Struve 1694, der Nordstern der Wikinger

  • In einem anderen Thread beklagte ich mich soeben darüber, dass so wenig im Board los sei. Dabei schoss mir durch den Kopf: "Christopher, Du hast auch nicht gerade viel losgetreten in letzter Zeit." Um dies wieder gut zu machen, berichte ich hier über Struve 1694, der Nordstern der Wikinger!


    Bei einer Reise in den Harz vor einigen Wochen war es zu taunass und ich zu müde um ein Gerät aufzustellen. Also stellte ich mich hin und liess das Auge an einem köstlich klaren Himmel schweifen. Dabei fielen mir zwei Sterne auf im Raum zwischen Polaris und Kappa DRA, die mir zuhause, im lichtversifften Rheintal zwischen Darmstadt und Heidelberg, nie aufgefallen waren. Mir kam der Gedanke, dass der nördliche der beiden – Struve 1694 in CAM – wohl am Himmelsnordpol zur Zeit der Wikinger gewesen sein muss.


    Dieser historisch sehr spannende Aspekt hat mich dazu veranlasst, zuhause weiter zu diesem Stern zu recherchieren und ihn in jeder klaren Nacht zu besuchen. Inzwischen sehe ich den Stern auch regelmäßig zuhause mit blossem Auge. Wozu so ein kurzer Tripp unter besseren Himmel doch alles gut ist!


    Meine Recherche-Ergebnisse:


    Daten:
    12h49m14s / +83°24'46"
    PA 328° in 2003, 21,5 Bogensekunden Abstand, A und B Komponenten mit 5m3 und 5m7 Helligkeit.


    Geschichtliches/Wissenschaftliches:
    Dieser Stern stand im 9. Jahrhundert nach Christus genauso nahe am Himmelsnordpol wie Polaris es jetzt tut. Folglich war dieser Stern wohl der zentrale Navigationsstern der Wikinger! Den genauen Zeitpunkt der größten Nähe zum Himmelnordpol habe ich nicht eruiert. Mir reicht die Vorstellung, dass im Mittelalter die Wikinger in ihren Schiffen - und jeder andere auf der Erde - den Himmel um diesen Stern drehen sahen.
    In den letzten zwei Jahrhunderten haben sich sowohl der Abstand der Komponenten zueinander als auch deren Positionswinkel kaum verändert, es handelt sich also um ein „proper motion pair“.
    Interessant ist weiterhin, dass Struve 1694 in manch einem Atlas als 32 Cam kartiert wird. Diese Nummer stammt nicht von Flamsteed, sondern von Johannes Hevelius, aus seiner Durchmusterung um 1690. Daher wird die Bezeichnung 32 Cam in den meisten professionellen Datenbanken nicht geführt, sondern der Stern wird als STF 1694 oder auch HD 112028 verzeichnet.



    Beobachtung:
    Wie ich mittlerweile erkenne, ist Struve 1694 selbst unter vorstädtischem Himmel mit bloßem Auge auszumachen, unter gutem Landhimmel auffällig.
    Im Fernglas ist eine Trennung schon bei 7x möglich, wobei mehr Vergrößerung die Sache natürlich wesentlich entspannter macht.
    Reverend T.W. Webb, ein bedeutender englischer Beobachter des 19. Jahrhunderts, nennt die Farben „zart gelb, zart violett“. Sissy Haas, eine moderne Doppelstern-Beobachterin, spricht von einem „samtig weissen Paar“. Wer mit Teleskop unterwegs ist, kann sich 1° SSW am 10m6 hellen planetarischen Nebel IC 3568 (Lemon Slice Nebula) erfreuen.


    Mich würde interessieren, ob andere Beobachter die 7x-Vergrößerung für eine Trennung noch unterbieten können. Und vor allem: was sind Eure Farbeindrücke?


