Baikonur, der größte Weltraumbahnhof der Erde

  • Vor 50 Jahren entstand das Startgelände in der Steppe Kasachstans - Spatenstich für neuen Raketenkomplex


    Baikonur - Es war einer der geheimsten Orte der Welt, weit hinten in der Steppe Zentralasiens. CIA-Agent Gary Powers flog 1960 in 25 000 Meter Höhe darüber hinweg und wurde kurz darauf abgeschossen. 100 Menschen kamen dort wenig später bei einer Explosion ums Leben, wovon die Welt erst 30 Jahre später erfuhr. Der amerikanische Astronaut Frank Bormann jettete am 16. Juli 1969 zum Blitzbesuch nach Moskau, um herauszufinden, ob an jenem Ort gar etwas geplant sei, was Neil Armstrong und Buzz Aldrin bei ihrem ersten Mondspaziergang nur vier Tage später gefährden könnte. Er erfuhr nichts.



    Baikonur, der sowjetische Weltraumbahnhof, der heute 50 Jahre alt wird, hat inzwischen seine Aura der Unnahbarkeit verloren. Amerikanische wie deutsche und andere westliche Astronauten gehen ein und aus, fliegen von dort zur gemeinsamen Raumstation "ISS", weil die Raumtransporter der USA gerade nicht einsatzbereit sind. Staatsbesuch wird jetzt gern zu den Starts geladen, und mittlerweile ist der Ort auch korrekt verzeichnet auf den Landkarten - nicht um 380 Kilometer westlich versetzt. Unter Moskaus Aufsicht steht er längst nicht mehr, Rußland muß an den Staat Kasachstan 115 Millionen Dollar pro Jahr überweisen, um die Anlagen auf dessen Hoheitsgebiet nutzen zu dürfen.



    Dabei sollten doch von Baikonur aus massenhaft Satelliten starten, um einmal als künstliche Sterne die Sowjetmacht auch am Himmel erstrahlen zu lassen. "In der Sowjetunion gehen die Raketen wie die Würstchen vom Fließband", erklärte zum Beispiel Kreml-Chef Nikita Chruschtschow in den sechziger Jahren in Richtung Washington, reichlich großspurig. Immerhin einige Raketen, die von Baikonur aus starteten - nicht nur atomare Geschosse zum Test-, schafften es tatsächlich, das US-amerikanische Selbstbewußtsein zu erschüttern. Zum Beispiel jene umgebaute Interkontinental-Atomrakete, die am 4. Oktober 1957 den ersten Satelliten ins All beförderte. Die Signale, die "Sputnik 1" aus der Umlaufbahn zur Erde sandte, klangen in der westlichen Welt noch lange nach. Vom "Sputnik-Schock" war die Rede. Auch der Weltraumhund Laika, das erste Säugetier im Orbit, war aus Kasachstan gestartet und weckte - es war noch vor der Zeit der Fundamentalkritik an Tiertransporten - auch im Westen große Emotionen.



    Bis spät in die sechziger Jahre war der Wettlauf von den Startplätzen Baikonur und Cape Kennedy aus ins All und auch zum Mond nicht entschieden. Sogar die ersten Lebewesen, die zum Mond flogen, waren 1968 in Kasachstan aufgestiegen: eine illustre Menagerie mit Schildkröten, Essigfliegen, Mehlwürmern, Bakterien - zwar nur in die Mondumlaufbahn und mit harter Landung bei der Rückkehr, aber alle hatten überlebt.



    Und dann mußte Amerikas Aufklärung feststellen, daß am 13. Juli 1969, drei Tage vor dem Aufbruch von "Apollo 11" zum Mond, in Baikonur eine Rakete mit demselben Ziel abgehoben hatte. Die Nasa war alarmiert, schickte Bormann nach Moskau, doch der mußte ohne Informationen über das, was da unterwegs war, wieder heimkehren. Heute weiß man: Die Sowjets hatten damals "Luna 15" auf den Weg geschickt: einen Roboter, der Mondgestein auflesen, zur Erde zurückkehren und nur wenige Tage vor dem größten Triumph der US-Raumfahrt den Amerikanern die Schau stehlen sollte. Doch "Luna 15" zerschellte am Ziel, und die Konfetti-Parade mit den Mondfahrern der Nasa konnte ungetrübt stattfinden. Die USA hatten den Wettlauf gewonnen, all die Sterne über Baikonur verblaßten fortan.


    Der Weltraumbahnhof genießt heute mit etwas veralteter, aber robuster Technik seine vorübergehende Monopolstellung in der bemannten Raumfahrt - wenn man von dem kurzen chinesischen Höhenflug im vergangenen Jahr einmal absieht. Was indes unbemannte Missionen angeht, so gibt es bereits über ein halbes Dutzend große Bahnhöfe auf der Welt, wenn auch alle mindestens eine Nummer kleiner: Das Startgelände in Baikonur ist mit einer Fläche von rund 6750 Quadratkilometern für Konstruktionshallen, Anlagen zur Flugkontrolle, einem knappen Dutzend Rampen für jeden einzelnen Raketen- und Satellitentyp in seiner Ausdehnung konkurrenzlos.



    Über mangelnden Verkehr können sich die Betreiber des Weltraumbahnhofs derzeit nicht beklagen. Erst vorgestern startete von dort eine Sojus-Rakete, die meistgeflogene Rakete für Transporte in den Orbit, um den Forschungssatelliten "Foton-M2" der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) in die Umlaufbahn zu schießen. An Bord diesmal: Wassermolche, Skorpione, Echsen und Schnecken, die am 16. Juni zur Erde zurückkehren sollen.



    Auch Kasachstan selbst will nun zur Raumfahrtnation aufrüsten. Anlaß sind die 50-Jahr-Feiern von Baikonur: Gemeinsam wollen heute der russische Präsident Wladimir Putin und sein kasachischer Kollege Nursultan Nasarbajew gleich nebenan den ersten Spatenstich tätigen für den eigenen Raketenkomplex Baiterek der früheren Nachbar-Sowjetrepublik. Und schon nächstes Jahr will das Land einen eigenen Kommunikationssatelliten, "KazSat", ins All schicken. Dies allerdings noch von Baikonur aus.


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  • Rein aus Interesse: weiss jemand, was aus dem zweiten sowjetischen Startkomplex, Kapustin Jar, wenig östlich von Wolgograd, geworden ist? Bis in den 80ern war es definitiv noch in Betrieb (ich 'durfte' im Sommer 1985 zwangsweise dort sein, weil da auch militärische Raketen abgeschossen wurden).


    Gruß
    André

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