Beobachtungstraining - Beobachtungserfahrung

  • Hallo Deep Sky Freunde,


    dass neben dem Talent und der Grundempfindlichkeit der Augen die Erfahrung beim Beobachten schwacher Deep Sky Objekte eine große Rolle spielt, ist hinlänglich bekannt. Der Alte Hase sieht mit 8 Zoll oft mehr als das Greenhorn mit 12". Aber welchen Einfluss hat der augenblickliche "Trainingszustand"?


    Mir ist in den letzten Jahren immer wieder aufgefallen, dass ich nach längeren Beobachtungspausen wesentlich früher an meine Grenzen stoße. Ich brauche länger, um Details zu erfassen - in Grenzfällen bin ich unsicherer, ob das, was da ab und zu aufblitzt, echte weitgereiste Photonen sind. Ich ertappe mich bei der Suche nach Alibi Schuldigen: Spiegelschicht kaputt? Okular verschmotzt? Schlechtes Wetter? Spontan gestiegene Lichtverschmutzung? Etwa so, wie die Ernüchterung beim Rennradfahren nach der Winterpause: An jeder kleinen Steigung denkt man, dass die Bremse schleift, oder dass jemand heimlich Blei in die Schuhe gegossen hat.


    Ganz anders bei regelmäßiger Beobachtung in einer Schönwetterperiode: Aufbauen, einjustieren, aufsuchen, herausvergrößern - alles wird zur geschmeidigen Routine. Derartig motiviert lande ich in solchen Phasen häufiger bei den Grenzobjekten. Die Sicherheit steigt enorm, ob z.B. der 17 mag Hintergrundsfuzzy 2MASX J...007 "oben links im Okular" tatsächlich da ist, auch wenn er nur 5% der Zeit unter Augenverbiegen aufblitzt. Man fühlt regelrecht, wie jedes aufgeschlagene Photon das Glücksgefühl steigert.


    Habt ihr auch solche "Deep-Sky-Dissbalancen"? oder muss ich zum Psychologen?

  • moin,
    diesen Trainingseffekt habe ich am krassesten beim Aufsuchen beobachten können. War es ganz am Anfang schwer die Andromedagalaxie zu finden, so ist das heute so ein Stadard geworden, dass das ganz schnell geht. Dafür frickelt man dann an komplizierteren Objekten länger.


    Bei den Objekten selbst habe ich das Training auch bemerkt. Man lernt den Himmel einfach kennen. Und ich schätze mal den größten Beitrag dürfte das Training des indirektens Beobachtens bringen. Ich muss das nach einer langen Wolkenperiode immer erst wieder üben.


    Also, sind wir nur soweit ein Fall für den Psychologen, wie es jeder Mensch sein sollte^^
    grüße,
    Jonas

  • Hallo Stathis,


    ich sehe da mehrere Faktoren im Spiel.
    - Nach einigen Wochen Abstinenz durch schlechtes Wetter oder einfach keine Zeit muß man sich wieder in die Materie "Einsehen". Das kann eine halbe Nacht dauern, bis man wieder drinnen ist.
    - Beim Spontanbeobachten nach einem sehr anstrengenden Tag sehe ich oft nur die Standardkerzen, zu vieles andere geht einem im Kopf herum, man beobachten nicht entspannt genug.
    - Ganz generell - wir werden auch nicht jünger, bei mir lassen die Augen schon langsam nach.
    - Falsch gegessen, zu viel z.B., Völlegefühl im Magen und schon ist ein gewisses Schweregefühl da, das einem nicht mehr erlaubt, sich voll zu konzentrieren.


    Wenn ich die Möglichkeit habe, mehrere Nächte hintereinander beobachten zu können, dann kommt man viel leichter an die schwierigen Objekte heran, ich sehe das vor allem bei meinen Zeichnungen und deren Details, wenn ich an verschiedenen Abenden bei gleichen Bedingungen ein und das selbe Objekt zeichne. Die zweite Nacht ist meist die beste, oft auch, weil man das gleiche Objekt sich noch einmal vornimmt und das Gehirn das Gesehene noch im "Kurzzeitspeicher" vorhält.


    So gesehen lohnt es sich für mich, Zeiten auszuwählen, an denen ich wenig beschäftigt bin und weiß, mehrer Nächte vor mir zu haben.


