Zuverlässigkeit antiker Himmelsberechnung

  • Hallo,


    also ich bin eigentlich Historiker und bei weitem nicht so astronomieerfahren, wie die Nutzer hier. Daher möchte ich mich für einige vielleicht zu simpel erscheinende Fragen entschuldigen.


    Ich schreibe derzeit an einer größeren Arbeit über den römischen Kaiser Domitian und innerhalb dieser Arbeit würden mich da schon ein paar astronomische Aspekte interessieren.
    Es gibt ja diverse Programme celestia u.a. mit denen man den Himmelsstand darstellen kann. Jetzt frage ich mich aber, und das ist mein derzeitiges Hauptproblem, wie zuverlässig sind diese Angaben? Es sind ja immerhin schon fast 2000 Jahre her und mir ist da nicht ganz klar, ob sich hier nicht auch die Achsenneigung der Erde verändert hat, so dass sich auch die Sternenkonstellationen verschoben haben könnten und ob diese Programme das auch berücksichtigen?


    Davon hängen ja alle weiteren Untersuchungen und Argumentationen ab.
    Kann mir hier jemand Auskunft und evtl. weitere Empfehlungen geben?


    Es würde mich sehr freuen und ich bedanke mich schon jetzt sehr herzlich für Eure Hilfe.

  • Moin Namenloser!


    Programme wie Celestia, die kostenfrei zu beziehen sind, haben wirklich nicht die Genauigkeit wie die, für man auch bezahlen muß. Das liegt einfach daran, für welchen Zweck die Programme geschrieben sind - Celestia für die 3D-Darstellung von Raumreisen bspw. - Von solchen Programmen kann man nicht zwangsläufig erwarten, daß Präzession der Erdachse und Eigenbewegung der Sterne berücksichtigt sind. (Dazu mal die Bedienungsanleitung lesen!)
    Ich denke, die großen Bezahlprogramme wie Guide, The Sky, Starry Nights oder auch SkyMap liefern verläßlichere Daten für frühere Zeitabschnitte. Aber beachten: Es sind immer nur Simulationen, die - je weiter man sich auf der Zeitachse vor- oder zurückbewegt - auch immer ungenauer werden. Es kommt also sehr drauf an, wie genau Du welche Daten brauchst.

  • Hallo,


    die meisten Programme sollten mit 2000 Jahren Zeitversatz noch keine grossen Ungenauigkeiten haben.
    Die Gestalt der meisten Sternbilder war vor 2000 Jahren der heutigen recht ähnlich. Der Himmelspol war gegenüber der heutigen Position um etwa 11° verschoben. Ausserdem war der Himmel etwa 1,5 Stunden früher dran, d.h. der Himmel zu einer bestimmeten Jahreszeit war vor 2000 Jahren um Mitternacht etwa so wie heute um 1:30 Uhr.


    Gruss Heinz

  • Hi!


    Das hängt davon ab, wie genau das Programm rechnet - Die Einflüsse der Präzession der Erdachse oder der Eigenbewegung der Sterne sind zumindest für so kurze Zeiträume wie ein paar Jahrtausende hinreichend genau bekannt - zumindest, wenn du sie mit visuellen Beobachtungen vergleichst.


    Mit die beste Genauigkeit bietet Guide 8, zur Rechengenauigkeit verweis ich mal auf die Homepage http://www.projectpluto.com/accuracy.htm - da stehen auch die Abweichungen drin.


    Ich habe gerade mal eine (ziemlich alte) Version von Stellarium (http://www.stellarium.org) gestartet und auf das Jahr 50 gesetzt, das Programm scheint die Präzession auf jeden Fall auch zu berücksichtigen. Vorsicht ist allerdings bei der Datumsangabe angesagt, z.B. Stellarium warnt einen nicht, wenn man julianisches und gregorianisches Datum vermischt. Guide 8 berücksichtigt auch die Kalenderreformen und warnt bzw. lässt einen auswählen.


