Liebe Fernglas-Freunde,
Helmut hat zuletzt hier eine schöne Zusammenfassung zu seinen Fernglas-/Binoerfahrungen gegeben.
Das und die immer wieder zu lesende Aussage, dass Geradesicht-Ferngläser nur bedingt geeignet sind für die astronomische Beobachtung haben mich als Fernglas-Enthusiasten dazu bewegt, meine eigene Vita zu Ferngläsern Revue passieren zu lassen ... und ich möchte Euch daran teilhaben lassen.
Das soll kein Ratgeber sein, aber ich will in den Zeiten immer mehr aufkommender 45°- und 90°-Einblick-Binos zumindest eine Lanze für Geradesicht-Ferngläser brechen.
Zu meiner Vita
Begonnen hat alles 2007 mit einem 10x50 Nikon Action Ex für gerade einmal 120 EUR. Eine sinnvolle, preiswerte Investition, mit der ich herausbekommen wollte, ob das Thema Astronomie mich langfristig fesselt. Hat es!
Also folgten einige Teleskope und ein kurzer Ausflug in die Astrofotografie, bis ich mich 2013 zurück zu den Wurzeln und zur visuellen Astronomie besann.
Das Fernglas als astronomisches Beobachtungsinstrument hatte zwischendurch völlig ausgedient, erlebte dann 2014 sein erstes Revival, als ich mehr als 5 Monate auf ein größeres Teleskop warten musste.
Seitdem beobachte ich mit stetig steigender Begeisterung mit Ferngläsern mit Öffnungen zwischen 20 und 70 mm.
Ich denke, die Begeisterung hält vor allem deshalb an, weil ich schon vieles in Teleskopen gesehen habe, das ich nun gern auch in Ferngläsern aufspüren möchte.
Vor zwei Jahren stand ich dann am Scheideweg. Investiere ich in ein Bino mit Wechselokularen und 45/90°-Einblick oder vergrößere ich meine Palette geradsichtiger Ferngläser.
Ich habe mich letzten Endes für die Erweiterung der Fernglasreihe entschlossen. Die Gründe gegen ein Bino waren vielfältig, angefangen bei den Investitionskosten (doppelte Okularserien), und endend bei der mitunter großen Streuung der optischen Qualität dieser Gläser (Stichwort Hochvergrößerung).
Ich ergänze meine Ferngläser daher nach oben durch einen 3“ Refraktor und einen 12,5“ Spiegel.
Inzwischen habe ich mit Ferngläsern verschiedenster Art rund 1.400 dokumentierte Beobachtungen gesammelt und habe trotzdem das Gefühl, noch ganz am Anfang zu stehen, soviel habe ich mit meinen Ferngläsern noch vor.
Fernglasbeobachtungsnacht - ja, aber wie
Im Laufe der Jahre habe ich mir viele Gedanken gemacht, wie man relativ bequem Nächte mit Ferngläsern verbringen kann.
Für gelegentliche Beobachtungen neben dem Teleskop reicht es völlig, handgehalten oder aufgestützt mit dem FG draußen zu stehen.
Für eine ganze Beobachtungsnacht allein mit dem Fernglas muss dieses auf ein Stativ, egal welche Vergrößerung es hat.
Im Vergleich ist ein 8-fach vergrößerndes Fernglas auf Stativ gewinnbringender als ein 10-fach vergrößerndes Fernglas handgehalten. Belohnt wird man bei Stativnutzung mit einer deutlich höherer Detailerkennung und der Grenzgrößengewinn sichtbarer Sterne steigt um 1 bis 1.5 mag.
Dieses Potential beim Fernglas liegen zu lassen, ist aus meiner Sicht so, wie einem guten Teleskop ein unterdimensioniertes Stativ zu verpassen.
In den letzten Jahren habe ich so gut wie jede Stativlösung für Ferngläser ausprobiert.
Die Bequemste - Parallelogrammmontierung
+ extrem flexibel und problemlose Zenitbeobachtung möglich
- aber auch die sperrigste und schwerste
Wer viel Platz im Haus oder der Garage … und im Auto hat, greift zu dieser Lösung.