    Liebe Grüße
    Winfried

  • Hallo Stathis,


    das fängt doch schon beim Beladen des Autos an. Nach einer längeren Pause muss ich schon genauer überlegen, was alles eingepackt werden muss. Wenn ich häufiger Beobachten war, muss ich kaum darüber nachdenken, ob ich evtl. etwas vergessen habe.
    Beim Aufbauen dann das Gleiche, die Handgriffe sitzen ohne permanente Übung einfach nicht so gut.
    Als nächstes kommt dann die Orientierung am Himmel. Schiet, dass sah doch beim letzten mal noch ganz anders aus, wo ist jetzt was?
    Und beim Blick ins Okular setzt sich das Ganze fort. Nicht nur bei Deepsky, auch die Detailerkennung bei Planeten muss erst mal wieder etwas Routine bekommen.


    M.E. kannst du dir den Besuch beim Seelenklempner ersparen. Der wird dich grenzgrössenmässig nicht weiterbringen [;)].


    Gruss Heinz

  • Hallo,
    Winfrieds Beitrag beschreibt im Groben auch meine Erfahrung.
    Dazu kommt noch, dass wir normal keine nachtaktiven Lebewesen sind.
    Wenn aber die körperlichen Voraussetzungen stimmen, brauche ich weniger als eine halbe Nacht, um wieder "drin" zu sein.


    Es hilft bei längeren Schlechtwetter-Perioden sehr viel, zwischendrin Wolkenlücken zum Spontanspechteln zu nutzen, auch mit kleinem Gerät oder mit bloßen Augen. Bei ständig bewölktem Himmel hilft zur Not auch mal ein Nachtspaziergang in einer unbeleuchteten Gegend, womit man zumindest mal wieder das dunkeladaptierte Sehen üben kann.
    Hier sind natürlich Großstadtbewohner klar im Nachteil.


    Ich komme z.B. dienstags abends gegen Mitternacht immer vom "Spiegelschleifer-Stammtisch" an der VSWM nach Hause. Wenn das Wetter klar ist, halte ich unterwegs an einer dunklen Stelle an, hole mein 10x50 Fernglas raus und beobachte 10-15 Minuten lang eine Handvoll Messiers aus dem Gedächtnis.


    Das Üben mit kleiner Öffnung steigert die Wahrnehmung auch an großen Optiken! Viele von uns haben erlebt, wie viel mehr man dann plötzlich beim Umstieg auf mehr Öffnung sieht!


    Um Vergleichsmöglichkeiten zu haben, beobachte ich als Einstimmung grundsätzlich erst mal ein paar bekannte helle Objekte, Deren sichtbare Details habe ich schon im Gedächtnis eingespeichert und kann so schnell entscheiden, ob ich anschließend gemütlich weiterspechtle oder mir ein paar "Hardcore-Objekte" reinziehe.


    Gruß,
    Martin

  • Hi Stathis,
    eben mal spechteln leidet bei mir nicht unter Trainingsmangel, sondern unter ungenügender Vorbereitung. Da packt man das Auto, dann fährt man erst mal zum Ziel, dann hat man noch tausend Sachen im Kopf. Am Teleskop rätselt man, wo was liegt, wie man welches Schräubchen drehen muss etc. pp.


    Ein gutes Beispiel, dass dies weniger mit "Training" als mit Gewohnheit zu tun hat, liefern Experimente, dass das Auge/Hirn einige Zeit braucht um aus einem Kopfüberbild ein normales zu machen. Gleiches, wenn man mit dem Auto in einem Land mit Linksverkehr fahren muss. Klar kann man das als Training bezeichnen, aber ich würd's mit "fehlender Praxis" umschreiben. Training bedeutet für mich die Leistungsgrenze "verschieben" durch Vorbereitung und Wiederholung von Übungen. Hier geht's aber erst mal darum, die Leistungsgrenze zu erreichen.


    Trainieren kannst Du meinetwegen die Feinmotorik, ohne Telrad bei 100x frei aus der Hüfte den Dobson so hinzustellen, dass das Zielobjekt im Okular erscheint, oder die ISS nicht herauswandert. So wie im Film die Westernheldern, die Münzen im Flug aus der Hüfte treffen.


    Was durch Übung besser wird, ist das Beurteilungsvervögen. Aber ich glaube, das liegt an den (im Gedächtnis präsenten) Vergleichsmöglichkeiten. Es erinnert an diese Bildvergleichsspiele, wo man in einem von zwei Bildern nach dem Fehler suchen muss.


