Zeitbestimmung durch Messung von Zenitdistanzen

  • Hallo zusammen,


    ich habe die alten Feldbücher unseres Sternwartenoheims gescannt und bin an einer Sichtung der Arbeiten. Eine der Messungen stammt aus dem Jahr 1944 und enthält Messwerte zur Zeitbestimmung durch Messung der Zenithdistanzen der Vega. Er hatte wohl einen Wild T4 im Zugriff und hat damit die Position der Vega gemessen und dazu die Zeit notiert. Mir war/ist nicht klar, wie man die Zeit auf eine Zehntel Sekunde genau messen kann und das ganze mit dem Blick durchs Okular koordinieren sollte. Auch war/ist mir nicht klar, was das Ergebnis der Messung beinhalten sollte, da kein Absolutwert heraus kommt, sondern ein Delta-t, mit welchem man die Sternzeituhr LST zu korrigieren hatte?


    Theoretisch wird mehrfach die Winkeldistanz zum Zenit gemessen (Fernrohr rechts herum und links herum, um Ungenauigkeiten des Messegerätes selbst auszugleichen und die lokale Sternzeit dazu aufgenommen.
    Das Verfahren wird in Jordan-Eggert "Handbuch der Vermessungskunde", 1939, Dritter Band, erster Halbband, Seite 514 ff. beschrieben.


    Die Autoren sind leider noch keine 70 Jahre verschieden, deshalb kann ich es leider nicht posten. Ich bitte um ein Mail, falls Interesse besteht.


    Vielen Dank für Eure Unterstützung und sorry for confusion.


    Andreas

  • Guten Morgen Andy,


    soweit ich das aus der Literatur verstanden habe, wurden die Sterndurchgänge genau im Meridian erfasst. Um die Meßgenauigkeit zu erhöhen, wurde das sog. unpersönliche Mikrometer eingesetzt. Der Beobachter führt einen Faden auf dem Stern nach, und dabei werden mehrmals elektrische Kontakte geschlossen. Dies löst Markierungen auf einem mitlaufenden Registrierstreifen aus, auf dem auch Zeitmarken aufgebracht werden. Damit kann die Zeit des Durchganges - d.h. die Sternzeit im Augenblick des Durchgangs - ermittelt werden. So lässt sich bei bekannter Rekatszension des Sterns die Zeit bestimmen, weil sich ja durch die Messung eine Abweichung der Sternwartenuhr zeigt, also deren Gang überprüfen lässt. Es handelte sich um Präzisionspendeluhren. Die betreffenden Sternwarten haben früher Zeitsignale telegrafisch zur Festlegung der öffentlichen Zeit versendet.
    Das ganze Konzept beruht auf der Annahme einer absolut gleichförmigen Erdrotation, die als Zeitnormal geeignet ist. In den dreißiger Jahren hat sich das als Irrtum herausgestellt, als die ersten Quarzuhren an der Physikalisch Technischen Reichsanstalt in Berlin genau genug gingen, um die Ungleichförmigekeit der Erdrotation ans Licht zu bringen.


    Gruss Lars

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: andiarbeit</i>
    <br />Messung von Zenitdistanzen
    <br />Im Prinzip wird mit einem Universaltheodolit ein Sterndurchgang zu einem gewissen Punkt zu einer gewissen Sternzeit festgestellt.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Geht es nun um Sterndurchgänge oder Zenitdistanzen?


    Zur Beobachtung eines Meridiandurchgangs musst du die genaue Südrichtung (den Meridian) vorab mit geeigneten Methoden bestimmt haben.


    Die Methode der Zenitdistanzen ist unabhängig von der Kenntnis des Meridians, braucht dafür aber mindestens zwei Beobachtungen. Man beobachtet zunächst, wann der betreffende Stern <i>vor</i> seiner Kulmination einen bestimmten Höhenwinkel (oder vom Zenit aus gerechnet: eine bestimmte Zenitdistanz) überschreitet, und wann er dieselbe Höhe (bzw. Zenitdistanz) <i>nach</i> seiner Kulmination wieder erreicht. Die Kulmination selbst fällt dann mit dem zeitlichen Mittel der beiden beobachteten Zeitpunkte zusammen (ggf. sind diverse kleine Korrekturen anzubringen). Eine Kenntnis der Südrichtung ist nicht erforderlich, man muss noch nicht einmal unbedingt den überschrittenen Höhenwinkel zahlenmäßig kennen (es genügt notfalls, <i>irgendeinen</i> Höhenwinkel festzuklemmen, und beide Beobachtungen mit unveränderter Höheneinstellung des Instruments vorzunehmen).


    Das Ergebnis beider Methoden ist der Durchgangs- bzw. Kulminationszeitpunkt des beobachteten Gestirns. Das <i>Mess</i>ergebnis sagt dir, zu welchem Zeitpunkt auf der Observatoriumsuhr dieses Ereignis stattfand, das Rechenergebnis sagt dir, zu welchem Zeitpunkt es auf einer astronomischen Zeitskala stattfand (je nachdem z.B. UTC, TT, ...). Die Differenz ist der aktuelle Uhrenfehler.


    Wie die Uhr zu Zeiten deines Oheims korrigiert wurde, weiß ich freilich nicht. "Früher" (also mindestens bis ins 19. Jahrhundert) ließ man die Uhr einfach ohne eingreifende mechanische Korrektur vor sich hin laufen und hat alle Korrekturen rechnerisch vorgenommen. Es gehörte zur Routinearbeit eines Observatoriums, den "Gang" der Uhr durch regelmäßigen Vergleich mit astronomischen Beobachtungen zu ermitteln und aufzuzeichnen. Die Uhr kann dann im Laufe der Zeit im Prinzip beliebig "falsch" gehen, man kennt ja die notwendige Korrektur und berücksichtigt diese bei den Rechnungen.


