Kleinste Teilchen aus fernen Galaxien

  • <b>Astroteilchenphysiker haben zur Lösung eines 50 Jahre alten Rätsels der kosmischen Strahlung beigetragen. Die Pierre-Auger-Kollaboration präsentiert Beobachtungen, die belegen, dass kosmische Strahlung mit Energien, die millionenfach größer sind als die der im Large Hadron Collider des CERN beschleunigten Protonen, aus entfernten Regionen des Universums jenseits unserer eigenen Galaxie stammen.</b>


    Seit den 1960er Jahren ist die Existenz kosmischer Teilchen mit Energien mehrerer Joule (1 Joule #8776; 6 x 1018 eV) bekannt und es wurde immer wieder darüber spekuliert, ob diese Teilchen aus unserer eigenen Galaxis, der Milchstraße, stammen oder von entfernten extragalaktischen Objekten zu uns gelangen. Dieses 50 Jahre alte Rätsel wurde nun durch die Beobachtung kosmischer Teilchen einer mittleren Energie von 2 Joule gelöst, die mit dem größten jemals gebauten Observatorium für kosmische Strahlung, dem Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien, registriert wurden. Bei diesen Energien ist die Rate ankommender Teilchen von einer Seite des Himmels etwa sechs Prozent erhöht und aus entgegengesetzter Richtung entsprechend erniedrigt, wobei der Überschuss 120° vom galaktischen Zentrum entfernt liegt.


    Prof. Dr. Karl-Heinz Kampert, Experimentalphysiker an der Bergischen Universität Wuppertal und Sprecher der Auger-Kollaboration von über 400 Wissenschaftlern aus 18 Ländern, kommentiert das Ergebnis begeistert: „Wir sind dem Rätsel, wo und wie diese außergewöhnlichen kleinsten Materie-Teilchen entstehen, nun wesentlich näher gekommen – eine Frage, die für Astrophysiker von großem Interesse ist. Unsere Beobachtung zeigt eindrucksvoll, dass die Orte der Beschleunigung außerhalb der Milchstraße liegen.“ Professor Alan Watson, Ph.D., von der Universität Leeds und emeritierter Sprecher der Auger-Kollaboration beschreibt dieses Ergebnis als „eines der aufregendsten Ergebnisse, die wir bisher erreicht haben und es löst eine der Fragestellungen, die wir anvisiert hatten, als das Observatorium von Jim Cronin und mir vor über 25 Jahren konzipiert wurde“.



    Himmelskarte der höchstenergetischen kosmischen Strahlung. Das galaktische Zentrum befindet in der Mitte der Karte. Die weiße Fläche kann vom Standort des Observatoriums aus nicht beobachtet werden. Hochenergetische kosmische Strahlung erreicht die Erde aus einer Vorzugsrichtung (rot), die aber nicht mit dem Zentrum unserer Milchstraße übereinstimmt. Grafik: Pierre-Auger-Observatorium/KIT


    Die kosmische Strahlung besteht aus Atomkernen der bekannten chemischen Elemente von Wasserstoff (dem Proton) bis hin zu Eisen. Oberhalb von 2 Joule beträgt die Ankunftsrate dieser Teilchen am oberen Rand der Erdatmosphäre nur etwa 1 Teilchen pro km² pro Jahr, oder anders beschrieben, einem Teilchen pro Jahrhundert auf die Fläche eines Fußpilzfeldes. Derart seltene Teilchen sind nur nachweisbar, weil sie durch sukzessive Wechselwirkungen mit den Atomkernen in der Erdatmosphäre Teilchenkaskaden von Elektronen, Photonen und Myonen erzeugen. Diese Teilchen-Schauer bestehen aus mehr als zehn Milliarden Teilchen und bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit in einer scheibenförmigen Struktur, ähnlich einem Teller mit mehreren Kilometern Durchmesser, durch die Atmosphäre. Ihr Nachweis geschieht am Pierre-Auger-Observatorium durch das Cherenkov-Licht, das sie in einigen der 1600 Detektoren, die mit jeweils zwölf Tonnen Wasser gefüllt sind, produzieren. Die Detektoren sind auf einer Fläche von 3000 km2 im Westen Argentiniens ausgebracht, einem Gebiet größer als die Fläche des Saarlandes. Die mit GPS-Empfängern gemessenen Ankunftszeiten der Teilchen in den Detektoren erlauben es, die Ankunftsrichtungen der Ereignisse mit einer Genauigkeit von besser als einem Grad zu bestimmen.


    Durch die Untersuchung der Verteilung der Ankunftsrichtungen von mehr als 30.000 kosmischen Teilchen fanden die Wissenschaftler eine signifikante Überhöhung aus einer Richtung, in der die Anzahl an Galaxien höher ist als in anderen Richtungen. Obwohl diese Entdeckung eindeutig den extragalaktischen Ursprung der Teilchen belegt, sind die eigentlichen Quellen noch immer nicht gefunden, da selbst solch energetische Teilchen auf ihrem Weg im Magnetfeld unserer Galaxie um einige 10 Grad abgelenkt werden. Keine realistische Konfiguration des galaktischen Magnetfeldes ist jedoch in der Lage, die beobachtete Richtung mit möglichen Quellen in der galaktischen Ebene oder im Zentrum unserer Galaxis zu assoziieren.


