Das Thermometer meines Autos zeigt -12°C, als ich endlich losfahren kann, nachdem ich besonders die Frontscheibe (auch innen!) von hartnäckigem Eis befreit habe. Ich hätte ja gedacht, dass ich vereinzelt auf Nachtwandler treffen würde, aber der Parkplatz ist leer. Als ich aussteige, überrascht mich die Kälte, aber auch der brilliante Sternenhimmel. Nach kurzer Zeit, als ich noch neben dem Auto stehe, werden alle meine Zehen kalt, obwohl ich Bergschuhe mit dicken Socken angezogen habe. Das Gesicht wird eisig. Ich überlege allen Ernstes, wieder ins Auto zu steigen und heimzufahren. Gut, dass ich kein Instrument mitgenommen habe. Das könnte ich jetzt nicht, mich regungslos auf den Klappstuhl hinter meinen Feldstecher setzen.
Lass uns doch wenigstens auf das freie Feld dort hinten gehen, da sieht man den ganzen Sternenhimmel. Als ich nach den paar Schritten dort angekommen bin, habe ich mich an die Kälte gewöhnt, oder sind es die Sterne, die locken? Ich hatte mir ja vorgenommen, durch den Wald auf den Hügel zu gehen. Also gehe ich weiter. Im Wald, wo man ja kein Gesichtsfeld braucht für den Sternenhimmel, ziehe ich die Kaputze meiner Jacke über die dicke Mütze und auch noch die Kaputze meines Parka darüber. Meine Schritte werden schneller, obwohl es bergauf geht. An den Kühen vorbei, die mucksmäuschenstill in ihrem Stadel sind – ich höre nur ihr Atmen. Die Sterne blitzen durch die kahlen Äste der Bäume.
Schon bin ich auf dem Hügel mit freien Horizonten. Wow, was für ein Anblick! Orion, Sirius, Auriga, Taurus, die hellen Wintersterne glänzen prachtvoll hernieder (ja, da wird man episch!). Die Plejaden nicht zu vergessen. Da wir schon bei Sternhaufen sind: Sieht man vielleicht M37 mit bloßem Auge? Nein, keine Chance. Damals, als ich mit Sebastian auf dem Hochkönig in 3000 m Höhe übernachtet habe, hat man tatsächlich einige Messier-Objekte mit freiem Auge gesehen, darunter auch M37. Aber M35 in den Zwillingen ist als matter Fleck zu erkennen – nein es sind keine eng zusammen stehende Sterne, die mich täuschen. (Ich habe gerade daheim im Atlas geschaut, die Position stimmt!) Der Orionnebel ist ziemlich hell, aber nicht diffus – Helmut, was erwartest du? Ich schaue auch auf die hellste Stelle von Barnards Loop, die Verlängerung einer Geraden durch den Orionnebel und den linken Gürtelstern, dann den gleichen Abstand zwischen den beiden nehmen, da ist es also. Ich hatte ja damals am Sudelfeld bei Hochnebel ohne es zu wollen, im 24x100 Feldstecher den Bogen an dieser Stelle gesehen und später daheim die Beobachtung verifizieren können.
Die Wintermilchstraße ist strukturiert zu sehen: In der Gegend von M46 gibt es eine Verdickung. Und im Auriga steht sie genau über meinem Kopf. Wie schön der Perseus Doppelsternhaufen in die Milchstraße eingebettet ist! Ich lege mich auf den Boden in den Schnee, der auf dem Weg festgetrampelt ist. Eine Reise in unsere Milchstraße… Links ist die Präsepe sehr auffallend, gerade wieder neu entdeckt. Der Löwe ist am Aufgehen. Da ich wenig von den Objekten mit bloßem Auge sehe, wird mir bewusst, wie weit sie weg sind. Und selbst in den Sternhaufen sind die Abstände zwischen den Sternen enorm! Und die vielen Sterne der Milchstraße, die sich in einem hellen Schein verbergen. Wir sind ja in der Milchstraße und trotzdem ist unsere Nachbarschaft so weit weg. Wahrscheinlich ist das auch ein ähnlicher Anblick, wenn ich im Fuhrmann in der Milchstraßenwolke stehen würde. Alles ist weit weg, auch untereinander! Leerer Raum. Und doch nicht leer, mit unzähligen Wolken aus Sternen angefüllt. Obwohl die Sterne so dicht stehen, sind zwischen ihnen große Entfernungen, es sieht nur so aus, dass sie so dicht beieinander stehen. Eben doch leerer Raum. Ich erfahre die Entfernungen.
Besser, ich stehe jetzt wieder auf. Wow, was für eine Pracht! Und meine Backen brennen wegen der Kälte. Die Kaputze ist beim Aufstehen vom Kopf gerutscht. Da lasse ich sie auch, damit ich das große Gesichtsfeld genießen kann. Ich bin immer noch in Betrachtung versunken. Und kann mich kaum von dem Anblick trennen. Da macht mein Körper eine Drehung nach links und ein Bein einen Schritt – ja, es ist besser ich gehe jetzt zurück.
Als ich daheim tiefgekühlt ankomme, schaut meine Frau fernsehen (eigentlich müsste es „nahsehen“ heißen), und meint, dass ich es aber lange ausgehalten habe. Sie schlägt heiße Wiener Würstchen vor, die ich erhitze, damit sie ihre Lieblingssendung nicht verpasst. Was für ein Kontrast – dort oben die weit entfernten Sterne und die Milchstraße, von der wir ein Teil sind, so weit weg und doch so relativ nah, und hier die Wiener im Topf! Gut, dass es jetzt etwas Warmes zum Essen gibt! Und ein Bier, ein Weißbier!