    Langfristig (also im Lauf von mehreren hundert Millionen Jahren) verhalten die Planetenbahnen sich zwar chaotisch, aber das ist für die Menschheitsgeschichte egal:-)


    Eine Ausnahme sind Kometen: Die sind so klein, dass sie durch die Schwerkraft von Planeten oder durch Kollisionen abgelenkt werden können, daher kann nicht mit absoluter Genauigkeit gesagt werden, seit wann ein Komet die Bahn beschreibt, die er heute hat.


    Ich hoffe, das hilft dir weiter.


    Gruß,
    Alex

  • Hi,
    anhand von Berichten über Sonnenfinsternisse kann man recht genau sagen, ob die Programme was taugen. Solche Ereignisse sind in der Vergangenheit immer wieder festgehalten worden. Wenn man da um eine Stunde daneben liegt, dann verschiebt sich der Ort auf der Erde (in Äuquatornähe) schon mal gleich um 1600 km und man hätte es als Feldherr/Wahrsager etc. dann nicht erlebt.


    Mathematisch ist das eh ein Kinderspiel für Programme und gehört zum Standardrepertoire. Wichtig ist, dass die Bahndaten richtig erfasst sind, was für die Planeten kein Thema sein dürfte. Für irgendwelche Exoten allerdings schon. Nur was sah man denn in der Antike ohne Teleskop.
    Schon Ptolemäus hatte bei seinem Sterntabellen den Effekt der Präzession versucht zu korrigieren, als er auf ältere Sterndaten von Hipparchos zurückgriff. Zum Glück hatte er sich verrechnet, so dass man heute im nachhinein anhand dieses Positionsfehlers genau diese Altdaten erkennt.


    Gruß

  • Also: Guide, CdC, Stellarium und jedes bessere Programm berücksichtigen auf jeden Fall die Präzession. Ansonsten schmeiss es in die Tonne.


    Sonnenfinsternisse sind wegen weil Delta T SEHR kritisch, denn Delta T kann man nicht ausrechnen, sondern NUR aus den alten Beobachtungen nachträglich bestimmen. Das ist vom erkenntnistheoretischen Standpunkt her etwas bedenklich! Für fast alle anderen Zwecke ist das kein Problem, weil die zeitliche Genauigkeit antiker Beobachtungen ziemlich gering sein dürfte. Totalitätsstreifen von Sonnenfinsternissen verschieben sich aber um hunderte Kilometer in Länge, wenn Delta T falsch angenommen wurde. Das verursacht Unsicherheiten, wie man sich leicht denken kann.


    Die gravitativen Effekte auf Kometen sind anders als oben gesagt heutztage mit Orbit-Integratoren leicht auch über lange Zeiträume berechenbar, und für Planetenephemeriden muss man die wechselseitigen Anziehungskräfte auf jeden Fall ebenfalls berücksichtigen. Meistens tun das die Planetariumsprogramme nicht selbst, sondern holen sich die oskulierenden Bahnelemente aus Dateien. Von daher stimmt es nicht, dass Kometen in dieser Hinsicht "eine Ausnahme" bilden. Das Problem sind bei Kometen nichtgravitative Kräfte, die z.B. durch das Ausgasen des Kometen zustande kommen. Die sind nicht vorhersagbar, sondern müssen ebenfalls aus Beobachtungen nachträglich ermittelt werden und sind auch nicht auf lange Sicht konstant. Bis in die Antike zurück kann sowas Jahre Unsicherheit in der Perihelzeit bewirken, und ein paar Wochen Fehler in der Perihelzeit verschieben den Kometen in eine komplett andere Himmelsgegend oder machen aus einem leichten Objekt für das bloße Auge ein teleskopisches Objekt. Wie gut, dass die Chinesen bis in die Antike hinein so gut Buch geführt haben, aus diesen Quellen konnte man so einiges rekonstruieren!



    Ich würde dringend Guide empfehlen und die schon erwähnte Seite konsultieren. Bill Gray kümmert sich ernsthaft um die Verwendbarkeit für antike Sachen, und Du kannst ihn auch immer fragen, was sein Programm intern veranstaltet.


    Hartwig

  • Hallo,


    zunächst einmal vielen Dank für die sehr guten und sehr ausführlichen Hinweise.


