Kann man gutes Seeing hören?

  • Hallo zusammen,


    die Frage scheint zunächst etwas absurd, es ist auch zu klären, was "gutes Seeing" eigentlich ist.
    Ich erwarte auch nicht, dass ich hier ein eindeutige Ja oder Nein bekomme, vielmehr möchte ich euer Augenmerk - nein -Ohrenmerk - auf die Geräusche in der Nacht lenken.
    An meinem Standort gibt es in einigen km Entfernung eine Autobahn, deren Rauschen ist allgegenwärtig. Ich meine festgestellt zu haben, dass bei gutem Seeing das Geräusch gleichförmiger und ruhiger ist. An anderen Tagen kommen diese eher "schwallartig" an meinen Ohren an. Darauf hin habe ich nach hochfliegenden Jets "hin"-gehört. Auch hier die selbe Erfahrung.
    Grundsätzlich würde ich die Erfahrung in etwa mit dem "flackern" der Sterne gleichsetzen wollen. Seht ihr das ähnlich? Es gibt sicher auch Leute mit feinerem und ausgebildetem Gehör hier im Forum, habt ihr da Erfahrungen?
    Viele Grüße,
    ralf

  • Interessante Überlegung - wenn jeder eine Autobahn in seiner Nähe hätte, könnte das Verfahren vielleicht ein Kriterium werden... :) aber im Ernst: ich denke schon, dass sich etwas über die Windverhältnisse aussagen lässt, aber komplexe Luftschichtungen wird man wohl schwer "heraushören" können. Interessant aber allemal, darüber mal nachzudenken!


    lg
    Niki

  • Hallo Zusammen,


    Zugegeben musste ich den Titel dieses Threads erst zwei mal lesen :)
    Aber ja, jetzt wo ich das lese, meine ich, dass ich das mit den Flugzeugen auch schon registriert habe in einer recht „guten“ Nacht.
    Für weitere Ergebisse werden Augen und Ohren gespitzt :)

  • Hallo Ralf,


    die Beobachtung ist absolut valide. In der gerade zu Ende gehenden Hochdruck-Periode fiel mir dies bereits seit Wochen genau so auf. Unterhalb der hiesigen Flugstraßen Frankfurt-Freiburg-Zürich sowie Frankfurt-Straßbourg-Mulouse-Lyon östlich und westlich der Rheinebene sind Flugzeuge durchgehend mit einem auffallend gleichmäßigen, fast "sturen" Ab- und Anschwellen des Fluggeräusches wahrnehmbar. Dies gilt für tags und für nachts. Zu anderen Wetterlagen erreichen die Fluggeräusche mit starkem rythmisch, periodischen Ab- und Anschwellen den Boden, unabhängig von der zu Grunde liegenden Flugbewegung.


    Beste Grüße


    Dietmar

  • Moin Sternfreunde. Es gibt Leute die unterscheiden Seeing ja von Transparenz. So könnte es bei Nebel zwar mächtig intransparent sein, jedoch gutes Seeing haben. Für mich gehört zu einem giluten seeing beides. Das mit den Geräuschen ist mir noch nicht aufgefallen. Allerdings ist die Autobahn auch zu weit weg. Im Winter bei guter Schneedecke ist es lediglich allgemein leiser, da der Schnee den Schall schluckt. Grüßles

  • Hallo zusammen,
    gemeint ist tatsächlich nur die Schärfe, nicht die Durchsicht. Aber auch hier gibt es meiner Meinung nach 2 Parameter. "Die Weichheit" bzw. "Verschwommenheit" eines Sterns und das Maß seiner "Bewegung" in den 3(!) Achsen.
    Die Korrelation mit einem Hintergrundrauschen kann ich hier nicht gut zuordnen.
    Danke für eure Beiträge und Einschätzungen.
    Kennt jemand Literatur bei der das Thema Seeing (allgemein) detailliert behandelt wird.
    Danke und Gruß,
    ralf

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: 30sec</i>
    <br />Kennt jemand Literatur bei der das Thema Seeing (allgemein) detailliert behandelt wird.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Ich finde das sehr gut:
    https://www.handprint.com/ASTRO/seeing1.html
    https://www.handprint.com/ASTRO/seeing2.html


    Auf deutsch kenne ich leider nichts ähnlich detailliertes.


    Gruß
    Wolfgang

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: Cancride183</i>
    <br />Es gibt Leute die unterscheiden Seeing ja von Transparenz. So könnte es bei Nebel zwar mächtig intransparent sein, jedoch gutes Seeing haben.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Wer unterscheidet denn <b>nicht</b> Seeing und Transparenz?