    Die Angabe von Zehntelsekunden war auch im 19. Jhdt. durchaus üblich. Die astronomische Uhr gab ein hörbares Ticken im Sekundenabstand von sich, und der Astronom verglich das im Teleskop beobachtete Geschehen mit dem gehörten Ticken (Auge-Ohr-Methode). Später kamen dann elektrische Aufzeichnungsmethoden auf, wie z.B. das von Lars angesprochene "unpersönliche Mikrometer", das dann sowieso Messungen auf Sekundenbruchteile erlaubte.


    Tschau,
    Thomas

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">
    Das ganze Konzept beruht auf Annahme einer absolut gleichförmigen Erdrotation, die als Zeitnormal geeignet ist. In den dreißiger Jahren hat sich das als Irrtum herausgestellt, als die ersten Quarzuhren an der Physikalisch Technischen Reichsanstalt in Berlin genau genug gingen, um die Ungleichförmigekeit der Erdrotation ans Licht zu bringen.
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Die Eigenbewegungen der Erde Nutuation und Präzession werden im Buch schon behandelt, die Unregelmässigkeiten der Erdrotation fehlen. Die "Refraktion" durch die Atmosphäre wird durch Messungen des Luftdruckes und der Temperatur anhand einer Korrekturtabelle vorgenommen. Die Berücksichtigung der "Parallaxe in Azimut und der Zenitdistanz" des betrachteten Sterns wird nur für Sonne, Mond und Planeten berücksichtigt.


    Spannendes Thema, vielen Dank und Grüsse


    Andreas

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">
    Geht es nun um Sterndurchgänge oder Zenitdistanzen?


    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Hallo Thomas,


    mir geht es hier um Zenitdistanzen. Der Typ war Amateur, Autodidakt und hatte wohl kein Meridiangerät für Sterndurchgänge. Ein Wild T4 ist trotzdem ein Trumm, der Verbleib des Gerätes konnte geklärt werden, es steht in der Gerätesammlung der örtlichen Uni. Er hatte also noch anderes Gerät für die genaue Zeitbestimmung.


    Wundere Dich also nicht. Kommende Woche schlage ich hier mit der Frage auf, wie man die Dicke der Venusatmossphäre anhand des "übergreifens" der Sichelhörnchen bei der unteren Konjunktion berechnen kann. Der Typ hat die ganzen klassischen Themen der Amateurastronomie abgefrühstückt.


    Liebe Grüsse


    Andreas

  • Hast Du Dir den Wikiartikel https://de.wikipedia.org/wiki/Meridiankreis schon angeschaut?
    Dort wird auch auf https://de.wikipedia.org/wiki/Registriermikrometer verwiesen, und dort auf das Wild T4 https://de.wikipedia.org/wiki/Wild_T4.


    Die Synchronisation von Ablesezeitpunkt und Ablesewert hat man ab den 20er Jahren auch fotografisch gemacht (fotografische Kreisablesung).
    Bilder finden sich z.B. im Bericht zum Projekt AGK2 (Astronomische Gesellschaft Katalog 2) der HH-Sternwarte Bergedorf http://www.friedensblitz.de/sterne/glanzzeiten/agk2.html


    Hier das Zeitnormal im Royal Observatory in Greenwich mit dem bis 1949 die BBC ihre Pip-Töne synchronisierte:
    https://www.rmg.co.uk/see-do/w…ulator-dent-pip-pip-clock


    Schon im vorletzten Jahrhundert zeichnete man auf einer Trommel per Knopfdruck den Zeitpunkt eines Durchgangs auf bzw. die maßgeblichen Zeitpunkte vor und danach beim Passieren der Striche im Okular). Der Beobachter blieb dabei mit dem Auge am Okular.
    Parallel dazu wurde auf der gleichmäßig rotierenden Trommel alle zwei Sekunden ein Zeitstempel eines Chronografen festgehalten (siehe dazu
    https://www.rmg.co.uk/see-do/w…lliam-hardy-transit-clock )
    Die Auswertung erfolgte dann im Nachgang durch Ausmessen des Papierstreifens, der über die Trommel geführt wurde.

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: andiarbeit</i>
    <br />Kommende Woche schlage ich hier mit der Frage auf, wie man die Dicke der Venusatmossphäre anhand des "übergreifens" der Sichelhörnchen bei der unteren Konjunktion berechnen kann.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Das war wohl mal eine populäre Fragestellung, hat sich aber offenbar letztlich als Sackgasse erwiesen:


    W. Rabe: Der Dämmerungsbogen des Planeten Venus
    Astronomische Nachrichten, Band 276 (1948), Heft 3, S. 111
    http://articles.adsabs.harvard.edu/full/1948AN....276..111R:


    "Eine kritische Untersuchung aller bisherigen visuellen Messungen der Hörnerverlängerung in der Umgebung der unteren Konjunktion, denen eigene Messungen aus den Jahren 1937 und 1940 beigefügt werden, beweist die Unmöglichkeit, aus Beobachtungen dieser Art die Refraktionskonstante der Venusatmosphäre zu bestimmen. Die erlangten Werte zeigen eine deutliche Abhängigkeit von der Objektivöffnung der benutzten Instrumente und dem jeweiligen Luftzustand."


    Tschau,
    Thomas

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