    Danke für die Software-Hinweise. Ich hatte bisher StarCalc,Asynx Planetarium und das bereits angesprochene Stellarium herangezogen.
    Es geht in der Tat um teilweise sehr präzise Daten, jedoch weniger spektakulär als ein Komet etc. wie er beispielsweise nach Caesars Tod als sidus Iulius erschienen und von Augustus auch medial ausgeschlachtet worden ist.
    Es geht eigentlich um sehr einfach Angaben von Sonne, Mond und Sterne, die allerdings in der Wissenschaft nicht recht beachtet zu werden scheinen. Man hält das für eine einfach unbedeutende Angaben oder dichterische Freiheiten - zumindst in der neueren Literatur wird hier sehr viel Skepsis aufgefahren. Ich dagegen bin der Ansicht, dass es zumindest eine Art Signatur der Echtheit ist, so eine Art Zeitstempel, den die antiken Autoren hier hinterlassen haben. In einem Beispiel-Fall, dem man - wie den übrigen Hinweisen auch - so gut wie keine Beachtung schenkt, heißt es, Domitian (der sich auch sehr für Astronomie/logie interessiert hatte) habe vorhergesagt, dass am Tag seiner Ermordung = 18. September 96 n. Chr. sich der Mond im Sternbild Wassermann blutrot färben würde. Nach den von mir verwendeten Programmen steht der Mond im Übergang vom 17. zum 18. September in einer deutlich sichtbaren Phase tatsächlich im Wassermann. Wenn den Programmen zu trauen ist, dann wäre diese Konstellation zu diesem Datum erst wieder im Jahr 115 n. Chr. aufgetreten. Das Werk Suetons soll um 120 n. Chr. veröffentlicht worden sein. Wenn es sich um eine Konstellation handeln würde, die sich erst nach knapp 20 Jahren wiederholen würde, dann ist das ein durchaus bemerkenswerter Hinweis, den man genauer untersuchen sollte, auch deshalb weil es viel über die Präzision von Suetons Arbeit bzw. Angaben zu diesem Punkt aussagen könnte. Hinzukommt der sehr wahrscheinlich noch viel wichtigere Bedeutungsgehalt dieser Himmelskonstellation für den antiken Menschen. Interessant wäre natürlich auch nachweisen zu können, dass sich dann der Mond tatsächlich rot verfärbt haben könnte. Wenn es auf atmosphärischen Verschmutzungen (Vulkan etc) beruhen würde, müsste dann der Mond nicht jeden Tag gerötet gewesen sein?


    Meine Hauptbedenken bezüglich der Programme hatte ich bei dem von Alex angesprochenen Punkt der Kalenderreformen, ob in den Programmen einfach von heute zurückgerechnet wird oder ob auch diese Verschiebungen berücksichtigt werden. Ich werde mir dieses Programm Guide 8.0 dann noch einmal ansehen. Ihr habt mir damit schon viel geholfen. Vielen Dank sagt


    Andrea

  • Hallo,


    das ist nun keine simple Frage auf den zweiten Blick.


    1. Planateriumsprogramme wie Guide 8 z.B. erfassen die Eigenbewegung von Sternen (zumindest die für die Eigenbewegungen bekannt sind) und stellen somit den Sternenhimmel zum Zeitpunkt 0 korrekt dar.


    2. Ob das Programme celestia das auch macht, da bin icu überfragt.


    3. Über die Präzession wurde ja weiter oben schon was gesagt, d.h. der heutige Polarstern im kleinen Bären war vor 2000 Jahren eigentlich gar kein Polarstern, da 11° daneben!


    4. Bei Ereignissen auf den es um eine hohe zeitliche Genauigkeit ankommt (z.B. Sonnenfinsternisse) sieht es wiederum anders aus, aber das war ja nicht deine Frage.


    5. Bei Planetenkonstellationen liefern Planetariumsprogramme wie Guide 8 auch hinreichend genaue Angaben für den Zeitrum [0...2000]


    Gruß
    Lots

  • Hi,
    Sonnenfinsternisse sind so kritisch, dass sogar Veränderungen der Mondbahn und der Erddrehung aufgrund der Gezeitenreibung eine Rolle spielen. Bekanntlich entfernt sich der Mond langsam dadurch und Erdtage werden dadurch länger.


