Totale Sonnenfinsternis am 21. Juni

  • >>Vor zwanzig Jahren ereignete sich eine totale Sonnenfinsternis, die von Madagaskar aus sichtbar war. Es war die erste totale Sonnenfinsternis in diesen Jahrhundert. Auch die letzte totale Sonnenfinsternis diesen Jahrhunderts wird von Madagaskar aus sichtbar werden.; Am 4.September 2100.<<



    Madagaskar wird oft als "exotisch" beschrieben. Dieses Land bietet den Besucher eine Fülle von Eindrücken, die uns Mitteleuropäern sehr fremd geworden sind.

    Das Brutosozialprodukt von 1700 DM im Jahr weist Madagaskar als eines der ärmsten Länder der Erde aus. Noch ist das Land aber nicht von größeren Hungerkatastrophen bedroht, ein Bevölkerungswachstum von 4% im Jahr und eine Bevölkerung, die zu 50% unter 15 Jahre alt ist und deren Schulbildung nicht gesichert ist, lassen kommende Probleme erwarten.

    Erst seit ungefähr 1500 Jahren siedeln Menschen auf der durch die 400km breite Straße von Mozambique von Afrika isolierten Insel. Aus dem malayischen Raum zugewanderte Völker begannen die ursprüngliche Landschaft durch Reisanbau und die Haltung von Zebu-Rindern zu verändern. Aber erst in den letzten 100 Jahren nahm die Bevölkerungszahl derartig zu, daß durch Brandrodung auf der ursprünglich zu 80% bewaldeten Insel heute nur noch ein Rest von 10% Wald vorhanden ist. Mit verheerenden Folgen: Großflächige Bodenerosion und das Veröden ganzer Landstriche.

    Während Madagaskar bis Mitte der 70er Jahre Reis exportieren konnte, ist das Land derzeit auf Importe dieses wichtigen Grundnahrungsmittels angewiesen. Wir haben auf unserer Reise durch das Land bettelde Kinder und alte Leute gesehen, wir haben auch gesehen, daß auf den Märkten und in den Geschäften alles lebensnotwendige reichlich angeboten wird.

    Wir sahen eine ausgesprochen kinderreiche Bevölkerung, das ständige "Bonjour, vazaha !", mit dem uns die Kinder in Stadt und Dorf aus jedem Haus und jedem Winkel begrüßten, wird eine der Erinnerungen an Madagaskar bleiben.



    Eine Reise zur totalen Sonnenfinsternis in Madagaskar



    Montag 18. Juni 2001, Morondava. 100 km trennen uns noch von der Zone der totalen Sonnenfinsternis. 9500 km von Deutschland entfernt, 290 km südwestlich von Antananarivo, wo wir am 12.6. gegen Mittag mit dem Flugzeug landeten, ist Morondava unser erster Zwischenstopp, an dem wir für ein paar Tage verweilen.

    Unser Weg führte von Antananarivo zuerst südlich nach Antsirabe auf der gut ausgebauten RN 7, dann nach Miandrivazo. Von hier führt zunächst in südliche Richtung eine Piste, die jedem Hard-Core-Achterbahnfreund nur empfohlen werden kann. Über vier Stunden wühlte sich unser vierradgetriebenes Fahrzeug aus einem metertiefen Kraterloch in das unmittelbar folgende. Jeder, der Morondava auf dem Landweg erreichen will , muß diese Teststrecke überstehen. Die Fahrer, die ihre Fahrzeuge - gleich, ob LKW oder zu Massentransportmitteln umfunktionierten PKW, oder die komfortabelen Nissan Patrols über diesen Weg steuern, kennen jedes der Löcher persönlich und die beste Strategie, sie zu überwinden.

    Würden wir unser eigenes Auto über dieses Gelände steuern, wäre nach zwanzig Metern der Auspuff abgerissen, und nach weiteren 20 Metern läge die Hinterachse abgetrennt in der Landschaft. Eine eindrucksvolle Tor-Tour durch wunderbare Landschaften und viel Spaß. Vorbei an Dörfern aus einigen Palmwedelhütten, vor denen die Bewohner in Halbdunkel im Schein einer einzelnen Kerze sitzen, erreichten wir Freitag gegen Mitternacht die Stadt Morondava an der Westküste Madagaskars.

    Ein wenig fühlten wir uns wie Tourismus-Pioniere. Aber wir sind nicht die einzigen. Langsam beginnt sich die Stadt mit Sonnenfinsternis-Hungrigen zu füllen. In Morondava ist eine nur 98%ige partiellen Sonnenfinsternis zu erwarten - gleichwohl schlägt das örtliche Gastgewerbe mit einem 150%igem "Eclipse-Tarif"-Aufschlag großzügig zu.

