3D-Blick auf dichtes interstellares Gas

  • <b>Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von Wissenschaftlern aus dem Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie hat mit dem Submillimeterteleskop APEX in 5100 m Höhe in Chile einen beträchtlichen Teil der Ebene unserer Milchstraße vermessen, der insgesamt über 80 Quadratgrad am Südhimmel umfasst. Die Spektrallinien von mehreren Molekülen, darunter die seltenen Isotopologe (13)^CO und C(18)^O des Kohlenmonoxid-Moleküls, ermöglichen die Erforschung des dichten Gases des interstellaren Mediums. Die daraus resultierende Kartierung, bezeichnet als SEDIGISM (“Structure, Excitation and Dynamics of the Inner Galactic Interstellar Medium”), zeigt eine Vielzahl unterschiedlicher Strukturen, von kompakten Klumpen, aus denen einzelne Sterne entstehen, bis zu ausgedehnten Molekülwolken und Komplexen von Molekülwolken. Sie ermöglicht die Bestimmung der großskaligen Verteilung von kaltem molekularem Gas im inneren Bereich der Milchstraße und letztendlich die Enträtselung der gesamten Struktur unserer Galaxis. Die Beobachtungsdaten werden dazu verwendet, die Verteilung des kalten molekularen Gases und den Umfang der Sternentstehung im inneren Bereich der Milchstraße in bisher nicht möglicher Genauigkeit zu untersuchen. Ein Katalog von über 10.000 interstellaren Wolken in der Milchstraße wurde bereits erstellt, der eine sehr gleichmäßige Verteilung physikalischer Eigenschaften aufzeigt. Interessanterweise zeigen nur ca. 10% der Wolken aktuelle Sternentstehung. Insgesamt bedeutet die SEDIGISM-Kartierung einen wichtigen Schritt vorwärts für das Verständnis der Struktur der Milchstraße und der Beziehung zwischen Spiralarmen und Molekülwolken, deren dichtere Bereiche neue Generationen gerade entstehender Sterne umschließen. Durch die erste Version der Daten im Internet („Data Release 1“) erfolgt die Bereitstellung für die Wissenschaftler weltweit.</b>


    Die Beobachtung von Spektrallinien des Kohlenmonoxid-Moleküls ermöglicht die Messung der Verteilung von kaltem und dichtem molekularem Gas im interstellaren Medium, in dem neue Sterne gebildet werden. Darüber hinaus kann die Radialgeschwindigkeit über den Dopplereffekt bestimmt werden. Dadurch kann das molekulare Gas in Verbindung zur Rotation der Spiralarme in unserer Milchstraße gebracht werden; das ermöglicht einen dreidimensionalen Blick auf ihre Verteilung. Insgesamt zeigt sich eine Vielzahl von Strukturen wie Filamente und Aushöhlungen, die von unterschiedlichen physikalischen Effekten bei der Gestaltung des interstellaren Mediums herrühren.


    Ein internationales Forscherteam von insgesamt 50 Astronomen hat mit dem APEX-Teleskop in den chilenischen Anden ein langjähriges Beobachtungsprojekt durchgeführt, das einen Bereich von 84 Quadratgrad am Himmel umfasst. Beobachtet wurde der südliche Bereich der inneren Milchstraße in einem Intervall von -60 bis + 18 Grad in galaktischer Länge mit einer Winkelauflösung von 30 Bogensekunden; das entspricht gerade mal dem 60. Teil des scheinbaren Durchmessers unseres Mondes am Himmel. Mit einer Geschwindigkeitsauflösung von 0,25 km/s liefert die Analyse Informationen über die Morphologie, Entfernung und Geschwindigkeit für alle galaktischen Molekülwolken in einem Gesamtgebiet von ca. zwei Drittel der inneren Scheibe unserer Milchstraße.


    Die Kartierung trägt die Bezeichnung SEDIGISM (“Structure, Excitation and Dynamics of the Inner Galactic Interstellar Medium”) und beinhaltet Beobachtungsdaten aus den Jahren 2013 bis 2017, die nun begleitet von drei wissenschaftlichen Veröffentlichungen den Astronomen weltweit zur Verfügung gestellt werden.


