C-Typ-Asteroid im Kuipergürtel entdeckt

  • <b>Ein internationales Astronomenteam hat ein Relikt aus der Frühzeit des Sonnensystems untersucht: Die Wissenschaftler fanden heraus, dass das ungewöhnliche Objekt 2004 EW95 aus dem sogenannten Kuipergürtel ein kohlenstoffreicher Asteroid ist und damit der erste seiner Art, der in den kalten Außenbereichen unseres Sonnensystems bestätigt werden konnte. Dieses merkwürdige Objekt ist wahrscheinlich im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter entstanden und wurde Milliarden von Kilometer von seinem Ursprungsort bis zu seiner jetzigen Heimat im Kuipergürtel geschleudert.</b>


    Die Anfänge unseres Sonnensystems waren eine stürmische Zeit. Theoretische Berechnungen der damals ablaufenden Prozesse haben ergeben, dass die großen Gasplaneten nach ihrer Entstehung das Sonnensystem dominiert und kleine gesteinshaltige Körper aus dem inneren Sonnensystem in weit entfernte Umlaufbahnen geschleudert haben [1]. Solche Modellrechnungen legen insbesondere nahe, dass der Kuipergürtel – eine kalte Region jenseits der Umlaufbahn des Neptuns - einen kleinen Anteil an Gesteinsbrocken aus dem inneren Sonnensystem enthalten sollte, zum Beispiel kohlenstoffreiche Asteroiden, die als auch als Asteroiden vom C-Typ bezeichnet werden [2].



    Umlaufbahn von 2004 EW95. Illustration: ESO/L. Calçada


    Jetzt hat ein kürzlich erschienener Fachartikel Hinweise auf den ersten eindeutig beobachteten kohlenstoffhaltigen Asteroiden im Kuiper-Gürtel vorgelegt, der diese theoretischen Modelle der problematischen frühen Jahre unseres Sonnensystems stark unterstützt. Nach sorgfältigen Messungen mit mehreren Instrumenten am Very Large Telescope (VLT) der ESO konnte ein kleines Team von Astronomen unter der Leitung von Tom Seccull von der Queen's University Belfast in Großbritannien die Zusammensetzung des anomalen Kuipergürtel-Objekts 2004 EW95 messen und so feststellen, dass es sich um einen kohlenstoffhaltigen Asteroiden handelt. Dies deutet darauf hin, dass es sich ursprünglich im inneren Sonnensystem gebildet hat und anschließend nach außen gewandert sein muss [3].


    Die Besonderheit von 2004 EW95 zeigte sich erstmals bei Routinebeobachtungen mit dem NASA/ESA Hubble Space Telescope, die Wesley Fraser durchgeführt hat, ein Astronomen der Queen's University Belfast, der auch Mitglied des Teams hinter dieser Entdeckung ist. Das Reflexionsspektrum des Asteroiden – das spezifische Muster der Wellenlängen des von einem Objekt reflektierten Lichts – unterschied sich von dem ähnlicher kleiner Kuipergürtel-Objekte (engl. Kuiper Belt Objects, kurz KBOs), die typischerweise uninteressante, strukturlose Spektren aufweisen, die wenig Informationen über ihre Zusammensetzung preisgeben.


    "Das Reflexionsspektrum von 2004 EW95 unterschied sich deutlich von den anderen beobachteten Objekten des äußeren Sonnensystems", erklärt Erstautor Seccull. "Es sah so seltsam aus, dass wir es uns unbedingt genauer ansehen mussten."


    Das Team beobachtete 2004 EW95 mit den Instrumenten X-Shooter und FORS2 am VLT. Die Empfindlichkeit dieser Spektrografen erlaubte es dem Team, das vom Asteroiden reflektierte Licht genauer zu vermessen und so auf seine chemische Zusammensetzung zu schließen.


    Doch auch mit der beeindruckenden Lichtsammelleistung des VLT war 2004 EW95 noch schwer zu beobachten. Obwohl das Objekt etwa 300 Kilometer groß ist, befindet es sich derzeit stattliche 4 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt, was das Sammeln von Daten von seiner dunklen, kohlenstoffreichen Oberfläche zu einer anspruchsvollen wissenschaftlichen Herausforderung macht.