Die meiner Ansicht nach Beste - Manfrotto Actiongrip auf Kurbelstativ
+ Beobachtung im Stehen möglich durch das Kurbelstativ
+ Beobachtung im Zenit möglich durch den Hebel des Actiongrip
+ echtes grab & go-Feeling
- bei größeren Ferngläsern ungünstiger Schwerpunkt bei Zenitbeobachtung
Die Notlösungen
- Zenitbeobachtung ist mit der eigentlich für 45°/90°-Einblick-Binos gedachten Einarmgabel nicht wirklich möglich, man schließt schnell Bekanntschaft mit dem Stativ darunter und riskiert im Winter, dass einem die Lippen daran anfrieren
- die L-Halterung auf Bild 2 geht einigermaßen, aber man steht immer irgendwie neben dem Stativ und muss sich mit mindestens einem der Stativbeine den Platz teilen
Unsinn
- das sah nur gut aus, aber Geradsicht und 90° Einblick vertragen sich nicht auf der gleichen Montierung
Auf fast allen Bildern habt ihr gesehen, dass ich einen Leuchtpunktsucher verwende.
Der eine oder andere denkt sich jetzt sicher, dass das Fernglas ein Sucher schlechthin ist mit seinem riesigen Gesichtsfeld. Stimmt. Aber es gibt immer wieder Situationen in sternreichen Gegenden - und ganz besonders in zenitnahen Beobachtungspositionen, wo Du die betreffende Stelle nicht genau identifizieren kannst, an der Du Deine Beobachtung starten möchtest.
Das Sternbild Drache ist ein gutes Beispiel. Der Leuchtpunktsucher hat mir bei solchen Situationen schon oft viel Frust erspart.
Was also macht für mich Faszination der Fernglasbeobachtung aus
+ binokulares Sehen, logisch
+ reine Fernglasnächte sind sehr kurzweilig, schon allein die kurze Vorbereitung und Abbau erhöhen die Motivation, auch mal nur für eine Viertelstunde vor die Tür zu gehen
+ durch die feste Vergrößerung spart man sich viel Zeit mit dem Okularwechsel
+ dadurch ist die Zahl beobachteter Objekte in gleicher Zeit ist deutlich höher als in Teleskopen
+ man kann riesige Gesichtsfelder überschauen, ideal um den Himmel besser kennen zu lernen
+ FG liefern ein seitenrichtiges aufrechtes Bild, das einem nur ein Refraktor mit Amici-Prisma vergleichbar liefern kann
+ der gefühlte visuelle Kontakt zum Objekt ist der direkteste als bei jeder anderen Optik, weil man direkt auch in die Richtung schaut, in die man beobachtet
Die Nachteile will ich nicht verschweigen
- Objektzahl ist je nach Öffnungsklasse eingegrenzt
- Beobachtungen im Zenit sind unbequem, in Zenitnähe aber nicht unmöglich
- die Optiken können mitunter schneller beschlagen/zutauen als Teleskope (aber zur Not hat man ein Zweitfernglas im Köcher )
Fernglasempfehlungen
Ein spezielles, ganz schwieriges Thema. Ich gehöre eher zur Fraktion der Hemdsärmeligen eher praktisch veranlagten. Viele meiner Ferngläser habe ich zwar auch getestet, aber diese Tests nicht bis zum Exzess getrieben, sondern mir meine Einschätzungen zu einem Fernglas lieber nachts während des Beobachtens geholt.
Deshalb werde ich nur einige allgemeine Empfehlungen geben. Ich denke, jedes Fernglas hat seine Berechtigung, sofern es keine totale Gurke ist.
Beobachtern, die mit dem Fernglas den Himmel kennen lernen wollen, reicht im Grunde ein Fernglas in der Preisklasse ab 150 EUR (Porroprismen) bzw. 300 EUR (Dachkant).
Wenn das Fernglas nur für die nächtliche Beobachtung genutzt werden soll, dann würde ich grundsätzlich ein Porroprismen-Fernglas empfehlen, weil diese bei gleicher Qualität analog zu einem Dachkant-Fernglas in der Regel deutlich preiswerter sind.
Die kompakteren Dachant-Ferngläser machen grundsätzlich eher dann Sinn, wenn das FG auch am Tage genutzt werden soll.
Brillenträger müssen zwingend auf den Augenabstand achten, der aus meiner Sicht ab 17-18 mm für ein entspanntes Beobachten sorgt. Nichts ist aus meiner Sicht unbefriedigender, wenn man nicht das ganze Gesichtsfeld eines Fernglases überblicken kann. Selbst ich als Nichtbrillenträger klappe bei meinen Ferngläsern die Okularmuscheln zurück oder drehe sie in Brillenträgerposition, weil ich damit dann sehr entspannt das ganze Feld überschauen kann.