    Vor der Weiterfahrt in südlicher Richtung zur Finsterniszone wird in allen Reiseführern für Madagaskar ausdrücklich gewarnt: Hier wartet eine weitere Marterstrecke auf den Reisenden. Dennoch, als wir heute die für Morondava-Besucher obligatorische Ausflugstour zu den Baobab-Bäumen unternahmen, sahen wir erste Jeeps in die Straße Richtung Süden einbiegen. "Auf Wiedersehen in Morombe!". Wir nehmen übermorgen das Flugzeug, die 20sitzige Twin-Otter von Air Madagascar nach Morombe. Acht Uhr ab Morondava.

    Laut unverbindlichem Flugplan wird Morombe zweimal pro Woche angeflogen, zur Sonnenfinsternis werden sicher Sonderflüge in den Flugplan eingefügt.

    Wir sind gespannt auf Air Mad!

    19. Juni. Morondava wird seit gestern von einer Scharr aus aller Welt angereister Menschen überschwemmt. Die große Anzahl geländegängiger Fahrzeuge erzeugt brodelnde Staubwolken in den Straßen der Stadt. Überall hört man "Allee de Baobab?". Jeder Taxifahrer versucht noch schnell eine Tour zu diesem Sightseeing-Muß anzubieten.

    Minibusse voller Hellhäutiger strömen stadtauswärts zur Allee der Riesenbäume. Ein wenig wehmütig genießen wir das letzte Abendessen in Morondava.


    20. Juni.

    Wir hatten uns ein Taxi zum Flughafen bestellt und wurden pünktlich am Hotel "Arche Noah" abgeholt. Zehn Minuten sollte die Fahrt dauern. Für eine solche Fahrt hatten wir vor zwei Tagen 2000 Franc Malgache bezahlt. Heute waren 25000 fällig. Die Sonnenfinsternis erzeugt eine erstaunliche Inflation der Preise.

    Gut 90 Minuten vor dem Abflug nach Morombe checken wir am Abflugschalter ein. Bordkarte eins und zwei. Die Twin Otter, ein zweimotoriges Hochdecker-Flugzeug, steht schon bereit. In der letzten Stunde vor dem Start können wir leider nicht auf dem Rollfeld warten, wir werden in die Abflughalle zurückgeschickt und die Tür zum Rollfeld wird geschlossen. "Sicherheit wird also groß geschrieben bei Air Mad" denke ich mir, und bin erfreut daß auch die Sicherheit meines Filmmaterials gewährleistet wird, denn es gibt erfreulicherweise keine Röntgendurchleuchtung des Fluggepäcks.

    Inzwischen werden auch die Bordkarten drei bis fünf ausgegeben.

    Nachdem die beiden Piloten in das aufgetankte Flugzeug eingestiegen sind ,öffnet sich auch für uns wieder die Tür zum Rollfeld. Etwas verloren pilgern fünf Fluggäste und ein Flugbegleiter zu ihrem Flieger, vorbei an der Dame vom Check-In die noch schnell cadeau-Sonnenfinsternisbrillen mit Air Madagascar-Aufdruck verteilt.

    Die Twin Otter verströmt das Flair einer Berliner S-Bahn der sechziger Jahre im Kabinenbereich, das Cockpit ist aber vollgestopft mit modernster Flugtechnik. Ich ahne, daß ein außergewöhnliches Flugerlebnis bevorsteht.

    Die Piloten prüfen die Funktionen des Fliegers doppelt, bevor die Reise losgeht.

    Dann schließlich ist es soweit: Flug Nummer MD 2805 von Morondava nach Morombe wird vom Tower freigegeben und ohne Verzug geht es auf die Reise.

    Sanfter Start, leicht hebt sich das Flugzeug in die Höhe.

    Die Reisehöhe bietet wunderschöne Ausblicke über das Land.

    Madagaskar ist ein (nicht nur) optisch ansprechendes Land. Was wir aus rund 1000 Meter Höhe sehen, ist ein optischer Leckerbissen und zeigt eine Welt natürlicher Fraktalmuster.




    Wie chinesische Drachen winden sich Mangroven gesäumte Flüsse aus dem Landesinneren zur Straße von Mozambique.

    Wir fliegen in die meteorologisch idealste Beobachtungsposition für die erste totale Sonnenfinsternis des neuen Jahrtausends und bekommen als Dreingabe ein Erlebnis, das im Nachhinein betrachtet das der Sonnenfinsternis an optischer Sensation sogar übertrifft.


  • 21. Juni. Morombe (großer Strand) erschließt sich dem Besucher nicht sofort. Die Stadt, die eher ein größeres Dorf ist, macht auf den ersten Blick den irritierenden Eindruck einer französischen Cowboy-City in Afrika. Der Verfall der französischen Kolonialkultur hat hier fast sein Endstadium erreicht.