    Gruß


    PS: Trainieren tut man das Auge eh schon den ganzen Tag. Das kommt nicht aus der Übung, oder Du trägst eine Augenbinde. Im Bereich der Mustererkennung kann man sicherlich Trainingseffekte erzielen. Aber das dürfte mehr die Verarbeitung im Hirn betreffen (z.B. Schachstellung) oder die Umsetzung in Motorik (Reaktionsverhalten beim Start zum 100m-Sprint). Ansonsten ist Mustererkennung eine Gedächtsnisfrage (siehe Memory-Spiel).

  • Hi Stathis, ich bin kein Physiologe oder Neurologe, sondern nur ein Informatiker, der schon mal mit Neuronalen Netzen gearbeitet hat. Die 'trainiert' man ja auch auf bestimmte Aufgaben wie z.B. ein B unter verschiedenen anderen Musern zu erkennen.
    Wenn dieses Netz jetzt eine ganze Weile lang trainiert hat, ein C zu erkennen, und man stellt wieder auf Bs um, dann ist anfänglich die Erkennungsrate für Bs wieder schwächer. Theoretisch gibt es sogar die Möglichkeit, dass man ein Netz gezielt so trainiert, dass es nie wieder von allein so gut wird, wie vor der 'Umerziehung'...wenn das mit den Neuronen im Gehinr genau so wäre - dann mal gute Nacht, nicht nur bei der Astronomie.
    DS, Holger

  • Hi Stathis,
    ich kann das nur bestätigen.
    War ich längere Zeit nicht draußen, dann suche ich mich oft schon nach einfachsten Objekten dusselig. In der 2. oder folgenden Nacht finde ich dann alles wesentlich einfacher. Da ich meine Augen aber nun nicht den Tag über geschlossen halte sondern durchaus auch schönen Dingen nachschaue, kann es nicht an der Dunkeladaption alleine liegen.
    Somit ist es doch eine Art von Training. Die Augen sehen und das Gehirn ist auf ein Suchmuster vorsensibilisiert.
    So gelingt es dann wahrscheinlich nach Stunden oder der 1. Nacht besser, die gespeicherten Suchmuster wieder vom "Desktop" abzurufen als nach längerer Pause in den Tiefen der "Festplatte" die entsprechende Datei wieder zu finden.
    Bei Windoof gibt es unter Vista den Button "zuletzt verwendet".
    Egal in welcher Ecke des Gehirns es gespeichert ist wird ein direkter Link angelegt. Erst wenn viele andere Eindrücke festgehalten werden, verschwindet das "Himmelsbild" und muss erst wieder am Originalspeicherplatz gesucht werden.
    CS
    Dieter

  • Hallo Kalle,
    Du berücksichtigst zu wenig die Tatsache, dass bei Deepsky-Beobachtung im dunkeladaptierten Zustand die Sehzellen, die sonst (am Tag) für die Detailerkennung zuständig sind, allesamt keinerlei Signal mehr liefern, nur noch ein wenig Rauschen. Außerdem fehlt die Farminformation komplett.
    Dazu ist unser Gehirn nicht darauf eingestellt, die Umrisse seltsamer Objekte direkt ans Bewusstsein weiter zu reichen.
    Üblicherweise werden statt dessen eine ganze Kette von Vorfiltern aktiv, die den Sinneseindruck bearbeiten, bevor er zum Bewusstsein gelangt.


    Für das Indirekte Sehen müssen wir einmal trainieren, mit einem Bereich der Netzhaut Detailinformationen wahrzunehmen, der sonst nur für grobe Konturen und vor allem Bewegungen zuständig ist.
    Außerdem müssen wir trainieren, die komischen milchigen Flecken direkt ins Bewusstsein zu transportieren und mit dem Verstand zu bewerten statt per "Automatik".
    Dazu kommt noch, dass wir die Augenmuskeln weitgehend entspannen müssen. Fokussieren sollte man am Teleskop ja nur mit dem Okularauszug, nie mit dem Auge. Auch das erfordert Training.


    Ein weiterer Punkt ist das Aufspüren von Deepsky-Objekten in einem Sternfeld beim Abscannen des Himmels. Das muss wiederum per "Automatik", also mit unterbewusster Wahrnehmung, passieren.
    Einem geübten Beobachter fallen auch schwache Nebelflecken in relativ dichten Sternfeldern sofort auf, wo ein Anfänger einfach nur herumstochert und nix findet.


    Alle diese Dinge verschlechtern sich bei mir, wenn ich längere Zeit nicht mehr astronomisch beobachte. Wenn ich aber wach und gesund bin, kann ich mich ziemlich schnell wieder darauf einstellen, zumindest auf 90-95% der maximalen Wahrnehmung.


    Gruß,
    Martin

  • Hallo Stathis.