    "Es ist, als würde man einen riesigen Kohleberg gegen die pechschwarze Leinwand des Nachthimmels beobachten", erläutert Koautor Thomas Puzia von der Pontificia Universidad Católica de Chile.


    "2004 EW95 bewegt sich nicht nur, er ist auch sehr lichtschwach", fügt Seccull hinzu. "Wir mussten eine ziemlich ausgefeilte Verarbeitungstechnik anwenden, um so viel wie möglich aus den Daten herauszuholen." Zwei Merkmale in den Spektren des Objekts waren besonders auffällig und entsprachen dem Vorhandensein von Eisenoxiden und Phyllosilikaten. Das Vorhandensein dieser Materialien war noch nie zuvor in einem KBO bestätigt worden und legt nahe, dass sich 2004 EW95 im inneren Sonnensystem gebildet hat.


    Seccull schließt: "Angesichts der heutigen Lage von 2004 EW95 in den eisigen Außenbereichen des Sonnensystems bedeutet dies, dass er in der Fürhzeit des Sonnensystems von einem migrierenden Planeten in seine gegenwärtige Umlaufbahn geschleudert wurde".


    "Es gab zwar bereits Spektren anderer "atypischer" Kuipergürtel-Objekte, aber keine konnten in dieser Qualität bestätigt werden", kommentiert Olivier Hainaut, ein ESO-Astronom, der nicht zum Team gehörte. "Die Entdeckung eines kohlenstoffhaltigen Asteroiden im Kuipergürtel ist ein wichtiger Nachweis für eine der grundlegenden Vorhersagen dynamischer Modelle des frühen Sonnensystems."


    Endnoten
    [1] Aktuelle dynamische Modelle der Evolution des frühen Sonnensystems, wie die sogenannte Grand-Tack-Hypothese, und das Modell von Nizza sagen voraus, dass die großen Gasriesen zuerst nach innen und dann nach außen gewandert sind und dabei Objekte aus dem inneren Sonnensystem gestört und verstreut haben. Infolgedessen geht man davon aus, dass ein kleiner Prozentsatz der gesteinshaltigen Asteroiden in Umlaufbahnen in der Oortschen Wolke und in den Kuipergürtel geschleudert wurde.
    [2] Unter kohlenstoffhaltigen Asteroiden versteht man solche, die das Element Kohlenstoff oder verschiedene seiner Verbindungen enthalten. Asteroiden vom C-Typ können durch ihre dunkle Oberfläche, verursacht durch das Vorhandensein von Kohlenstoffmolekülen, identifiziert werden.
    [3] Andere Objekte des inneren Sonnensystems wurden bereits in den äußeren Bereichen des Sonnensystems entdeckt, aber dies ist der erste kohlenstoffhaltige Asteroid, der weit weg von zu Hause im Kuiper-Gürtel gefunden wurde.


    Weitere Infos, Bilder und Videos unter https://www.eso.org/public/germany/news/eso1814

  • Ein sehr interessanter Artikel ist das. Vielen Dank dafür!


    Eine Frage drängt sich mir dabei jedoch auf: die Meinung, die in vielen Büchern vertreten wird besagt, dass KBO‘ s vor Ort entstanden sind und von den chaotischen Vorgängen im Inneren relativ verschont worden sind. Daher umkreisen sie die Sonne auch auf Bahnen, die weniger stark zur Ekliptik geneigt sind. Alle Objekte, die durch die Gravitation v.a. der Gasriesen aus dem Sonnensystem geschleudert wurden, befinden sich in der Oortschen Wolke. Bei diesem Asteroiden besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass Jupiter derjenige welche war, der ihn beschleunigt hat. Ist es nun eine Ausnahme, dass er zu einem KBO mutierte oder muss die herrschende Meinung revidiert werden? Alternativ könnte ich auch völlig daneben liegen.


    Viele Grüße
    Thomas

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