    Die erstaunlicherweise vorhandene Hotellerie hat in Erwartung der Sonnenfinsternis-Gäste die Preise für Übernachtung und Verpflegung derartig angehoben,das viele Besucher sehr verärgert reagieren. Es werden aber auch große Flächen im Ort für die Übernachtung in mitgebrachten Zelt angeboten. Insgesamt haben sich aber erstaunlich wenige Sonnenfinsternis-Beobachter in Morombe versammmelt. Eine größere Anzahl hält sich wahrscheinlich außerhalb des Ortes auf.

    Die Nacht vor der Sonnenfinsternis konnten wir noch im luxoriösen Bungalow des "Baobab-Hotels" verbringen, zwar etwas teuer, aber gerechtfertigt für fließendes Heißwasser und Klimaanlage. Die Nacht nach der Sonnenfinsternis schlafen wir in der Hängematte unter und zwischen zwei Bäumen.

    Mit jeder Sonnenfinsternis verbindet sich eine neue Geschichte. Die Jagd auf die Sonnenfinsternis in Madagaskar war für uns eigentlich lange vorüber, bevor der Mond die Sonne berührte. Mit dem Flugticket nach Madagaskar und dem Reiseziel Morombe hatten wir nahezu 100%ige Erfolgsgarantie erworben. Entsprechend entspannt gingen wir dem großen Augenblick entgegen. Unter sattblauem Himmel am Palmenstrand und mit der Routiene schon mehrfacher erfolgreicher Sonnenfinsternis-Beobachtung, war Spannung eigentlich nicht mehr vorhanden.


    Der erste Kontakt wurde noch ausgerufen, dann verlief alles erstaunlich ruhig. Viele große Sonnenflecke nahm die bedeckende Mondscheibe auf ihrem Weg zu Diamantring und dem Strahlenkranz der Sonnenatmosphäre. In der letzten halben Stunde vor der Totalität fiel die Temperatur um etwa 10 Grad auf immer noch erträgliche 24 Grad im (Mond)-Schatten. Schließlich ein langer Diamantring: Über 30 Sekunden schmolz der letzte Lichtschein dahin, während die Sonnenatmosphäre schon als zarter Ring sichtbar wurde um schließlich als voll entwickelter Maximum-Strahlenkranz aufzuleuchten. Der Übergang verlief erstaunlich undramatisch. Keine fliegenden Schatten wurden gesichtet. Durch unseren Standort auf Meereshöhe blieb das Heraneilen des Mondschattens unsichtbar. Auch das rote Leuchten der Chromosphäre, das bei der Sonnenfinsternis 1995 in Indien besonders auffällig war, blieb aus.

    Während die Sonnenatmosphäre über uns trotz der bescheidenen Horizontdistanz von 13 Grad in erstaunlicher Höhe feierlich strahlte, dunkelte der Himmel nur auf eine helle Dämmerung ab. Östlich und westlich von uns blieb der Horizont gelborange während er sich vor uns graublau verdunkelte.Dies war die Folge der sehr lang gestreckten Schattenelipse des Mondes auf ihrem Weg über Madagaskar, kurz vor dem Abheben von der Erdoberfläche über dem Indischen Ozean.

    Im von den meisten anwesenden Beobachtern als auffällig unstrukturiert beschriebener Maximum-Strahlenkranz leuchteten viele mit bloßem Auge als nadelfeine, kleinste rote Sprenkel am Sonnenrand sichtbare Protuberanzen. Jedoch keine derart auffällig wie die der 1999er Sonnenfinsternis. Mit 2 Minuten 20 Sekunden Totalität bleiben wir in Morombe etwa 20 Sekunden hinter der auf der Zentrallinie möglichen Dauer zurück. Der Aufwand, in das nur mit Allradfahrzeugen erreichbare Delta des Mangoky-Flusses vorzudringen um eine kurze zusätzliche Zeit herauszuholen, erschien uns angesichts der ausgezeichneten meteorologischen Situation in Morombe nicht gerechtfertigt.

    Seit 1995 haben wir vier eindeutig verschiedene Sonnenfinsternisse erlebt: Magische 50 Sekunden am frühen Morgen in Indien, das Hereinbrechen der Abenddämmerung mitten am Tage in Guadeloupe, die glückliche Jagd auf die richtige Wolkenlücke in Frankreich mit dem heranrasenden Mondschatten und dem hochstrukturierten Maximum-Strahlenkranz als dramatischen Höhepunkt. Und nun dieses sanfte Verlöschen des Tagesgestirns über dem Meer eine gute Stunde vor Sonnenuntergang. Dieser steuerte noch eine so nicht vermutete Dramatik bei: Wird der Mond die Sonnenscheibe bei Sonnenuntergang verlassen haben? Die NASA-Berechnungen, die wir hatten, bedeuteten ein Finsternis-Ende bei 0 Grad Sonnenhöhe.



