Warum ist die Gravitation an den Erdpolen größer?

  • Diese einfache und interessante Frage wird gerade im Nachbarforum diskutiert.


    https://forum.astronomie.de/th…amer.265220/#post-1360613


    Da ich dort nicht gemeldet bin, stell ich sie auch mal hier rein.
    Drüben wurde schon so einiges gesagt aber irgendwie immer dran vorbeigeredet.
    Dabei ist die Lösung eigentlich ganz einfach.
    Wäre die Erde ein Körper völlig homogener Dichte, müßte man bei Vernachlässigung der Erddrehung, um so leichter werden, je näher man dem Erdinneren kommt.
    Aber an den Polen ist man schwerer!
    Warum?
    Die Erde hat eben KEINE homogene Dichte!
    Der viel dichtere Metallkern ist von der festen und relativ leichten(weniger dichten) Gesteinsoberfläche, weit entfernt.
    Nähert man sich der Oberfläche des Erdkerns wird man zunächst immer schwerer.
    Könnte man immer tiefer ins Erdinnere hinabsteigen, so fängt das dann über einem liegende Gestein uns nach oben zu ziehen. Ab einem gewissen Punkt überm Erdkern bzw. Hauptmassezentrum dann hört die Zunahme der Schwerkraft auf und man wird wieder leichter, bis man im Erdkern schwerelos ist.


    Viele Grüße
    Armin

  • gibt es dazu direkte Messungen, die beweisen daß man tatsächlich erst mal schwerer wird ? Wie stark könnte der Effekt in einem mehrere hundert Meter tiefen Bergwerksschacht sein ? Eher marginal oder ?

  • Hallo Armin,


    ich glaube, da ist einiges durcheinander geraten. Mal der Reihe nach.


    1.) Ruhende homogene Kugel


    1a.) Äußeres Kraftfeld
    Das Kraftfeld außerhalb der Kugel verhält sich exakt so wie das einer Punktmasse. D.h. die Anziehungkraft nimmt quadratisch mit dem Abstand zum Kugelmittelpunkt ab.


    1b.) Inneres Kraftfeld
    Das Kraftfeld innerhalb der Kugel nimmt linear von der Oberfläche bis zum Mittelpunkt auf Null ab.


    2.) Rotierende homogene Kugel
    Alles entsprechend wie bei 1.) nur dass die Zentrifugalkraft zum Schwerkraftfeld addiert werden muss. Also mathematisch sehr sehr einfach.


    Kompliziert wird es bei einem Rotationsellipsoid (Die Geometrie der Erde kann gut als solches modelliert werden)


    3.) Rotationsellipsoid
    Der Unterschied zwischen rotierendem und ruhendem Rotationsellipsoid lässt sich sehr einfach über die Addition der Zentrifugalkraft berechnen.


    Am Äquator der Erde ist der Abstand zum Mittelpunkt ca. 21 km geringer als am Nordpol. Dies wird vereinfacht oft als Erklärung für die geringere Schwerkraft am Äquator verwendet. Das ist aber leider nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist alles wesentlich komplizierter. Wenn das so einfach wäre, hätte ich am Nordpol 21 km über der Erdoberfläche die gleiche Schwerkraft wie am Äquator. Tatsächlich bin ich am Äquator aber schwerer als 21 km oberhalb des Nordpols. Wohlgemerkt, alles vorläufig ohne Berücksichtigung der Zentrifugalkraft! Das liegt daran, dass am Äquator noch die 21 km dicke Erdschicht eine zusätzliche Anziehungskraft ausübt, die die resultierende Schwerkraft wieder leicht erhöht.


    Die mathematische Behandlung des Ganzen ist im Prinzip seit Newton klar. Das Rotationsellipsoid wird in infinitesimale Volumenelemente aufgeteilt, für jedes Volumenelement wird das Gravitationskraftfeld berechnet, dann einmal über alle Volumenelemente integriert, fertig. Da über drei Raumkoordinaten (in Form von kartesischen oder elliptischen Koordinaten) integriert werden muss, ergibt sich ein 3fach-Integral. Das kann man heuzutags sehr schnell nummerisch machen. Es gibt aber auch Lösungen in mathematisch geschlossener Form. Im schwarzen Forum findest du einige Links dazu. Dritte Möglichkeit: Vereinfachte Näherungslösungen für den Fall geringer Abplattung. Z.B.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Clairaut%27s_theorem
    Vierte Möglichkeit: Gebrauchformelsformeln für den Praktiker.


    Was nun den Erdkern und die inhomogene Verteilung betrifft: Der Erdkern ist ebenfalls abgeplattet! Die Inhomogene Massenverteilung ist nicht die Erklärung für die unterschiedliche Anziehungskraft an den Polen und am Äquator. Vielmehr hat Clairaut (siehe Link oben) bereits 1743 unter Voraussetzung einer homogenen Verteilung einer viskosen Masse nachgewiesen, dass sich infolge der Rotation ein Ellipsoid bildet und dass damit auch die gemessenen Schwerkraftwerte (insbesondere der Unterschied zwischen Pol und Äquator) sehr gut reproduziert werden kann.


    Gruß
    Wolfgang

  • Wolfgang:
    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">Am Äquator der Erde ist der Abstand zum Mittelpunkt ca. 21 km geringer als am Nordpol.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Ist er wirklich GERINGER? Quelle?