Wenn es in Richtung gehobenere Ansprüche geht, ich habe bei den Porros mit den Fujinon-Ferngläsern gute (aber nicht die besten) Erfahrungen gemacht. Auch die APM-Gläser sollen gut sein und einen größere Augenabstand haben, was insbesondere für Brillenträger von Relevanz ist. Ich selbst schwöre auf Nikon und die EII- und IF WP-Serie.
Der Markt für Dachkant-Ferngläser ist deutlich größer und wächst ... und wächst ... und wächst. Hier gibt es inzwischen sogar Ferngläser, die qualitativ die besten Porroprismen-Ferngläser schlagen, dafür aber auch richtig viel Geld kosten.
Wie so oft fällt die Entscheidung meist als Kompromiss zwischen Ansprüchen und Geldbeutel, persönliche Vorlieben und Abneigungen und für die Entscheidungsfindung zum richtigen Fernglas gibt es hier ja jede Menge anderer Threads.
Wichtig auf jeden Fall, Durchschauen, Durchschauen, Durchschauen und sich nicht all zu sehr von den technischen Details kirre machen lassen. Der persönliche Durchblick am Ende ist entscheidend.
Zusammenfassung meiner persönlichen Erfahrungen und Vorlieben
Ein Fernglas gehört auf ein Stativ! Ich beobachte selbst mit meinen 8-fach vergrößernden Ferngläsern stativgestützt.
Vergrößerung ist für mich mehr wert als Öffnung,
Hand in Hand mit der eben gemachten Vergrößerungs-Aussage geht, dass weniger Austrittspupille (AP) für fast alle Situationen mehr wert ist als die sogenannten viel gepriesenen Astro-Ferngläser mit 7 mm AP.
Der Augenöffner schlechthin hier war für mich vor Jahren der Vergleich von NGC 7000 und anderen großflächigen Nebeln mit einem 10x70 Fujinon und einem 16x70 Fujinon unter gutem Landhimmel. Die Nebel wirkten im 10x70 FG flau mit wenigen Strukturen und hoben sich kaum vom Hintergrund ab, während die Kontrastleistung des 16x70 die Nebelregionen viel deutlicher und strukturierter machte.
Gleiche bzw. ähnliche Erfahrungen habe ich auch bei anderen Objektklassen gemacht.
Ferngläser sind besonders geeignet für Offene Sternhaufen (eigentlich bin ich durch Ferngläser erst zum Sternhaufenliebhaber geworden), aber auch bei vielen Galaxien kann der Einsatz eines Fernglases lohnend sein.
Interessierte für Doppelsterne kommen mit Ferngläsern auch voll auf Ihre Kosten. Mein Freund Robert hat eigens dafür eine eigene Rubrik in seinem VdS-Projekt Doppelsterne geschaffen.
Viele der helleren Planetarischen Nebel sind auch lohnende Objekte, viele sind dann allerdings nur noch stellar. Manche Dunkelnebel erschließen sich auch nur oder besonders in Ferngläsern.
Bei Galaktischen Emissionsnebeln scheiden sich die Geister. Ich kenne Sternfreunde wie Jiri und Christopher, die sich auf diese Objektklasse spezialisiert und einige beachtenswerte Beobachtungserfolge erzielt haben. Ohne diese Spezialisierung und den damit verbundenen enormen Aufwand bleiben aber nicht viele beobachtenswerte Nebel bzw. der Frustfaktor ist hier bei mir in Vergangenheit recht hoch gewesen, auch wenn die Filtervergleiche an den helleren Nebeln nicht uninteressant waren.
Es gibt Strukturen am Nachthimmel, die lassen sich nur mit Ferngläsern erschließen. Mein 8x30-Fernglas hat zum Beispiel ein Gesichtsfeld von 8,8°, in das beispielsweise die drei Auriga-Sternhaufen M 36, M 37 und M 38 passen oder Melotte 20 im Sternbild Perseus in seiner ganzen Pracht incl. Umfeld beobachten.
Beobachtungsprojekte können die Motivation für die Fernglasbeobachtung enorm steigern. Dabei habe ich vor allem auch Beobachtungen am Rande der Sichtbarkeit sehr schätzen gelernt.
Fazit: Ferngläser machen viel, viel, viel Freude!
Hier noch einige Links zu Fernglasbeobachtungsberichten von mir:
Mit dem Fernglas im Grenzgebiet
Kleines Glas mit großer Wirkung
Links zu interessanten Fernglas-Projekten, an denen ich beteiligt bin:
VdS - Doppelsterne für Ferngläser
VdS - Deep Sky mit dem Fernglas
Viele Grüße und ran ans Fernglas
Rene