Interview mit dem USA Kosmologen Sean Carroll

  • "Carroll, 53, forscht am kalifornischen Caltech-Institut zu den fundamentalen Gesetzen von Raum und Zeit. In seinem neuen Buch beschreibt der Professor für theoretische Physik, wie das Universum einst aus einer Welle hervorging und sich immer weiter aufspaltet in Myriaden neuer Welten."


    Hoffe, daß dieses sehr interessante Interview sich frei lesen läßt.
    Weiß jemand, ob es zulässig ist, den ganzen Artikel hier abzukupfern?


    https://www.spiegel.de/plus/ir…02-0001-0000-000168667205


    <font color="limegreen">Aus den Astronews verschoben von Caro. Bitte auf die Einordnung in die richtigen Unterforen achten</font id="limegreen">

  • In dem Interview, auf das ich wegen der paywall auch nicht zugreifen kann, geht es offenbar um Carrolls neues Buch: "Something deeply hidden. Quantum Worlds and the Emergence of Spacetime".


    Das Buch hat drei Teile.
    Im ersten Teil erklärt Carroll die Grundlagen der Quantenmechanik.
    Im zweiten Teil legt er die Vielwelten-Interpretation nach Everett dar, die er (wie heute fast jeder Physiker, der populärwissenschaftliche Bücher schreibt) für die beste Deutung hält.
    Im dritten Teil versucht er, die Vielwelten-Interpretation für die Theorie der Quantengravitation nutzbar zu machen. Über die Gedankenkette: "Wellenfunktion - Verschränkung - Verschränkungsentropie - Geometrie - Raum", gelangt er zu der These, daß der Raum nichts physikalisch Fundamentales, sondern bloß eine emergente Eigenschaft der Wellenfunktion des Universums sei. Für die Zeit möchte er ähnliches sagen, kann dort aber, wie er zugibt, erst wenige Andeutungen machen. Dabei wäre der Nachweis, daß die Zeit ebenfalls nicht physikalisch Fundamentales, sondern bloß etwas Emergentes ist, für Carroll eigentlich besonders wichtig. Denn Carroll will - ebenso wie Hawking - den Big Bang vermeiden. Das ist wiederum naturphilosophisch relevant, weil der Big Bang den Gedanken eines Schöpfers des Universums nahe legt. Den Schöpfungsgedanken will Carroll aber aus der Physik vertreiben. (Es gibt auch ein Diskussionsbuch von Carroll und William Lane Craig um diese Frage. Das ist sozusagen der Nachfolger zu dem älteren Diskussionsbuch von William Lane Craig und Quentin Smith).


    Das Buch dient letztlich dazu, dem breiteren Publikum Carrolls eigene, aber noch unfertige Theorie der Quantengravitation vorzustellen. Sie unterscheidet sich von anderen Ansätzen vor allem dadurch, daß sie der Entropie eine Schlüsselstellung zuerkennt.


    Ich finde, daß das Buch recht gut geschrieben ist. Carroll versteht es, die Grundgedanken der Quantenmechanik, der Quantenfeldtheorie und der Quantengravitation auch für ein Laienpublikum durchsichtig und verständlich zu machen, indem er sich nicht in mathematischen und technischen Details verliert, sondern immer wieder auf die entscheidenden Punkte hinweist.


    Viele Grüße
    Johannes

  • Hallo Atlas,


    Das hat irgendwie schon Leibniz gesehen, indem er Raum und Zeit als Ordnung der Dinge (ordo rerum) verstanden haben wollte. Also nichts Physikalisches.- Es war ihm erlaubt etwas zu mutmassen. Er hat ja immerhin den Infinitesimalkalkül entwickelt.
    Grüsse Emil

  • Hallo Johannes,


    vielen Dank für die kurze Zusammenfasssung des Buchs, sehr interessant, doch 370 Seiten sind eine Menge zu lesen.


    Ich wundere mich immer wieder darüber, dass - wie du schreibst- die Everett Deutung der Quantenmechanik mit Mehrwelten zumindest bei Autoren die auch populärwissenschaftlich aktiv sind so beliebt ist. Als Laie halte ich sie für an den Haaren herbeizogen, sorry, weil nicht überprübar. Ganz interessant finde ich den Kommentar dazu von Sabine Hossenfelder:


    https://uncommondescent.com/in…e-many-worlds-hypothesis/


    Sie erläutert warum sie der Auffassung ist, dass der Mehrwelten-Ansatz das Problem des Messprozesses nicht wirklich löst.


    beste Grüße


    Thomas


    p.s die ausführlilche Erklärung findet sich im Video

  • Hallo Emil,
    ja, Leibniz hatte viele interessante Ideen, und er hat einige Ideen der modernen Physik vorweggenommen. Insbesondere die Vorstellung, daß die Dinge nicht von Raum und Zeit abhängen, sondern umgekehrt Raum und Zeit (als Ordnungsstruktur) von den Dingen. Meiner Meinung nach gehen Carroll und andere aber noch einen Schritt weiter, indem sie nicht nur behaupten, daß Raum und Zeit von den Dingen abhängig sind, sondern daß die Dinge ursprünglich zeitlos ist.


