Neue Daten fordern kosmologische Theorien heraus

  • <b>Neue Messungen stellen die Astrophysik vor ein Rätsel: Demnach haben sich in der Zeit seit dem Urknall deutlich weniger Galaxienhaufen gebildet, als eigentlich zu erwarten wäre. Physiker der Universität Bonn bestätigen dieses Phänomen nun. In den kommenden drei Jahren wollen die Forscher ihre Beobachtungsdaten noch genauer analysieren. Spätestens dann könnte sich endgültig zeigen, ob die heute gültigen Theorien überarbeitet werden müssen. </b>


    Vor ziemlich genau 13,8 Milliarden Jahren kam es zu einem gewaltigen Rums, dem Urknall. Er bildet den Anfang von Raum und Zeit, aber auch von sämtlicher Materie, aus denen unser Universum heute besteht. Diese dehnte sich aber rasend schnell aus – eine Art diffuser Nebel, der das All vollständig ausfüllte.


    An manchen Stellen war dieser Nebel etwas dichter als an anderen. Von dort gingen daher etwas höhere Gravitationskräfte aus, die die Materie aus ihrer Umgebung zu sich heran zogen. Mit der Zeit konzentrierte sich an diesen Kondensationspunkten mehr und mehr Materie. Der Raum zwischen ihnen wurde dagegen leerer und leerer. So entstand innerhalb von gut 13 Milliarden Jahren eine Art Schwammstruktur: große materiefreie „Löcher“, dazwischen Bereiche, in denen sich auf engem Raum Tausende von Galaxien tummeln, sogenannte Galaxienhaufen.


    Das Standardmodell der Kosmologie beschreibt diese Entstehungs-Geschichte von den ersten Wimpernschlägen nach dem Urknall bis heute. Das Schöne daran: Es kommt mit nur sechs Stellschrauben aus und erklärt doch alles, was wir heute über Geburt und Entwicklung des Weltalls wissen. Möglicherweise stößt es nun aber an seine Grenzen. „Neue Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Materie heute anders verteilt ist, als die Theorie vorhersagt“, erklärt Dr. Florian Pacaud vom Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn.


    Stein des Anstoßes sind Daten des so genannten Planck-Teleskops. Es wurde von der Europäischen Weltraumorganisation ESA ins All geschossen, um die kosmische Hintergrundstrahlung zu messen. Bei ihr handelt es sich gewissermaßen um ein Nachglühen des Urknalls. Sie lässt Rückschlüsse auf die Materieverteilung im frühen Universum zu – 380.000 Jahre nach dem Urknall.



    Der Galaxienhaufen XLSSC006 - Röntgendaten aus dem XXL Survey (lila) kombiniert mit optischen und Infrarot-Aufnahmen des Kanada-Frankreich-Hawaii Teleskops. Bild: ESA/XMM-Newton (X-rays); CFHT (optical); XXL Survey


    Laut den Planck-Messungen schwankt diese Verteilung so stark, dass sich mit der Zeit mehr Galaxienhaufen hätten bilden müssen, als man heute tatsächlich sieht. „Wir haben uns mit einem Röntgensatelliten die Zahl der Galaxienhaufen in unterschiedlichen Entfernungen von uns angesehen“, erklärt Pacaud. Die Idee dahinter: Da das Licht von weit entfernten Clustern viele Milliarden Jahre unterwegs ist, erlaubt es einen Blick in eine Zeit, als das Universum noch jung war. Nahe Cluster verraten uns dagegen etwas über die nähere Vergangenheit.


    „Unsere Messungen bestätigen, dass sich die Cluster zu langsam bilden“, sagt Pacaud. „Wir haben berechnet, inwieweit diese Beobachtung mit bestimmten Grundannahmen des Standardmodells kollidiert.“ Demnach gibt es zwar eine Diskrepanz zwischen Messungen und Vorhersagen. Die Ungenauigkeit der Daten ist aber noch so groß, dass sie die Theorie nicht wirklich in Frage stellen. Die Forscher rechnen jedoch damit, dass sie in spätestens drei Jahren erheblich verlässlichere Werte haben. Dann wird sich zeigen, ob die aktuellen Modelle überdacht werden müssen.


    Die Studie liefert auch einen Einblick in die Natur der dunklen Energie. Diese ist eine Art interstellares Backpulver, das das Universum immer schneller auseinander treibt. Der „Wert“ der dunklen Energie – die kosmologische Konstante – soll dabei seit dem Urknall gleich geblieben sein. So nehmen es zumindest viele Physiker an, und in diese Richtung deuten auch viele Beobachtungen. „Unsere Messung stützen diese These ebenfalls“, erklärt Pacaud. „Aber auch hier hoffen wir, dass eine genauerer Analyse der Daten in Zukunft noch zuverlässigere Aussagen erlauben wird.“


    Weitere Infos auf den Seiten der Uni Bonn unter https://www.uni-bonn.de/neues/272-2018

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