    Gruss, Christopher

  • Hallo Christopher,


    ein wirklich interessanter Beitrag, und dem Thema Doppelsterne bin ich ja ohnehin nicht abgeneigt.


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"> Struve 1694, der Nordstern der Vikinger! ... Dieser Stern stand im 9. Jahrhundert nach Christus genauso nahe am Himmelsnordpol wie Polaris <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    So verwundert es auch nicht, dass mir die allbekannte "Tante Google" noch anvertraut hat, dass dieser Stern auch bei den Chinesen Tianshu - "Drehpunkt des Himmels" - hieß.


    Diesen Doppelstern kannte ich schon, aber nicht vom Struve-Katalog her, sondern aus dem Karkoschka: Da wird er übrigens als 78 Cam geführt, was von der Rektaszension her auch besser passt als die Bezeichnung 32 Cam. An einen Farbkontrast kann ich mich nicht erinnern; bei den Spektraltypen A2 und A0 würde ich allerdings auch keinen deutlichen Unterschied erwarten.


    Servus
    Ben

  • Hallo Christopher!


    Das hast du sehr gut aufbereitet und auch spannend geschrieben!


    Ich stieß durch den kleinen PN IC 3568 einmal auf &Sigma;1694, habe den DS aber nicht mehr vor meinem geistigen Auge. Laut meinen Beobachtungsnotizen empfand ich die Farben als reines Weiß. Bei Doppelsternen wird manchmal von violetten Farbeindrücken gesprochen, z.B. auch bei &xi; Boo. Ich habe noch nie einen solchen Eindruck gehabt, aber gerade bei Farben unterscheiden sich Wahrnehmungen ja stark. Zumindest von den Spektraltypen dürfte der Eindruck von Sissy Haas stimmen. Beobachtet habe ich leider mit 12,5" bei V=50x. Bei knapp 22" Abstand dürfte er aber auch in einem 20x80-Fernglas (o.ä.) schön zu sehen sein. Nun ist also auch das Rätsel gelöst, dass die niedrige Flamsteed-Nummer in dieser Region eigenlich gar keine ist. Prima!


    EDIT: Vielleicht doch noch am Rande: Die Sterndateien meines eigenen Programms stammen im Gegensatz zur gegenwärtig gebräuchlichen Software noch aus älteren Quellen. Dort wird der Doppelstern als 78 Cam geführt (wie auch Ben schreibt). Neben den Komponenten mit ihren Eigenschaften steht noch: "Wird auch 32 Cam <i>genannt</i>", was dann wohl manchmal als (alternative) Flamsteednummer fehlgedeutet wurde. Jetzt wissen wir ja, dass da Hevelius seine Finger im Spiel hatte...


    Salü, Volker.

    Deep Sky visuell, Mond und Sonne im Weißlicht mit 10" f/5 Dobson auf Selbstbau Birke-Multiplex  :dizzy:

  • Hallo zusammen,


    manchmal scheint die ältere Literatur nicht die schlechteste zu sein.


    Ich ziehe mir Krüger 60 und Struve 1694 auch mal mit dem FG und dem 4"er rein. Mal schauen, vielleicht finde ich in der Nähe ja ein interessantes Muster. Dann bist Du dranne lieber Volker [B)][;)]


    Viele Grüße


    Rene

  • Lieber Christopher,


    ich komme gerade von draußen.
    Im 10x50 Fernglas (stativgestützt) zeigten sich Struve 1694 knapp getrennt und beide Sterne strahlten persilweiß um die Wette, wobei der linke (östliche?) Stern leicht heller war.
    Ein sinnfreier Versuch, den Doppelstern auch mit 8x42 zu trennen, scheiterte daran, dass ich es freihändig versucht habe. Naja, für das Fernglas habe ich auch keinen Stativadapter.
    Aber mir ist wieder sehr deutlich bewusst geworden, wie groß der Unterschied in der Beobachtung zwischen freihändig und stativgestützt sein kann.


