Längster intergalaktischer Gasfaden entdeckt

  • <b>Mehr als die Hälfte der Materie in unserem Universum entzog sich bislang unserem Blick. Astrophysiker hatten allerdings eine Vermutung, wo sie sich aufhalten könnte: In sogenannten Filamenten, unvorstellbar großen fädigen Strukturen aus heißem Gas, die Galaxien und Galaxienhaufen umgeben und miteinander verbinden. Ein Team unter Federführung der Universität Bonn hat nun erstmals einen Gasfaden von 50 Millionen Lichtjahren Länge beobachtet. Sein Aufbau ähnelt frappierend den Vorhersagen von Computersimulationen. Die Beobachtung bestätigt daher auch unsere Vorstellungen von der Entstehung und Entwicklung unseres Universums. </b>


    Wir verdanken unsere Existenz einer winzigen Unregelmäßigkeit. Vor ziemlich genau 13,8 Milliarden Jahren kam es zu einem gewaltigen Rums, dem Urknall. Er bildet den Anfang von Raum und Zeit, aber auch von sämtlicher Materie, aus denen unser Universum heute besteht. Diese war zunächst auf einen Punkt konzentriert, dehnte sich aber rasend schnell aus – eine gigantische Gaswolke, in der die Materie nahezu gleichmäßig verteilt war.


    Nahezu, aber eben nicht völlig: An manchen Stellen war die Wolke etwas dichter als an anderen. Und allein deshalb gibt es heute Planeten, Sterne und Galaxien. Denn von den dichteren Gebieten gingen etwas höhere Gravitationskräfte aus, die das Gas aus ihrer Umgebung zu sich heranzogen. Mit der Zeit konzentrierte sich in diesen Gegenden daher mehr und mehr Materie. Der Raum zwischen ihnen wurde dagegen leerer und leerer. So entstand innerhalb von gut 13 Milliarden Jahren eine Art Schwammstruktur: große „Löcher“ ohne Materie, dazwischen Bereiche, in denen sich auf engem Raum Tausende von Galaxien tummeln, so genannte Galaxienhaufen oder -cluster.



    Standbild aus einer Simulationsberechnung,
    die die Verteilung heißen Gases zeigt (links), im Vergleich mit der eROSITA-Röntgenaufnahme des Abell 3391/95-Systems (rechts). Bild: (c) Reiprich et al., Astronomy & Astrophysics


    Wenn es sich tatsächlich so abgespielt hat, müssten die Galaxien und Cluster noch immer durch Reste dieses Gases verbunden sein, wie durch die hauchdünnen Fäden eines Spinnennetzes. „Berechnungen zufolge befindet sich in diesen Filamenten mehr als die Hälfte der gesamten baryonischen Materie unseres Universums – das ist die Materieform, aus der Sterne und Planeten bestehen, ebenso wie wir selber“, erklärt Prof. Dr. Thomas Reiprich vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn. Dennoch entzog sie sich bislang unseren Blicken: Aufgrund der enormen Ausdehnung der Filamente ist das Materiegas in ihnen extrem verdünnt: Es enthält pro Kubikmeter gerade einmal zehn Teilchen – das ist sehr viel weniger, als in dem besten Vakuum vorhanden sind, das wir auf der Erde herstellen können.


    Mit einem neuen Messinstrument, dem eROSITA-Weltraumteleskop, konnten Reiprich und seine Kollegen das Gas nun aber erstmals umfassend sichtbar machen. „eROSITA hat sehr empfindliche Detektoren für die Art von Röntgenstrahlung, die von dem Gas in Filamenten ausgeht“, erklärt Reiprich. „Außerdem hat es ein großes Gesichtsfeld – es bildet wie ein Weitwinkel-Objektiv einen relativ weiten Teil des Himmels in einer einzigen Messung ab, und das in sehr hoher Auflösung.“ Dadurch lassen sich in vergleichsweise geringer Zeit detaillierte Aufnahmen von derart großen Objekten anfertigen, wie es die Filamente sind.


    Die Wissenschaftler nahmen in ihrer Studie ein Himmelsobjekt namens Abell 3391/95 unter die Lupe. Dabei handelt es sich um ein System von drei Galaxienhaufen, das rund 700 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist. Auf den eROSITA-Aufnahmen sind nicht nur die Haufen und zahlreiche Einzelgalaxien zu erkennen, sondern auch die Gasfäden, die diese Strukturen miteinander verbinden. Das gesamte Filament ist 50 Millionen Lichtjahre lang. Möglicherweise ist es aber noch riesiger: Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Aufnahmen nur einen Ausschnitt zeigen.


    „Wir haben unsere Beobachtungen mit den Ergebnissen einer Simulation verglichen, die die Entwicklung des Universums nachstellt“, erklärt Reiprich. „Die eROSITA-Bilder ähneln den computergenerierten Grafiken frappierend. Das spricht dafür, dass das weithin akzeptierte Standardmodell zur Entwicklung des Universums korrekt ist.“ Vor allem zeigen die Daten aber, dass sich die fehlende Materie wohl tatsächlich in den Filamenten verbirgt.


    Weitere Infos und Bilder auf den Seiten der Uni Bonn unter https://www.uni-bonn.de/neues/307-2020 und beim Oriins-Cluster unter https://www.origins-cluster.de…fangen-im-kosmischen-netz

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