  • Hi,


    das ist ja mal ein interessanter Ansatz, ich wird mal meine Ohren genauer spitzen. Flugzeuge gibt es ja genug in der Nacht...


    Am Ort kann ich es vergessen, wegen Wohnen an Hauptstraße, aber auf dem Feld.


    Thematisch könnte ich es verschiedenen Beugungen an unterschiedlichen Dichten deuten. Ein Flugzeug macht ja 1 km in 3 Sekunden, wenn die Ausbreitung da durch eine andere Luftmassendichte läuft. Die Geophysiker machen das ja im Prinzip auch...


    CS,
    Walter

  • Hallo Wolfgang, Dominik und Walter,
    ich habe ganz vergessen mich für eure Beiträge zu bedanken. Ganz besonderer Dank geht an Wolfgang. Leider lese ich das Englisch nicht mal so eben runter, deshalb habe ich bisher die Texte nur überschlagen, scheinen aber sehr brauchbar für mich zu sein. Danke.
    Ich habe heute gelernt, wie der Rauch eines Schornsteins eine Inversionswetterlage anzeigen kann. Wäre fürs Seeing vielleicht auch interessant. (habe aber keine Schornsteine hier)
    Viele Grüße,
    ralf

  • Hallo Ralf,


    durchaus eine Beobachtung, die ich auch schon gemacht habe, wenn auch nicht wirklich darüber nachgedacht.
    Hauptgrund für gutes Seeing ist ja in eine laminare Schichtung der Luft bei gemäßigter Strömungsgeschwindikeit, also geringer Wechsel in der Bewegung.
    Ich würde es so erklären: Durch die gleichmäßige Bewegung wird natürlich auch Schall gleichmäßiger Übertragen, dazu entstehen weniger Störgeräusche durch Wind.
    Eine kontinuierliche Schallquelle wird also gleichmäßiger wahrgenommen. Schon alleine dadurch, dass am Ohr keine wechselnde(!) Windgeräusche wahrgenommen werden.
    Unser Ohr und die MDV (Menschliche Datenverarbeitung) reagieren auf ein Delta im Schalldruck empfindlicher als auf eine gleichmäßige Schallquelle. Fällt das Delta durch ruhige Luft weg, liegt die Konzentration stärker auf die übrig gebliebenen Geräusche. Beispiel: Das Geräusch eines ruhig laufenden Motors kann man fast vollständig ausblenden. Ergeben sich im Motor unregelmäßige Störgeräusche, hört man die sehr schnell raus auch wenn diese deutlich leiser sind als der Grundpegel und man sucht eine Werkstatt auf ;)


    Gruß Dirk

  • Hi Ralf!


    Dass hier ein Zusammenhang existiert, ist für mich schon einleuchtend. Allerdings habe ich noch nie systematisch darauf geachtet, ob flackernde Geräusch wirklich immer mit schlechtem Seeing in Verbindung stehen.


    Mal ein paar Überlegungen von mir dazu, ohne dass ich behaupten könnte, das Phänomen auf eine einfache Formel bringen zu können.


    Der Schall breitet sich in der Atmosphäre keineswegs geradlinig aus. Das ist analog zur atmosphärischen Refraktion der Lichtausbreitung, nur dass beim Schall der Effekt wesentlich stärker ist als beim Licht. Die Schallgeschwindigkeit nimmt linear mit der Temperatur zu. Tagsüber ist die Temperatur in Bodennähe größer als in höheren Luftschichten. Dadurch krümmen sich die Linien der Schallausbreitung (konkav) nach oben. Durch diesen Effekt kann es z.B. sein, dass man eine Autobahn in etwas größerer Entfernung gar nicht mehr hört, da man sich im Schattengebiet aufhält. (Eigentlich fehlt hier zur Verdeutlichung eine Zeichnung. Kann ich vielleicht noch nachreichen.) Nachts ist die Luft in Bodennähe kälter. Dadurch dreht sich der Effekt um. Die Linien der Schallausbreitung krümmen sich (konvex) nach unten. Der Schall ist lauter zu hören und kann zudem auch Hindernisse in Form kleiner Hügel überwinden. Das ist keine eigene Überlegung, sondern gesicherter Stand des Wissens.


    Gesichertes Wissen ist auch, dass Schall in tubulenter Atmosphäre eine chaotische Komponente aufgeprägt wird. Genau so, wie du es beschrieben hast. Der Schall wird verzerrt und gestreut. Dadurch kann kann z.B. die Autobahn bei Tag, die eigentlich im Schallschatten der konkaven Ausbreitung liegt, doch wieder (flackernd) hören. Ich habe im Internet auch wissenschaftliche Veröffentlichungen gefunden, die sich mit der Simulation solcher Prozesse beschäftigen. Das ist aber eine Wissenschaft für sich. Damit müsste ich mich geschätzt ein paar Urlaubswochen beschäftigen, um das zu verstehen. Zum Glück muss man nicht alles wissen.