    Viele Grüße


    Rene

  • Und ich hab ihn gerade mit 14 Zoll bei 130-fach angeschaut, einfach weil ich den Beitrag hier so interessant fand. Cam 32 bzw. 78 fand ich strahlend hell und bei der Vergrösserung natürlich weit auseinanderstehend deutlich getrennt. Aber wirklich überraschend ist für mich, so deutlich mal zu sehen, wie sehr sich die Erdachse bzw der Himmelsnordpol sich doch in den letzten 1000 Jahren verschoben hat.

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: BenN</i>
    ...Karkoschka: Da wird er übrigens als 78 Cam geführt, ....


    Servus
    Ben
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Aah, vielen Dank!
    Ich hab ihn nämlich gestern im Triatlas gesucht, war nix. Hätte ich mal den Karkoschka aufgeschlagen.


    Na läuft ja nicht weg :)


    CS,
    Walter

  • Lieber Ben, Dietmar, Volker,


    vielen Dank für Euer Interesse und Eure wertvollen Ergänzungen! Ich bastele gerade mit Rene einen BAfK-Eintrag zu diesem Doppelstern - da wird der Hinweis auf den chinesischen "Angelpunkt des Himmels" unbedingt reinkommen.
    Dadurch angeregt, fand ich übrigens im Englischen dafür die Bezeichnung "Celestial Pivot", auch "Celestial Knot" [Himmelsknoten] oder "the Knot Star".


    Die Sache mit 32 Cam = 78 Cam lässt mir keine Ruhe. Ich sammle gerade Infos und werde am Wochenende ein Traktat dazu absondern!


    Stephan, hast Du mit Deinem 14-Zöller einen Farbeindruck gehabt? Reverend T.W. Webb nannte im 19. Jahrhunderts die Farben „zart gelb, zart violett“. Aber vielleicht war das ein Optikfehler. Rene hat mich darauf hingewiesen, dass dies die Farbfehler sind, die in einem Achromaten am Mondrand erscheinen. Ein interessanter Aspekt, finde ich.


    Beste Grüße, Christopher

  • Moin Christopher!


    &gt; Die Sache mit 32 Cam = 78 Cam lässt mir keine Ruhe. Ich sammle gerade Infos und werde am Wochenende ein Traktat dazu absondern!


    Nur als Hinweis: Im Sternatlas von Schurig-Götz (Tabulae Celestes) ist besagter Stern als "32 H" bezeichnet. In der Legende steht dazu, daß es sich um die sogen. "Hevel'schen Zahlen" handelt. Vielleicht hat Hevelius seinerzeit ein Verzeichnis der polnahen Sterne erstellt? (Wer weiß was darüber? - Diese Zahlen tauchen auch nur in Polnähe auf.)


    "78 Cam" habe ich bisher nur im Karkoschka gesehen. Im Cambridge Star Atlas ist der Stern gar nicht bezeichnet, sondern nur als Doppelstern markiert, und mein SkyMap Pro kennt die Bezeichnung auch nicht.


    Edit: Im Burnham's steht der Stern auch nur als (Struve) <b>&Sigma;1694</b> drin.


    Noch eine Ergänzung: Die folgende Liste bei Wikipedia kennt "78 CAM" auch nicht:
    https://de.wikipedia.org/wiki/…n_Flamsteed-Bezeichnungen


    Würde mich auch wundern: Das Sternbild Giraffe besitzt nun wirklich keine 78 (!) Sterne, die so hell wären, daß Flamsteed sie bezeichnet hätte.


    BTW: Bitte schreibt "Wikinger"... [:D]
    .

  • betr. Cam 32 bzw 78 bzw Struwe 1694


    hab tatsächlich gerade in der Auskunft bei Wikipedia gelesen:
    neulich fragte eine Blondine auf der Sternwarte
    "toll, wie viele Sterne man da sehen kann, aber woher weiß man eigentlich ihre Namen ?"

