. Giordano Bruno.


    Man darf bei der Beurteilung der Vergangenheit nicht vergessen, dass die Menschen ja damals nicht wissen konnten, in welcher Richtung die Wahrheit zu finden sein wird. Einen Blick in die Zukunft konnte niemand werfen. Die Ironie ist: Wir könnten heute ohne weiteres einen detaillierten Blick in die Vergangenheit werfen, tun es aber nicht, weil wir lieber bei unserem bequemen Geschichtsmythos bleiben.


    Gruß

    Wolfgang

  • Wenn Du katholische Kirche und die meisten protestantischen auch, nennst, dann stimmt's immerhin teilweise. Selbst nach unseren Vorstellungen ist Galilei relativ nachsichtig behandelt worden, hatte immerhin die Chance es zu überleben. Der Bruno leider nicht. Und dann gibt's ja noch Konfessionen vorwiegend in den USA, da ist die Erde heute immernoch 6000 Jahre alt. Was war bei den Anglikanern los?


    Waren alle ziemlich böse Buben und sind's zT. heute noch, sie sind_nicht_ durch den Zeitgeist entschuldigt. *find*

    Europa war von Verbrechern regiert, egal welcher Religion ... und es gibt heute noch genug Länder mit diesem Zeitgeist.


    Gruß

    Stephan

  • Ja, stimmt nur Teilweise. Soviel ich weiss, war es die Inquisition. Die Kirche war höchstens Mittäter, der ihnen nicht im Wege stehen wollte. Luther hatte nichts gegen die Hexenverfolgung. Beteiligte sich, glaube ich, nicht aktiv. Obwohl, den Exorzismus im frühen Katolizismus zu finden ist. Sie wollten damit Teufel austreiben. Vor allem bei den Starrkrampf erkrankten, oder auch bei den Geisteskranken.


    Ja, auch ich wäre lieber bei den Indianern ein Geisteskranker, als, selbst auch heute, in der geschlossenen Psychiatrie mit Medis vollgepumpt. Aber da sind die gelehrten in Gesundheitsberufschulen sich einig. Das Problem stellt sich die heutige Gesellschaft/ Strassenverkehr... dar. Anfälle können sie sich heute nicht erlauben. Die Gesellschaften waren früher auf Dorfgrösse beschränkt. Da kannte man sich. Dem Geisteskranken verursachte das weniger Stress.

  • ... die Inquisition. Die Kirche war höchstens Mittäter ...

    Hallo ...

    ich kann und möchte nicht viel zur geführten Diskussion beitragen.


    Nur zum zitierten Satz.

    Aber wie sehr und oft die Kirche in Ihrer Geschichte " nur Mittäter " ist und war sehen

    wir zur Zeit, aktuell in der Aufarbeitung von Problem immer wieder.


    Mittäter existieren für mich nicht sie sind für mich auch Täter ...

    Gruss

    Marco

  • Natürlich. Für mich auch. Falls es einen Gläubigen hier gibt, möchte ich ihm nicht auf die Füße treten. Aber die meissten haben heute noch das Gefühl, dass das Christentum die Aufklärung ersetzt. Vorallem in parteilichen Aktivitäten. Da sage ich mir immer wieder. "Ist ja guuut". Hehe.


    Also Luther besorgte sogar die Unterschriften, für die Rechtsgültifkeit der Hexenverfolgung. Und es waren absolute Gurmee Fräulein. Also wäre ich Ritter zu dieser Zeit... Also ich meine nicht so fett wie heute... dannnn mnja.


    Wie hättest Du so eine Hexe, im Hexenturm befreit? Nachts mit Blasrohrgiftpfeile, gegen die Wachen? Schwarzpulver war erfunden. Hättest du was gesprengt?


    Ich habe mir alle Dokus zur Hexenverfolgung angesehen. Anschliessend die Hexentürme. Habe aber nicht fertig überlegt, wie ich die knusprigen Geschöpfe hier heraushole.

  • Hallo zusammen!


    Es geht mir hier nicht darum die Verfehlungen innerhalb der katholischen Kirche schönzureden. Vielmehr geht es mir um eine differenzierte Beurteilung, die den jeweiligen Zeitgeist berücksichtigt. Dante hat in seiner göttlichen Komödie (Anfang des 14. Jahrhunderts) die Korruption etlicher Päpste angeprangert und dementsprechend in der Hölle schmoren lassen. Diese Päpste wurden also auch schon von ihren Zeitgenossen nicht als feine Kerle beurteilt. Andererseits werden aber andere von Dantes Zeitgenossen in den Himmel versetzt. Einer der vielen Fehler des "Gründungsmythos Naturwissenschaft" ist, dass die katholische Kirche wie ein monolithischer Block behandelt wird. Auch wird der Grad an wissenschaftlicher - in unserem Zusammenhang vor allem astronomischer - Bildung der Theologen im Mythos völlig falsch dargestellt. Viele der hochrangigen Theologen waren wissenschaftlich auf der Höhe ihrer Zeit und konnten problemlos an entsprechenden Diskussionen teilnehmen.