    Wenn man über die Antike hinaus etwas größere Zeiträume betrachtet dann könnte auch noch die Plattentektonik eine Rolle spielen, oder Änderungen des Höhenprofils der Erde aufgrund Eisablagerungen in den Eiszeiten (Einfluss auf die Erdrotation). Spätestens hier kämen dann die Programme ins Schlingern, wenn sie den Himmel für eine bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt beschreiben wollen. OK, Dinos haben wahrscheinlich keine Beobachtungsinfos über Sonnenfinsternisse hinterlassen. [:D]


    Gruß

  • Hi Andrea,


    ich habe das mit der Mondfinsternis (MoFi) mal in Guide 8 durchgespielt und tatsächlich gab es diese! Allerdings am 20.10.96 Die Differenz Julianischer Kalender zum Gregorianischen Kalender betrug 2 Tage. Deshalb nicht 18zenter sondern 20zigster!


    Es war übrigends nach Guide 8 eine partielle und keine totale MoFi. Also dürfte sich der Vollmond nicht rötlich gefärbt haben sondern war nur als "Sichel" sichtbar.


    Am 20.09.96 war Vollmond aber in Guide 8 keine Finsterniss verzeichnet!


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"> Interessant wäre natürlich auch nachweisen zu können, dass sich dann der Mond tatsächlich rot verfärbt haben könnte. Wenn es auf atmosphärischen Verschmutzungen (Vulkan etc) beruhen würde, müsste dann der Mond nicht jeden Tag gerötet gewesen sein?<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Nein, das wäre nicht der Fall, höchstens bei Mondauf-und Untergang. Ansosnten kann man jedoch sagen wenn vor einer totalen MoFi ein Vulkanausbruch statt gefunden hat (auch ein paar Jahre vorher) dann ist der "rote" Mond bei einer MoFi sehr dunkel fast bräunlich-rot. Während er bei einer normalen MoFi (ohne Vulkanausbruch) eher Kupfer-rot erscheint. Es gibt da zu die http://de.wikipedia.org/wiki/Danjon-Skala


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">Meine Hauptbedenken bezüglich der Programme hatte ich bei dem von Alex angesprochenen Punkt der Kalenderreformen, ob in den Programmen einfach von heute zurückgerechnet wird oder ob auch diese Verschiebungen berücksichtigt werden.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    In Guide 8 kannst du auswählen nach welchem Kalender du rechnen willst, also wird auch der zu der Zeit verwendete Julianische Kalender unetrstützt!


    Gruß
    Lots

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">heißt es, Domitian (der sich auch sehr für Astronomie/logie interessiert hatte) habe vorhergesagt, dass am Tag seiner Ermordung = 18. September 96 n. Chr. sich der Mond im Sternbild Wassermann blutrot färben würde.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Im Originalzitat
    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">"To-morrow the moon in Aquarius will be bloody instead of watery, and an event will happen, which will be much talked of all the world over."<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    scheint von einem Stern<i>bild</i> keine Rede zu sein. Es ist wohl den Gepflogenheiten entsprechend eher eine Stellung des Mondes im Stern<i>zeichen</i> Wassermann gemeint, also eine ekliptikale Länge zwischen 300° und 330°. Dazu würde passen, dass das Zeichen Wassermann zumindest damals als "wässrig" galt:
    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">Aquarius, in its general character, is cold and watery.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Für den 18. September 96 (jul.), trifft, soweit ich auf die Schnelle sehe, diese Interpretation der Positionsangabe ebenfalls zu. Bei der Suche nach anderen möglichen Datierungen wäre der Unterschied ggf. zu berücksichtigen (die Grenzen des Sternzeichens sind scharf definiert, die Grenzen des Sternbilds nicht).


    Im Zweifelsfalle wäre evtl. auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es sich nicht um eine beobachtete, sondern um eine von einem Astrologen berechnete (und vielleicht nicht sehr genau berechnete) Mondsstellung handeln könnte.


    Tschau,
    Thomas

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!