  • Hi,


    ist ja nahezu Off-Topic, aber Christopher erwähnt auch den benachbarten Nebel IC 3568 (Lemon Slice Nebula). Ich hab jetzt mal etwas gesucht (auch um die Position des Struve 1694 im Triatlas zu beschriften, der IC 3568 ist da prominent daneben eingezeichnet). Das hätte fast OdM Reife dieser kleine PN ;-).


    Also nochmal Herzlichen Dank - beide sind bei meinem nächsten Ausflug dabei.


    CS,
    Walter

  • Hallo zusammen!


    &gt;Winnie:<blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: winnie</i>


    "78 Cam" habe ich bisher nur im Karkoschka gesehen.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">Ich habe noch ein anderes, älteres Buch, in dem der Stern auch als 78 Cam bezeichnet wird: Der neue Kosmos Himmelsführer, Sternbilder am Nord- und Südhimmel (Hahn/Weiland, Kosmos 1998).<blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: winnie</i>


    Würde mich auch wundern: Das Sternbild Giraffe besitzt nun wirklich keine 78 (!) Sterne, die so hell wären, daß Flamsteed sie bezeichnet hätte.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">Da hast du allerdings recht. Vielleicht ist dies ja wie "32 Cam" auch gar keine Flamsteed-Bezeichnung? Ein interessantes Rätsel...


    EDIT: Buchtitel berichtigt.


    Salü, Volker.

    Deep Sky visuell, Mond und Sonne im Weißlicht mit 10" f/5 Dobson auf Selbstbau Birke-Multiplex  :dizzy:

  • Moin Volker!


    &gt; Ich habe noch ein anderes, älteres Buch, in dem der Stern auch als 78 Cam bezeichnet wird: Der neue Kosmos Himmelsführer, Sternbilder am Nord- und Südhimmel (Hahn/Weiland, Kosmos 1998).


    Das Buch hatte ich auch mal, es aber aufgrund zahlreicher Schreibfehler (sic!) aus meinem Bestand entfernt. Vielleicht taucht "78 CAM" auch nur in Kosmos-Publikationen auf? - quasi als "running gag"... [?]
    .

  • Hallo zusammen,


    holla, hier geht es ja richtig ab. Klasse!
    Ich wäre für 78K Cam und 32H Cam.


    Walter - IC 3568 hier mit behandeln? Warum nicht, er liegt ja unmittelbar daneben und kann gleich mit besichtigt werden.
    Den Beinamen Lemon Slice hat er sich verdient, weil er auf Fotos einer Zitrone ähnelt. Der PN gehört zu den jüngeren Vertretern seiner Sorte und zeigt sich nahezu perfekt sphärisch mit flächenheller innerer Hülle und lichtschwachem Halo.
    IC 3568 geht sogar im Fernglas, wenn auch nur stellar.
    Mit 12,5" blieb er bei mir lange kompakt, der helle Innenbereich schien von einem leichten Glow umgeben zu sein. Leider habe ich den PN seinerzeit noch nicht richtig hoch vergrößert.
    Stephan, hast Du ihn gleich mit anvisiert mit Deinem 14"er?


    Und Micha! Du auch im blauen Forum. Schön schön. So ist zumindest meine Wahrnehmung. Ich kenne Dich nur von dem anderen Forum, dabei haste hier auch schon einiges an Beiträgen geleistet ;)


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: winnie</i>
    <br />...BTW: Bitte schreibt "Wikinger"... [:D]<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Den Vikinger sehen wir alle dem alten Schotten Christopher gerne nach [:D][;)]. Mist, jetzt hat er es schon überall korrigiert [}:)]


    Viele Grüße


    Rene

  • Hallo allerseits,


    Mir hat das 78-Cam-Rätsel keine Ruhe gelassen. Das Forschen ging weiter. Hier meine Ergebnisse:


    Online finde ich nur sehr wenige Hinweise auf „78 Camelopardalis“. Alle sind aus dem deutschsprachigen Raum und aus den 1990ern. Ich vermute deshalb, dass sie auf Karkoschka basieren. Um Karkoschka‘s „78 Cam“ zu deuten, muss man nun etwas weiter ausholen:


    Man muss zu den Flamsteed-Nummern nämlich wissen, dass Flamsteed’s Katalog, 1725 posthum veröffentlicht, kein solches Nummerierungssystem verwendete. Dies machten spätere Autoren. Eine Zeit lang gab es sogar konkurrierende Systeme.
    Johann Elert Bode führte in seiner „Sammlung astronomischer Tafeln“ von 1776 eine Spalte mit der Überschrift „Fl. No“ ein – Bode’s Verzeichnis war jedoch umfangreicher als jenes von Flamsteed und wies eine „Fl. No“ manchen Sternen zu, die gar nicht von Flamsteed selbst verzeichnet wurden.
    Durchgesetzt haben sich schliesslich jene „Flamsteed-Nummern“, die 1783 von Lalande veröffentlicht wurden.


    Hermann J. Klein schrieb in seiner “Durchmusterung des Himmels”, 2. Auflage 1882: „Anonyma – Struve 1694. Ein leicht zu beobachtender Doppelstern, der sich schon in kleineren Fernrohren sehr bestimmt darstellt. Der Hauptstern ist nach Struve 4,9 Gr., der Begleiter eine halbe Grössenklasse schwächer und beide sind weiss. Eine Ortsveränderung des Satelliten hat sich seit den Messungen South’s im Jahre 1822 noch nicht gezeigt.“ Mit Anonyma meinte Klein, dass der Stern seines Wissens keine Flamsteed-Nummer hatte.


    Karkoschka ist das einzige Kartenwerk, das den Stern mit 78 Cam führt. In allen anderen mir vorliegenden gedruckten Atlassen mit Ausnahme des Interstellarum Deep Sky Atlas wird der Stern mit 32 Cam bezeichnet. Dies beginnt mit Schurig’s Himmels-Atlas, 2. Auflage 1909, und reicht bis zum Uranometria 2000.0 Deep Sky Atlas, 2. Auflage 2001.
    Die “korrekte” Bezeichnung ist wohl nicht 32 Cam, sondern 32H Cam, wobei H für Hevelius steht. Diesem Gebrauch sind die Atlasse jedoch nicht gefolgt.
    Das Interstellarum Deep Sky Atlas schliesslich verwendet Struve 1694 – sicher eine weise Entscheidung.


    Mangels Zugang zu den Originalquellen ist mir weder bekannt, ob Bode’s oder Lalande’s Verzeichnis bis Nummer 78 reichte, noch ob Flamsteed’s Katalog den fraglichen Stern überhaupt verzeichnete. Hat jemand Zugang zu den Quellen? Das wäre interessant!


    Vielleicht besteht des Rätsel’s Lösung darin, dass Erich Karkoschka Johann Bode’s Verzeichnis kannte und es vorzog, deren Nummerierung zu verwenden. Von dort aus könnte „78 Cam“ in die von Volker erwähnte Datenbank gewandert sein. Hat jemand Kontakt zu Karkoschka und kann ihn fragen? (Rene’s Vorschlag, den Stern 78K Cam zu nennen – K für Karkoschka bzw. Kosmos-Verlag – finde ich übrigens entzückend. Zuvor müssten wir aber wissen, ob es nicht ein anderes Kürzel sein müsste, z.B. 78B für Bode!)


    Beste Grüße, Christopher

  • Hallo Christopher,


    ich habe gerade mal im Atlas Coelestis nachgeschaut, der ja posthum auf Basis Flamsteeds Daten erstellt wurde.