    Hallo Thomas,
    ich finde die Vielweltentheorie auch schwer verdaulich. Andererseits: Die Physiker erklären uns ja ständig, daß die Wirklichkeit gar nicht so ist, wie wir meinen. (Carlo Rovelli sagt es schon im Titel seines Buches: „Reality is not what it seems“.) Irgendeine vermeintliche Selbstverständlichkeit müssen wir wohl preisgeben, und die Vielweltenleute meinen eben, dies sei die Meinung, es gebe nur eine einzige Welt. Das ist sozusagen das Opfer, das wir bringen müssen. Was bekommen wir dafür? Eine Theorie, die es uns erlaubt, an einem deterministischen Verständnis der Natur festzuhalten. Alle anderen Optionen, insbesondere der indeterministische Kollaps der Wellenfunktion, halten sie für noch schlimmer, weil das dadurch geforderte Opfer noch größer wäre.


    Danke für den Link zu Hossenfelders Video. Ihr Einwand gegen die Vielweltentheorie leuchtet mir allerdings nicht wirklich ein. Vielleicht habe ich ihn auch wegen der Kürze ihrer Darstellung bloß nicht richtig verstanden.
    Eine Verstehenshilfe bietet aber gerade das Buch von Carroll. Es geht ja um die Frage, ob die Vielweltenlehre die Wahrscheinlichkeitsverteilung von Beobachtungsresultaten angemessen interpretieren kann. Die Vielweltenlehre behauptet einen Determinismus, und welche Rolle kann Wahrscheinlichkeit dabei spielen? In diesem Rahmen kann man Wahrscheinlichkeit jedenfalls nicht im Sinne relativer Häufigkeit interpretieren, wie man das im Rahmen der Kopenhagener Deutung tut (Bornsche Regel). Stattdessen deutet man sie als subjektive Unwissenheit des Beobachters und zieht dann die Entscheidungstheorie heran (Bayessches Theorem) und insbesondere „rational choice“ Argumente, wie Hossenfelder am Ende des Videos auch erwähnt. Was es damit auf sich hat, erklärt Carroll sehr schön in Kapitel 7 seines Buches, wo er die gegenwärtige Diskussion um den Wahrscheinlichkeitsbegriff der Vielweltenlehre sehr erhellend und verständlich zusammenfaßt.


    (Zu Hossenfelders Einwand: Dass die „rational choice“ Deutung die gleiche Wahrscheinlichkeitsverteilung generiert wie die Bornsche Regel, ist doch gerade eine Stärke der Vielweltendeutung, keine Schwäche. Oder will Hossenfelder sagen, daß durch die „rational choice“ Situation eine zweite Dynamik zusätzlich zur Dynamik der Wellenfunktion angesetzt wird, was ja gerade die Schwäche der Wellenfunktionskollapsdeutung ist? Das würde in der Tat dem Grundprinzip der Vielweltendeutung widersprechen, demzufolge die Welt nichts anderes ist Wellenfunktion und restlos in ihr aufgeht. Aber wieso wäre „rational choice“ eine solche zweiten Dynamik, da es doch nur um subjektive Unwissenheit geht?)


    Viele Grüße
    Johannes

  • Hallo Johannes,


    ich habe mir das Video von Sabine Hossenfelder nochmal angeschaut und bin mir auch nicht sicher ob ich ihre Kritik an der Vielwelten-Interpretation richtig verstanden habe.


    Mein persönliches Unbehagen ist im Grunde viel einfacher: Ob ich nun von der subjektiven Unwissenheit des Beobachters - die sich wie uns die experimentelle Erfahrung lehrt prinzipiell nicht vermeiden lässt - spreche statt davon, dass ich nur Wahrscheinlichkeiten erwarten darf finde ich akademisch. Den Determinus zu retten, in dem man unbegrenzt weitere Universen einführt die - wenn ich es recht verstehe für uns prinzipiell unbeobachtbar sind - ist eine Scheinlösung. Kann gut sein, dass ich 'zu einfach' gestrickt bin um diese Debatte zu verstehen und dass ich das Buch von Caroll lesen sollte, bevor ich mich skeptisch äußere.