    Unsere Beobachtung ließ keinen Zweifel zu, kurz bevor die Sonne hinter dem Horizont verschwand, gab der Mond die Sonne wieder vollständig frei. Wir hatten also die Sonnenfinsternis in Morombe in voller Länge beobachtet. Bei keiner Sonnenfinsternis bisher war uns der Ablauf der Ereignisse so vertraut und der Erfolg so sicher.

    Bis zum 14. Juli blieben wir noch auf der großen Insel, sahen wunderschöne Landschaften, fuhren mit der einzigen Eisenbahn des Landes durch den tropischen Regenwald an der Ostküste und besuchten den Nationalpark Ranomafana.

    Madagaskar, dieses schöne Land bereisen zu können, ist ein Abenteuer, nicht immer einfach, aber voller positiver Überraschungen.





    >>Nachwort, zwanzig Jahre später.

    Zur Zeit der geschilderten Reise war das Land noch politisch ruhig. Zwar war ein langjährig herrschender Politiker nach dem Zwischenspiel eines etwas weniger autokratisch regierenden Präsidenten zurück an die Macht gelangt. Allerdings auf der Grundlage von demokratischen Wahlen. Wenig später jedoch erwachte der Unmut über diese Entscheidung in der Bevölkerung, Und von der Hauptstadt Antananarivo ausgehend, kam es zunehmend zu Aufruhr, die mit der Flucht des Präsidenten nach Frankreich gipfelte. Seither Ist es nicht mehr zu stabilen Machtverhältnissen im Land gekommen, das zwar immernoch weitgehend demokratisch verfasst ist, gleichwohl nicht in die Lage gekommen ist, Politiker hervorzubringen, die dieses wunderschöne Land sinnvoll entwickeln. In der Folge sind chaotische Wirtschschaftslagen und der Ausbruch schlimmer Krankheitswellen Alltagserscheinungen geworden.<<


    Dieser Text, mit Ausnahme des Vor- und Nachwortes, entnahm ich, mit leichten Abwandelungen, dem „Sternkieker“ 4. Quartal 2001.

  • Hallo Dietrich,


    schön, dass Du den Bericht nochmals gepusht hast, ich war Ende Juni in den Ferien und hätte ihn fast übersehen.

    Die wunderbaren Bilder sind alle zu sehen, schade, dass keine Aufnahmen der Totalität dabei sind.


    Aber Du hast diese Momente ja auch im Text sehr gut beschrieben.


    Danke und lg


    matss

  • Hallo matss,

    das habe ich gemacht, weil ich gerade Probleme habe mit der Anzeige von Bildern zu einem anderen Thema (DEproduktionen).

    Die Bilder der Totalität von Sonnenfinsternissen halte ich derzeit unter Verschluß um das C-Wort nicht zu benutzen und Abbildungen davon sollen von mir auch nicht nicht in teilweise noch ungeschützte Umgebungen abgegeben werden.

    Grüße

    Dietrich

  • Hallo Dietrich,


    hm, ich muss ja nicht alles verstehen, aber zumindest die Sonnenkorona während der Totalität hat sicher kein „C“.


    https://de.wikipedia.org/wiki/Korona_%28Sonne%29


    lg matss

  • Eine Abbildung der Sonnenatmosphäre, die bei der totalen Sonnenfinsternis in Madagaskar in Jahr 2001 hatte ich in meinem Reisebericht nicht beigegeben. Eine solche Abbildung möchte ich heute nachliefern. Die Aufnahme machte ich auf Negativ-Farbfilm. Da ich ein 500mm Spiegel/Linsen-Objektiv verwendete, das ohne Nachführung auf einer Aufstellung im exakten Höhenwinkel mit der Kamera verbunden war, konnte ich nur Belichtungszeiten unter einer Sekunde anwenden.

    Dennoch gelangen Aufnahmen die einen geschlossenen Strahlenkranz um die abgedeckte Sonnenscheibe zeigen. Dieser erinnerte stark an den Strahlenkranz, den die Sonne bei der totalen Sonnenfinsternis im August 1999 umgab. Das Bild wurde durch Umkopieren des Aufnahmenegativs auf unmaskierten Film erzeugt,



    Grüße

    Dietrich

  • Der Eingangs-Passus des Berichts über die Sonnenfinsternis 2001 gibt die Lage im Jahr 2001 wieder.


    Seit sieben Jahren wird vor allem der südliche Teil Madagaskars von einer katastrophalen Dürre heimgesucht.

    In der Folge sind über anderthalb Millionen Menschen vom Hungertod bedroht.

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