    Dort ist Struve 1694 nicht eingezeichnet. Flamsteed selbst hat diesen Stern anscheinend nicht registriert.


    In Bezug auf die nicht mehr verwendeten Flamsteed-Nummern ist folgender Artikel hilfreich:
    "Flamsteed's missing stars"
    http://cdsads.u-strasbg.fr/full/1987JHA....18..209W
    (Siehe Seite 213 und 214)


    78 Cam fehlt in dieser Aufstellung. Das sieht mir daher verdammt nach einem Fehler Karkoschkas aus.


    Flamsteeds 32 Cam hatte nie etwas mit Struve 1694 zu tun. Es muss daher auf jeden Fall richtigerweise 32H Cam heißen (H für Helvesius). 32 Cam befindet sich nach den heute geltenden Sternbildgrenzen im Fuhrmann und ist zu Xi Aur / 30 Aur geworden.


    Bodes Verzeichnis habe ich nicht direkt vorliegen, das müsste ich mal suchen.


    Gruß
    Wolfgang

  • Bodes "Sammlung astronomischer Tafeln" von 1776 habe ich (noch) nicht gefunden.


    Vielleicht noch ein Hinweis, den ich gerade in Bodes "Anleitung zur Kenntniß des Gestirnten Himmels" von 1778 gefunden habe. Er schreibt dort unter der Überschrift Cameel=Pard (Camelopardalus):


    "Diese thierische Sternfigur steht zwischen den Nordpol und den Fuhrmann und nimmt einen ziemlich großen Raum am Himmel ein, besteht aber nur aus vielen kleinen Sternen deren Zahl Flamstead auf 51 gesetzt."


    In Bodes Sternkarte innerhalb dieses Buches ist Struve 1694 auch eingezeichnet, allerdings ohne irgendeine Bezeichnung.


    Gruß
    Wolfgang

  • Hallo zusammen!


    Michael, danke für den Link.


    Dort ist es eindeutig. Bode nummeriert die Sterne zunächst bis 51 durch. Flamsteed hat offensichtlich 51 Sterne innerhalb des Sternbildes Camelopardalis beschrieben. Die Nummerierung selbst stammt natürlich nicht von Flamsteed, da das Sternbild erst von Hevelius geschaffen wurde. Innerhalb der 51 von Flamsteed erfassten Sterne ist Struve 1694 nicht dabei. (Deckt sich mit dem Atlas Coelestis.)


    Alle Sterne beginnend mit Nummer 52 sind in der Tabelle mit "Nach Hevel" überschrieben. Das sind also alles Sterne, die Hevelius zusätzlich zu denen von Flamsteed erfasst hat. Die Tabelle endet mit Nummer 78. Dieser Stern hat eine Rektaszension von 191° 57' (umgerechnet 12h 48m) und eine Deklination von 84° 36'.


    Ich habe mich nicht darum gekümmert, zu welchem Datum Bodes Daten gelten (Präzession). So genau kommt es hier auch nicht darauf an. Zum Datum 1782 betragen die Daten für Struve 1694 nach Stellarium:


    12h 48m
    84° 36'


    D.h. Karkoschkas Nummer 78 passt!


    Es scheint eher so zu sein, dass die Nummer 32 sich irgendwann als Fehler eingeschlichen hat. Auch die Nummer 32H wäre dementsprechend nicht richtig.


    Gruß
    Wolfgang

  • Moin Wolfgang!


    Schöne Beweisführung - ich glaube, wir haben's jetzt! [:)]
    Mehr Aufwand sollte man so einem unscheinbaren Stern nun wirklich nicht schenken (es reicht?).


    Nur noch zum Sternbild "Giraffe" - Wikipedia:
    <i>"In der Antike wurden die Sterne der Giraffe keinem Sternbild zugeordnet. Erst der niederländische Kartograf Petrus Plancius führte Camelopardalis im Jahre 1612 ein, offensichtlich, um die vermeintliche „Lücke“ am Himmel zu schließen.
    Der deutsche Astronom Jacob Bartsch, ein Schwiegersohn von Johannes Kepler, übernahm das Sternbild in seinem 1624 erschienenen Planisphaerium Stellaris."</i>
    Hevel hatte damit also nichts zu tun.