    Ein Nebenaspekt, in einer Rezension des Buches von Caroll meine ich gelesen zu haben, dass Everett die von ihm eingeführte Multiuniversen-Interpration gar nicht ganz ernst gemeint habe, es handle sich um eine wenn auch brilliante interlektuelle Spielerei um einen Doktortitel zu bekommen.



    beste Grüße


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    soweit ich weiß, hat Everett selbst im Jahr 1957 seine Idee nicht explizit auf eine Vielweltenlehre hin entwickelt. Er hat überhaupt auch nur recht kurz in der Quantenphysik gearbeitet. Nach Abschluß der Dissertation wandte er sich anderen mathematischen Problemen zu und wurde mit deren Lösung reich. Erst in den 1970er Jahren haben sein Lehrer John A. Wheeler, der in jungen Jahren Mitarbeiter Einsteins gewesen war, und dessen Promovend Bryce DeWitt die Everett-Interpretation ausdrücklich als Multiversumstheorie formuliert. Das galt zunächst eher als Kuriosität, die vor allem als Basis für Science-Fiction Romane und Filme taugte.


    Das änderte sich aber in den 1990er Jahren, als die sogenannte Dekohärenz-Theorie entwickelt war und in die Vielweltenlehre intergriert werden konnte. Damit wurde es möglich, aus der Quantentheorie selbst heraus zu erklären, warum wir keine makroskopischen Überlagerungszustände sehen – d.h. warum für uns alle Katzen entweder tot oder lebendig sind, aber nicht beides zugleich. Dagegen muß die Standardquantenmechanik ja an dieser Stelle immer den Beobachtungsprozess heranziehen, der sich aus der Quantentheorie selbst gar nicht ergibt. Daraus entstehen dann so merkwürdige Behauptungen wie, daß die Katze dadurch lebendig oder tot wird, daß jemand sie anschaut. Für mein Empfinden ist das auch nicht glaubwürdiger als das Multiversum.


    Jedenfalls erfuhr die Vielweltenlehre durch die Verbindung mit der Dekohärenztheorie eine solche Stärkung, daß sie physikalisch salonfähig und in der physikalischen Avantgarde unserer Tage fast schon Standard wurde. – Aber vermutlich hast Du Recht und der Preis, den uns die Multiversumstheorie abverlangt, ist trotz allem einfach zu hoch. Veilleicht ist das alles nur ein theoretischer Hokuspokus.


    Die Diskussion ist sicher irgendwie „akademisch“, insofern es sich um ein Grundlagenproblem handelt, das unmittelbar keine praktische Relevanz hat. Aber wenn man verstehen will, was die moderne Physik uns über die Beschaffenheit der Wirklichkeit sagt, muß man sich meines Erachtens mit solchen Dingen doch auseinandersetzen.


    Ich glaube übrigens, daß es noch einen weiteren, eher weltanschaulichen Grund dafür gibt, daß die Vielweltenlehre bei Autoren wie Carroll solchen Zuspruch findet. Das hat zu tun mit dem Phänomen der Feinabstimmung der Naturkonstanten. Das Universum ist „fine-tuned for life“, wie man sagt, und kann daher eigentlich kein Zufallsprodukt sein, weil ein zufällig entstandenes Fine-tuning geradezu absurd unwahrscheinlich wäre. Das Fine-tuning ist eines der stärksten Argumente für die gegenwärtigen Vertreter der traditionellen Lehre, daß das Universum durch die planvolle Tätigkeit eines intelligenten Schöpfers hervorgebracht worden sein muß. Carroll und andere sehen nun in der Vielweltenlehre ein geeignetes Instrument, um dieses Argument zu entkräften. Denn wenn sowieso alle möglichen Universen auch wirklich sind, braucht man keine weitere Erklärung mehr dafür, daß ein so fein getuntes Universum wie das unsere existiert.


    Viele Grüße
    Johannes

  • Hallo,
    ich hab mit "Glück" für uns, dank des Feintunings, so meine Probleme. Klar...wäre beispielsweise die Gravitationskonstante etwas anders, wären die Bedingungen für die Sternentstehung auch andere. Sterne könnten entweder gar nicht erst entstehen oder umgekehrt, existierten viel zu kurz. Das wäre für uns, in unserem Beschaffungszustand, nicht geeignet.
    Nur...es könnten aber in einem anderen Universum, mit ANDERS beschaffenen Wesen, diese anderen Voraussetzungen und Bedingungen für selbige genau richtig sein!
    Die würden sich dann dieselben Fragen zum Feintuning und möglichen Schöpferaktivitäten stellen.


    Viele Grüße
    Armin

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: Atlas</i>
    <br />


    ...