    Schlechtes Seeing hat die gleichen Ursachen wie die Störung des Schalls infolge der turbulenten Atmosphäre. Insofern ist das, was du beschrieben hast, aus qualitativer Sicht alles zu erklären.


    Was ich nicht beantworten kann:
    Qualitativ ist schön und gut, aber lässt sich das Ganze auch quantitativ fassen?


    Die beschriebenen Schallphänomene treten in der unteren Atmosphäre auf, Seeing ist aber ein Effekt aller Schichten. Inwiefern ist die Schallwahrnehmung überhaupt geeignet allgemein schlechtes Seeing zu hören?


    Wie kann man aus all diesen Erkenntnissen einfache Regeln generieren, mit denen der Hobbyastronom auch praktisch etwas anfangen kann?


    Gruß
    Wolfgang

  • Hallo zusammen,
    das Thema scheint ja doch interessanter zu sein als ich dachte.
    Die konkave oder konvexe Schallausbreitung war mir neu und jetzt deckt sich das auch mit meiner Wahrnehmung. Die Autobahn bzw. ihr Rauschen ist nachts lauter. Ich hatte dieses Phänomen mit die Abwesenheit der übrigen Tagesgeräusche erklärt. Jetzt macht das einen Sinn, denn es befindet sich ein kleines Wäldchen zw. Autobahn und Beobachtungsort.
    Kalte Luft, die zu Boden sinken kann, das entspricht auch ruhiger Luft und damit vermutlich auch einem ganz guten bodennahen Seeing. Vermutlich täuscht auch die erhöhte Lautstärke eine erhöhte Gleichmäßigkeit ein wenig vor.
    Selbstverständlich gilt diese Interpretation nur für das bodennahe Seeing. In meiner direkten Umgebung wachsen ein paar Pappeln. Deren Blätter rauschen lauter und leichter als die anderer Bäume. Wenn ich an einem ruhigen Abend im Garten sitze und Planeten oder der Mond filme, dann achte ich auf dieses Blätterrauschen. In der Regel ist es windstill und ich höre kaum etwas. Sobald aber eine leichte Böe zu hören ist, 30 m über mir, bricht das Seeing zusammen, das habe ich oft erlebt. Nichts zu hören bedeutet aber im Umkehrschluss nicht unbedingt, dass das Seeing auch gut ist. Hier vermute ich die oberen Luftschichten als Ursache für schlechtere Bedingungen. Stichwort laminare Luftschichten. Erst ein einziges mal ist es mir gelungen bei leichtem, gleichmäßigen Wind ein brauchbares Foto zu machen, allerdings versuche ich es bei Wind auch sehr selten.
    Früher hielt ich die Geschwindigkeit des Jetstreams für wichtig, aber das alleine kann für das "hohe" Seeing aber auch nicht verantwortlich sein. Hier beobachte ich gerne die Kondensstreifen der Flugzeuge. Es kommt vor, dass sie ganz gleichmäßig verlaufen oder aber auch, dass sie verweht werden und das auf alle erdenklichen Weisen. Es gibt zuweilen Knoten und Wirbel. Hier werde ich in Zukunft noch ein wenig hinhören wollen, es ist ja anzunehmen, dass es bei knotigen Kondensstreifen eher grollt (wie bei entfernten Gewittern)und es bei homogeneren Streifen auch gleichmäßiger rauscht. Einen Abgleich mit den tatsächlichen Bedingungen habe ich noch nicht geschafft, aber ich werde da in Zukunft drauf achten.
    Viele Grüße,
    ralf

  • Hier noch eine Dissertation zum Thema Schallausbreitung:
    https://fenix.tecnico.ulisboa.…144345754/dissertacao.pdf


    In Abbildung 2.6 auf Seite 9 ist die krummlinige Schallausbreitung infolge der Temperaturschichtung dargestellt.


    Interessant ist auch Abbildung 6.8 auf Seite 72. Dort kann man den simulierten Schalldruckpegel einmal ohne Turbulenz und einmal mit Turbulenz sehen. Man erkennt verschiedene Effekte.
    1.) Das Schattengebiet am Boden in größerer Entfernung von der Schallquelle ohne Turbulenz (Bild links)
    2.) Durch die Turbulenz gibt es im Bodenbereich keinen Schatten mehr (Bild rechts)
    3.) Die chaotische Verteilung des Schalldruckpegels infolge der Turbulenz (Bild rechts)


    Clear Skies
    Wolfgang

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