    BTW: Es wurde zu dem Sternchen zu Anfang geschrieben, daß es der Peilstern der Wikinger (tm) gewesen sei. Woher stammt die Information? Mir ist nicht bekannt, daß die Nordmänner selbst irgendetwas schriftlich zu ihrer Navigationstechnik hinterlassen hätten.
    Im Buch "Star Names - Their Lore and Meaning", das nun wirklich sehr genau recherchiert ist, steht zu diesem unscheinbaren Stern kein Sterbenswort in Bezug zum Polarstern. Andererseits war den alten Kulturen (Antike und Mittelalter) durchaus bekannt, daß unser Polarstern (&alpha; UMi) nicht den wahren Himmelspol anzeigt, sondern dessen Position um etliche Grad abwich. Teilweise waren es lt. der im Buch genannten Quellen in der historischen Vergangenheit 7 (5. Jhdt.) bis 12 Grad (Hipparchos: 12° 24')!


    Interessant, was in dem o.g. Buch zum Sternbild Giraffe geschrieben steht: Argelander (Bonner Durchmusterung) zählte 84 (!) mit bloßem Auge sichtbare Sterne in diesem Sternbild, ein gewisser Heis*** sogar 138! Damals war der Himmel noch dunkel, aber richtig! [:D]


    *** https://de.wikipedia.org/wiki/Eduard_Heis
    .

  • Hallo Micha!


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: winnie</i>
    <br />Hevel hatte damit also nichts zu tun.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Ich hatte vorschnell Bodes Angabe hierzu übernommen:


    "Ist eins von den neuen Sternbildern, die Hevel am Himmel gesetzt hat..."


    Bode war halt auch nicht fehlerfrei.


    Gruß

  • Lieber Walter,


    Ich bin begeistert davon, wie Du meiner These von der Karkoschka-Bode Verbindungslinie nachgegangen bist - und sie so gründlich nachgewiesen hast!


    Ich wäre zögerlich, die Bezeichnung 32H als einen "Fehler" einzustufen. Man hielt ja auch Karkoschka's 78 zunächst für einen Fehler - bis Du den Nachweis erbrachtest, dass Karkoschka seinen Grund hatte. Für 32H gibt es bestimmt einen ähnlichen Grund.
    Vielleicht hat Lalande, dessen Verzeichnis von 1783 für die Flamsteed-Nummern definierend wurde, auch eine Liste der Hevelius-Sterne produziert, in der dieser Stern die Nummer 32H trug. Die Sternbildgrenzen waren damals ja gar nicht genau definiert; dies allein könnte eine gleichzeitige Unstimmigkeit zwischen einem deutschen und einem französischen Autoren erklären.


    Da wir hier im Beobachterforum sind, habe ich mich bemüht, meinem Eingangsbeitrag auch einen beobachterischen Dreh zu geben, und einige der weiteren Beiträge gingen in diese Richtung. Nun ist die Sache sehr historisch geworden. Ich hoffe, dass die Mitlesenden uns das nachsehen mögen. Für mich - und, so hoffe ich, für einige andere - war dies eine sehr interessante Übung!



    Beste Grüße, Christopher

  • Lieber Christopher,


    da verwechselst Du mich mit dem Wolfgang ;-)!
    Wolfgang, und Christopher - ich finde diese Exkursion sehr interessant! Es macht dann das Beobachtungserlebnis viel reicher!


    Sonst wäre es irgendein weiterer 08/15 Doppelstern, aber so werden jetzt ein paar Synapsen mehr angesprochen :-)!


    Großartig!


    CS,
    Walter

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