    Ich habe (berufs- und Wetterbedingt) eine längere Spechtelpause hinter mir. DS hab'ich schon eewig nicht mehr beobachtet, nahe Objekte (Mond, Planeten, Sonne in weisslicht & H-Alpha) auch mehrere Wochen nicht mehr.


    Ich kann Deine - und auch die von Kalle - Erfahrung nur bestätigen:


    Wenn man länger nicht mehr am Okular war, verlernt man einen Teil der Beobachtungserfahrung. Und auch die Handgriffe beim Auf- und Abbau der Gerätschaft sind nicht mehr so geschmeidig.


    Heinz' Einwand <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">M.E. kannst du dir den Besuch beim Seelenklempner ersparen. Der wird dich grenzgrössenmässig nicht weiterbringen [;)].
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    kann ich mich anschliessen. Kein Seelenklempner wird Dich Grenzgrössenmässig weiterbringen! Aber falls Du trotzdem einen solchen aufsuchen möchtest, dann wüsste ich einen Psy, dem das Wort "Grenzgrösse" wenigstens geläufig ist... [:D]


    (und sonst wird's hald wieder mal Zeit, ein grösseres Teleskop zu bauen...[:D])


    Liebe Grüsse und klare Sicht!

  • Hi,
    ich bezweifle, dass man durch "Training" die Lichtempfindlichkeit der Sehzellen steigern kann. Was allerdings dahinter im Nervensystem und im Gehirn passiert ...


    Es gibt ja solche Fälle, wo jemand durch einen "Unfall" (Blick in die Sonne) auf dem Punkt des schärfsten Sehens erblindet und fortan gezwungen ist indirekt zu sehen, mit klarem Vorteil für Deepsky-Nächte. Genauso wie Rechtshänder nach einer Krankheit/Unfall noch mit 50 das linkshändige Schreiben lernen. Aber sicher nicht durch eine "handvoll" Tage, wenn man ansonsten zur alten Gewohnheit zurück kehrt.


    Gruß

  • Hi Stathis,


    den Doc kannst du dir sparen [:)]


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">...in Grenzfällen bin ich unsicherer, ob das, was da ab und zu aufblitzt, echte weitgereiste Photonen sind<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">Exakt das ist es.
    Beobachtungserfahrung definiere ich ganz klar in der Fähigkeit Details (ob klein oder schwach) sicher wahrzunehmen.
    Und genau dies muss antrainiert werden, bzw. benötigt Erfahrung. Ich merke ab einer Pause von etwa 2 Monaten, dass diese Sicherheit gerade bei schwachen Details rapide sinkt.


    Viele Grüße, uwe

  • Hi Stathis,


    Sehr interessante Frage! Mir geht es ähnlich wie den meisten hier. Nach längerer Pause brauche ich oft mehrere Stunden, wenn auch nicht eine ganze Nacht, um mich wieder an die
    Faint Fuzzies zu gewöhnen.
    Ich glaube behaupten zu können, dass ich ganz gute Augen im Kopf stecken habe (120% Sehschärfe sowie 8mm AP [:O]), jedoch brachte mir ein Vergleich mit erfahrenen (älteren) Beobachtern, dass diese nicht wirklich weniger sehen, als ich selbst. Daher denke ich, spielt "Training" beim Erkennen von schwächsten Kontrasten wirklich eine große Rolle. Ich würde sagen: Der Profi sieht im 70mm Scope oft mehr als der Anfänger im 8" Dobson.


    Viele Grüße


    Nils

  • Hi zusammen,


    ich hasse solche Themen, aber bei Schlechtwetter besser wie nix.


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"> Habt ihr auch solche "Deep-Sky-Dissbalancen"? oder muss ich zum Psychologen?<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Ja, manchmal bin auch ich am verzweifeln, schiebe es dann aber immer auf die Himmelsqualität (Durchsicht, Seeing).


    Ich denke manchmal nimmt man sich einfach zuviel vor. Die besten Nächste sind eigentlich die an denen man sich nichts vornimmt. Dann wird man immer positiv überrascht (Ah IIS im Okular super, oder AH ein heller Bolide oder ah endlich diese verd.... Galaxie gesehen, Jipii).


    Gruß
    Lots

  • Hallo!


    Auch wenn es hier hauptsächlich um Deep Sky geht - es ist eine alte Weisheit, daß jede visuelle Jupitersaison immer wieder von vorn beginnt. Und wenn man dann so richtig drin ist, ist der Jupiter wieder weg! Ich kann das nur bestätigen!


    Gruß, Michael.

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