  • Hallo,
    also ich würde sagen, am Erdaequator ist der Abstand zum Erdmittelpunkt g r o e s s e r als an den Polen. Stichwort Äquatorwulst bzw. Rotationsellipsoid.
    Wahrscheinlich nur ein Freudscher Verschreiber.
    Viele Gruesse
    Andreas

  • Ich hab keine Daten über die Stärke der Erdkernabplattung gefunden.
    Von der Logik her müßte die auch deutlich geringer als beim Erdmantel sein, allein deshalb schon, weil der Radius des Kerns kleiner und damit die Fliehkraft geringer ist.
    Ich vermute deshalb trotzdem, daß der Hauptgrund für die stärkere Gravitation an den Polen, die größere Nähe zur Hauptmasse der Erde ist.


    Gruß Armin

  • Hallo Armin,


    der äußere Erdkern ist dünnflüssig wie Wasser. Nur der innere Erdkern ist fest. Der äußere Erdkern verhält sich daher, so wie bereits von Clairaut für die gesamte Erde berechnet, nämlich wie ein Rotationsellipsoid. Natürlich nimmt die Abplattung von außen nach innen ab. Der Kern muss geringer abgeplattet sein als die Erdoberfläche. Daten schwarz auf weiß habe ich dazu auch nicht gefunden.


    Der Hauptgrund für die stärkere Gravitation an den Polen ist tatsächlich der geringere Abstand zum Schwerezentrum. Aber das passt eben nicht 100%ig. Das heißt, dieser Effekt und die Zentrifugalkraft reichen zur korrekten Berechnung nicht aus. Im schwarzen Forum hat das "gutmensche" in schwer verständlichem Deutsch, aber dennoch richtig beschrieben. Am Äquator ist man weiter vom Zentrum weg, hat aber gleichzeitig mehr Masse unter den Füßen. Dies mindert den Abstandeffekt ab.


    Gruß
    Wolfgang

  • Armin,
    ausgehend vom PREM-Modell (siehe Wiki PREM), das die Dichteverteilung im Erdinneren als Schnitt durch die Erdkugel beschreibt, und deren Herleitung hier ganz gut beschrieben ist, landest du beim WGS84-Modell der Erde in der Geodäsie (siehe Wiki WGS84) und dem graviemtrischen Modell EGM96 (siehe Wiki EGM96 ). Das EGM96 beschreibt das Schwerkraftpotential u.a. unter Berücksichtung der Erdform (siehe Ellipsoid nach WGS84) und der Fliehkraft durch die Erddrehung. Enthalten sind auch Anomalien, wie sie von der GEOSAT-Mission gemessen wurden.


    Inzwischen gibt es bereits ein Nachfolgemodell EGM2008 (siehe National Geospatial Agency (NGA) EGM2008-Modell).


    Nachfolgender Artikel zeigt, wie genau diese Daten über Deutschland ausfallen:
    Assesment of EGM2008 data over Germany


    Kurz: Die messen schon Abweichungen im Zentimeterbereich im Erdschwerefeld.
    Ich behaupte mal: Die können Dir anhand der Messdaten zum Schwerefeld inzwischen sagen, ob es am Pol zuvor geschneit hat und die Abplattung sich deswegen geändert hat, weil die Schneedecke jetzt 10cm dicker ist.



    Wenn Du mathematisch etwas bewandert bist, könnte dich der Artikel von Franz Barthelmes: Definition of Functionals of the Geopotential and their Calculation from Spherical Harmonic Models interessieren.


    Er beschreibt, wie man aus einem Datensatz von gravimetrischen Messdatten (Gitternetzt aus Messungen des Erdschwerefelds) u.a. Rückschlüsse auf die Masseverteilung im Erdinnern machen kann. Vereinfacht: Je weiträumiger die Veränderungen in der Erdgravitation ausfallen, desto tiefer liegt die Ursache.
    So ganz nebenbei werden im Artikel die mathematischen Grundlagen zum Geoid-Modell der Erde und der Unterschied zum Ellipsoid erläutert.
    (Die Formel für die Fliehkräfte durch die Erdrotation steht auch drin.**)
    Ein Geoid beschreibt die Fläche, bei der die Gravitation überall den gleichen Wert hat. Bei perfekter Symmetrie also eine Kugel. Und vorzugsweise wählt man ein Referenzpotential, so dass die Erdmassen im Geoid liegen oder praktisch: Über dem Meeresspiegel.


    Eine ausführliche FAQ findest du hier: http://icgem.gfz-potsdam.de/icgem_faq.pdf



    **
    In der Geodäsie unterscheidet man
    "gravitational field": Feld der Anziehungskräfte der Erdmasse
    "gravity field": Feld der Anziehungskräfte der Erdmasse abzgl. der Fliehkraft durch die Erddrehung (also der fühlbare Nettowert).
    <i>Ich habe keine Ahnung wie man das auf Deutsch unterscheidet. Die Spezialisten der PTB in Braunschweig denken beim Wiegen auch noch an den Auftrieb, den ein Körper in der Atmosphäre hat. Ein Zeppelin würde sonst auf der Waage nichts wiegen. [:D]</i>

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