    Ich glaube übrigens, daß es noch einen weiteren, eher weltanschaulichen Grund dafür gibt, daß die Vielweltenlehre bei Autoren wie Carroll solchen Zuspruch findet. Das hat zu tun mit dem Phänomen der Feinabstimmung der Naturkonstanten. Das Universum ist „fine-tuned for life“, wie man sagt, und kann daher eigentlich kein Zufallsprodukt sein, weil ein zufällig entstandenes Fine-tuning geradezu absurd unwahrscheinlich wäre. Das Fine-tuning ist eines der stärksten Argumente für die gegenwärtigen Vertreter der traditionellen Lehre, daß das Universum durch die planvolle Tätigkeit eines intelligenten Schöpfers hervorgebracht worden sein muß. Carroll und andere sehen nun in der Vielweltenlehre ein geeignetes Instrument, um dieses Argument zu entkräften. Denn wenn sowieso alle möglichen Universen auch wirklich sind, braucht man keine weitere Erklärung mehr dafür, daß ein so fein getuntes Universum wie das unsere existiert.


    Viele Grüße
    Johannes


    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">



    Hallo Johannes,


    vielen Dank für deine interessanten Erläuterungen, ich habe mir Sabine Hossenfelder's Kritik an der Mehrwelten Interpretation der Quantenmechanik noch mal genau angeschaut ( das Video gibt es auch als Text, ein Link oberhalb des Videos, https://backreaction.blogspot.…ble-with-many-worlds.html) und glaub nun zu verstehen was sie meint. Bei der Messung detektiert man immer nur ganze Teilchen, nach einer Messung besteht genaue Kenntnis mit 100% Wahrscheinlichkeit, auch wenn der Ausgangszustand eine Superposition von zwei Zuständen mit 50 % Amplitude war. Sie argumentiert, der Detektor spaltet bei der Messung auch auf und dann hat man das gleiche Problem wie bei der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik.


    Ich frage mich, was in der Vielwelten Interpretation passiert wenn der Ausgangszustand eine sehr ungleiche Überlagerung, von z.B. 1% und 99% ist, findet dann eine Aufspaltung in sehr viele Zweige/Welten statt, damit für einen übergeordneten Beobachter die Wahrscheinlichkeiten wieder stimmen?


    Interessant finde ich auch diverse Kritikpunkte und besonders die Bemerkung von von Weizäcker auf der Wiki Seite zum Thema 'Viele Welten Interpretation', man könne 'viele Welten' durch 'mögliche Welten' ersetzen. Freundet man sich mit dieser Interpretation an, kann man fragen ob nicht alles möglich sei. Wenn das Universum von Beginn an durch eine Wellenfunktion beschrieben wird, was verhindert, dass alle, auch die unwahrscheinlichsten Pfade eingeschlagen werden, das alle überhaupt möglichen Anordnungen der Materie realisiert werden? Wenn man letzteres nicht ausschließen kann, führt sich die ganze Idee ad absurdum. Sind wir dann nicht wieder beim antrosophischen Prinzip, unsere Welt in der wir leben mit ihren fein abgestimmten Paramtern muss so sein wie sie ist, weil es uns gibt und wir sie beobachten? Man muss dann nicht mehr erklären, warum sich eine von den Paramtern sehr unwahrscheinliche Welt entwickelt hat, sondern darf sich darüber wundern und freuen, dass wir und unsere praktisch riesige Zahl von Zwillingen das unverschämte Glück haben in einer bezogen auf die praktich unendlichen Gesamtzahl von Universen extrem seltene hineingeboren zu sein.


    Ich werde in das aktuelle Buch 'Something Deeply Hidden' von Carroll trotz oder auch wegen meiner Skepsis reinschauen, weil ich verstehen möchte, warum so viel kluge Köpfe eine so seltsame Theorie bzw. neue Interpretation vertreten. Ich habe mit der Kopenhagener Deutung, dem Dualismus von Wellen und Teilchen sowie dem Messprozess kein Problem (mehr), ich habe mich über die Jahre daran gewöhnt. Ich denke man kann Naturgesetze nicht verstehen, man kann sich nur an sie gewöhnen und wenn sie einfach ausschauen plausibel finden. Dem Verstehen liegt immer etwas zugrunde auf dessen Basis man etwas versteht, doch diese Basis selbst kann man aus meiner Sicht nicht verstehen. Bisher kann ich nicht erkennen, wo die viele Welten Interpretation etwas Neues liefert, eine Theorie muss sich daran messen lassen ob sie etwas etwas einfacher, besser oder genauer vorhersagt. Doch das kann ich bisher nicht erkennen, bin gespannt wie ich die Dinge nach der Lektüre des Buches sehe.


    Beste Grüße


    Thomas

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