    „Mit der Veröffentlichung dieser bisher detailliertesten Karte von kalten Molekülwolken in unserer Milchstraße trägt ein langjährige Beobachtungsprojekt nun Früchte“, sagt Frederic Schuller vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), der Projektleiter der SEDIGISM-Kartierung. „Das Team hat phantastische Arbeit geleistet und einen Meilenstein für die Erforschung des molekularen Gases in der Milchstraße geliefert, der als Ergebnis von APEX noch lange nachwirken wird.“



    Beispiel für die interstellaren Wolken, die in einem kleinen Bereich von ca. 5% der gesamten SEDIGISM-Kartierung identifiziert werden konnten. Jede dieser Wolken ist in einer unterschiedlichen Farbe dargestellt (Bild abgeleitet von Abb. 3 in Duarte-Cabral et al. 2020). Inset: Schematische Darstellung des Verlaufs der Spiralarme in unserer Milchstraße. Ganz innen der 3-kpc-Arm, wobei die Positionen des galaktischen Zentrums und des zentralen Balkens der Milchstraße durch ein schwarzes Kreuz und ein dunkelgraues Oval dargestellt werden. Die römischen Ziffern I-IV markieren die jeweiligen Quadranten der Milchstraße. Die grau eingefärbte Region markiert den kompletten Bereich der SEDIGISM-Kartierung; die Richtung des Ausschnitts in der vorliegenden Abbildung ist in Hellblau markiert (Bild abgeleitet von Abb. 5 in Schuller et al. 2020). Grafik: Ana Duarte-Cabral, Alex Pettitt und James Urquhart


    „Auf der Grundlage dieser Daten haben wir einen Katalog von über 10.000 Gaswolken in der Milchstraße zusammengestellt, der eine deutlich strukturierte Verteilung aufzeigt. Die abgeleiteten physikalischen Eigenschaften erscheinen allerdings ziemlich gleichförmig, mit nur schwachen Hinweisen auf die Abhängigkeit einiger der Wolkeneigenschaften von ihrer Umgebung“, erklärt Ana Duarte-Cabral von der Cardiff University, die Erstautorin der zweiten Veröffentlichung. James Urquhart von der University of Kent, der Erstautor der dritten Veröffentlichung, ergänzt dazu: “In Verbindung mit ATLASGAL, einer früheren Untersuchung von kaltem Staub in unserer Milchstraße, können wir nun den Anteil der Wolken mit hoher Gasdichte abschätzen: nur 10% davon sind Orte laufender Sternentstehung.“


    Die Beobachtungen mit APEX richteten sich auf die seltenen Isotope 13CO and C18O des Kohlenmonoxid-Moleküls, die wesentlich genauere Abschätzungen der Masse der untersuchten Wolken ermöglichen, aber ein hochempfindliches Teleskop erfordern.


    Das 12m-APEX-Teleskop mit seiner hochgenauen Oberfläche und einem der weltweit besten Standorte für Submillimeter-Astronomie war ein Schlüssel zum Erfolg des Projekts. In 5100 m Höhe über dem Meeresspiegel gelegen, auf der trockenen Chanjnantor-Ebene in der chilenischen Atacamawüste, ergibt sich ein extrem geringer Wasserdampfgehalt und damit exzellente Transparenz der Atmosphäre, die für diese Beobachtungen erforderlich ist.


    Molekülwolken enthalten das Rohmaterial, aus dem neue Sterne entstehen. Die Kartierung dieser Wolken ist daher erforderlich, um wichtige Parameter wie z.B. die Effizienz der Sternentstehung in unserer Milchstraße zu bestimmen. Die Morphologie und die physikalischen Bedingungen innerhalb der Wolken geben die Rahmenbedingungen, die für Theorien der Sternentstehung berücksichtigt werden müssen. Es ist daher unabdingbar, die einzelnen Wolken räumlich aufzulösen und voneinander zu unterscheiden. Das wird durch die hohe Winkelauflösung der APEX-Kartierung ermöglicht.


    Die neuen Daten sind nicht nur für sich gesehen interessant, sondern ergänzen auch eine Reihe hervorragender Kartierungen der galaktischen Ebene, die im vergangenen Jahrzehnt in mittel- bis ferninfraroten Wellenlängenbereich erstellt wurden. Das geschah mit Weltraumteleskopen wie Spitzer und Herschel und bei größeren Wellenlängen auch mit APEX selbst. In allen diesen Projekten fehlte jedoch die Geschwindigkeitsinformation. Diese Beobachtungsdaten können nun in Verbindung mit den neuen Kohlenmonoxid-Liniendaten erneut analysiert werden und so eine wesentlich stärkere Rolle spielen bei der detaillierten Untersuchung von Sternentstehung und Sternhaufen in der Milchstraße, und letztendlich von Struktur und Dynamik unserer Galaxis selbst.


    “Unsere Kartierung bedeutet einen entscheidenden Schritt vorwärts, um die Struktur der Galaxie zu verstehen, in der wir leben“, schließt Dario Colombo vom MPIfR, Ko-Autor von allen drei Veröffentlichungen, der zur Zeit mit Hilfe dieser Daten an einer Analyse zum Einfluss von Spiralarmen auf die Eigenschaften von Molekülwolken arbeitet.


    Weitere Infos auf den Seiten des MPIfR unter https://www.mpifr-bonn.mpg.de/pressemeldungen/2020/12

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