    Papst Urban VIII war schon als Kardinal mit Galilei befreundet und sehr an dessen Forschungen interessiert. Liest man sich die damalige Korrespondenz durch, so erscheinen die Argumente des Papstes oft moderner als die von Galilei. Der Papst hat Galilei klargemacht, dass er gerne bereit ist, dessen Theorien auch theologisch zu prüfen, falls er entsprechende Beweise vorbringen kann. Mit anderen Worten: Falls Galilei wirklich die Bewegung der Erde beweisen kann, müssten entgegenlautende Bibelstellen von Theologen einer Neuinterpretation unterzogen werden. Ohne Beweise dürfe Galilei seine Lehren nur als reine Hypothese bezeichnen. (Würden die meisten von uns wahrscheinlich heute genauso sehen.) Galilei behauptete, dass die Gezeiten die Bewegung der Erde bewiesen. Eine Theorie, die schon aus damaliger Sicht ein völliger Witz war. Der Zensur hat er zu verdanken, dass der Titel seines Werkes von 1632 von "Dialog über die Gezeiten" in "Dialog über die zwei Weltsysteme" umbenannt wurde. Wäre die lächerliche Theorie schon, wie geplant, im Titel genannt worden, wäre es vielleicht nie zum Mythos Galilei gekommen.


    Galileis Problem war erstens, dass er starrköpfig daran festhielt, dass seine Theorie Vorrang gegenüber der Bibel haben müsse, obwohl er keinen schlüssigen Beweis vorbringen konnte. Zweitens hatte Galilei ein kleines Persönlichkeitsproblem, das darin bestand, dass er zeitlebens seine Gegner lächerlich gemacht hat und sobald sie am Boden lagen noch ein paarmal nachgetreten hat. Diese Behandlungsmethode wollte sich der Papst nicht gefallen lassen :/ :/. Drittens hatte Galilei das Problem, dass er sich mitten in der Zeit der Gegenreformation befand, in der die katholische Kirche um ihre Vorherrschaft kämpfte. Hätte Galilei von seinen drei Problemen nur eines nicht gehabt, wäre er wahrscheinlich ungeschoren davon gekommen. Das zeigen die vielen anderen Kopernikaner, die nie mit der Inquisition in Konflikt geraten sind.


    Gruß

    Wolfgang

  • Hi Wolfgang

    Das sind ja qualitativ, ein Wiki Eintrag, nach dem Andern. Bist hier absolut Fachmann. für Geschichte habe ich eine Absolute schwäche.


    Ja, das deckt sich etwa auch mit dem Tröpfchen welche ich noch weiss. Also Luther unterschrieb den Hexenhammer, während der Papst die Hexenverfolgung verurteilte. Er konnte aber nichts dagegen tun. Andere Kardinäle zogen mit der Inquisition mit und predigten über Teufelsmale (Muttermale). Schrien hinaus, wenn jemand mit dem Teufel gebuhlt habe, die Seele nur durch verbrennen gereinigt werde. Auf der sicheren Seiten fühlten sich die Frauen, als sie regelmässig für Futter für Inquisition sorgten, und unschuldige Frauen beschuldigten. Sie fühlten sich dadurch sicherer, bis sie selbst in die Fänge der Inquisition gerieten. Dann merkten sie erst ihre Ausweglose Lage. Gleichzeitig prügelten die Inquisition Weltanschauungen in die Köpfe der Bevölkerung, dass sie sich nach der Aufklärung nur noch sehnten. Weiter oben las ich aber, dass selbst die Aufklärung Historisch aufzuteilen sei.

    da entnehme ich:

    - Strömung der Empfindsamkeit

    - Sturm und Drang

    - Weimarer Klassik

    - Romantik


    Was genau charakteristisch ist, werde ich bald nachlesen.

  • Soviel ich weiss, war es die Inquisition. Die Kirche war höchstens Mittäter

    Die römische Inquisition war eine Institution der Kirche. Ein Prozess der römischen Inquisition stand direkt unter der Verantwortung des Papstes.


    Die Hexenverfolgung wurde von weltlichen Gerichten betrieben. Da die Hexenverfolgung hauptsächlich in Mitteleuropa stattfand, war die römische Inquisition daran nicht direkt beteiligt. Näheres ist hier nachzulesen. Ich meine mich daran zu erinnern, dass während der schlimmsten Zeit der Hexenverfolgung der Papst sogar zwei Gesandte nach Deutschland geschickt hat, um dem Hexenwahn Einhalt zu gebieten. Das müsste ich aber nochmal recherchieren.


    Die Hexenverfolgung zeigt aber, dass es eben nicht so einfach ist, derartige historische Phänomene zu verstehen. Offensichtlich spielte es aber eine Rolle, ob es in den betreffenden Ländern eine Zentralgewalt gab oder nicht. In Ländern mit Zentralgewalt (z.B. Spanien und Vatikanstaat) fanden kaum Hexenverfolgungen statt. In Ländern ohne starke Zentralgewalt (vor allem Deutschland) hat die Hexenverfolgung besonders gewütet. Das lässt sich auch heute noch beobachten. Im 20. und frühen 21. Jahrhundert wurden mehr Menschen wegen Hexerei ermordet als während der gesamten Hexenverfolgung der frühen Neuzeit. Die Hexenmorde finden auch heute noch vor allem in Ländern schwacher Zentralgewalt (z.B. in Afrika und Indien) statt.

  • Ja, exrem.. finde ich. Habe ich mir angesehen. Bildungsstätte errichten könnte Medizin sein dagegen. Ich mag die Bücher eines deutschen Soziologen, namens Gunnar Heinsohn. Er prognostiziert zukünftige gesellschaftliche Gefahren, wenn der Kompetenzdurchschnitt der ganzen Welt abnimmt. Abgeleitet durch demografische Entwicklungen, dass die Bildungsasse 0 - 1 Kind haben, während die Gegenteiligen wesentlich mehr Kinder hat. Aber da sieht man, dass Wirtschaft, Bildung und Arbeitsteilung die Medizin ist dagegen.

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