    Um die Quellen selbst zu finden, sollen zukünftig noch höherenergetische Teilchen als in dieser Studie verwendet werden. Kosmische Magnetfelder lenken diese Teilchen weniger stark ab, sodass ihre Ankunftsrichtungen noch näher an ihren Entstehungsorten liegen sollten, jedoch ist auch die Ankunftsrate dieser Teilchen noch geringer, sodass weitere Ereignisse gesammelt werden sollen. Mit einer derzeit durchgeführten Erweiterung des Pierre-Auger-Observatoriums, an dem die etwa 20-köpfige Wuppertaler Arbeitsgruppe um Prof. Kampert und Dr. Rautenberg mit verschiedenen Entwicklungs- und Aufbauarbeiten maßgeblich beteiligt ist, wird es zusätzlich ab Ende 2018 auch möglich sein, die Art der Teilchen (von Protonen bis hin zu Eisen) zu bestimmen. Dies wird eine entscheidende Hilfe bei der Suche nach den Quellen der höchstenergetischen Teilchen des Universums sein.


    Weitere Infos auf den seiten der Uni Wuppertal unter https://www.presse.uni-wuppert…re-altes-raetsel-geloest/ und beim KIT unter http://www.kit.edu/kit/pi_2017…r-aus-fernen-galaxien.php

  • Hallo Caro,


    vielen Dank für den Hinweis auf die sehr interessante Meldung.

    Presseerklärungen neigen ja manachmal dazu etwas reisserisch daher zu kommen und mir gefällt es sehr, dass du nicht den Originaltitel (.. 50 Jahre altes Rätsel gelöst) übernommen hast sondern die Formulierung '... zur Lösung eines 50 Jahre alten Rätsels beigetragen'. Vermutlich gibt es ja verschiedene Ideen wie diese extrem energetischen Teilchen entstanden sind könnten, doch die Original Presseerklärung aus Wuppertal gibt gar keine Quellen. Sind die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht?


    beste Grüße


    Thomas

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">[i]
    ...... oder anders beschrieben, einem Teilchen pro Jahrhundert auf die Fläche eines Fußpilzfeldes. .....
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">


    Ich stimme zu, dass es ein sehr interessanter Artikel ist.
    Die Flächeneinheit eines "Fußpilzfeldes" ist mir allerdings nicht bekannt. Übersetzungsfehler aus Fußpilzplatz ?


    Martin


    EDIT: im Original steht Fusßballplatz - scheint von der Rechtschreibprüfung verballhornt zu werden - auch mein "Fusßballplatz" wird geändert, wenn man ihn nicht bewußt verkehrt schreibt....

  • Hallo zusammen,


    Ich habe mal versucht, mir den Sachgehalt dieser Meldung über die Entdeckung des Pierre Auger Observatoriums zu verdeutlichen. Den Anstoß dazu hat mir die Graphik gegeben, die im Eingangsbeitrag dieses Threads zu sehen ist.


    Zwei Dinge sind mir aufgefallen. 1) Das Zentrum des erhöhten Teilchenstroms liegt dieser Graphik zufolge fast genau in der Milchstraßenebene, etwa im Sternbild Canis major. Das scheint nun direkt dem Inhalt der Meldung zu widersprechen, demzufolge die Entdeckung darin besteht, daß die Quelle des Teilchenstroms außerhalb unserer Galaxis liegen muß. Der Graphik zufolge müßte der Teilchenstrom von einem innergalaktischen Objekt ausgehen, das zwar nicht im Zentrum unserer Galaxis liegt, aber in der Scheibe Richtung Canis major. 2) Der Pressemeldung des KIT zufolge ist die Quelle des Teilchenstroms in unserer „kosmologischen Nachbarschaft“ zu vermuten. Wenn das so wäre, müßte sich in der Graphik aber doch die Struktur des lokalen Universums abbilden, d.h. man müßte in etwa die Galaxien der lokalen Gruppe erkennen können, die supergalaktische Scheibe, den Virgo- und den Comacluster, oder die nahegelegenen Supercluster. Die Graphik zeigt aber nichts davon (vielleicht mit viel gutem Willen die große Magellansche Wolke oder den Perseus-Pisces-Supercluster ganz links).


    Daraufhin habe ich mir den Originalartikel angesehen. Dabei hat sich mir folgendes Bild ergeben. Man geht zunächst von einer vollkommenen Isotropie der eintreffenden Teilchen aus (aber warum eigentlich, wenn sie doch aus der „kosmologischen Nachbarschaft“ stammen, die ganz inhomogen ist?) und versucht dann eine Dipolstruktur zu identifizieren. Solche Dipole sind bekannt aus dem CMB. Der CMB ist nicht völlig isotrop, sondern in eine Richtung etwas blauverschoben und in die entgegengesetzte etwas rotverschoben. Die meisten Kosmologen deuten dies als Zeichen für die Eigenbewegung der lokalen Galaxiengruppe gegenüber dem Mikrowellenhintergrund. Einen weiteren Dipol findet man in den Rotverschiebungen der Galaxien nach dem Two Micron All Sky Redshift Survey (2MRS). Die Eigenbewegung der lokalen Galaxiengruppe nach dem CMB Dipol sollte ja verursacht sein durch eine höhere Galaxiendichte und deren gravitative Effekte in Richtung der Bewegung. Der 2MRS hat tatsächlich eine solche höhere Galaxiendichte ergeben, aber nicht genau in Richtung des CMB Dipols, sondern 10°-15° abweichend.


    Am Pierre Auger Observatorium wollte man einen Dipol auch für den Strom hochenergetischer Teilchen zeigen, die die Erde treffen, wobei dieser Dipol mit dem 2MRS Dipol übereinstimmen sollte. Dann hätte man nachgewiesen, daß der Teilchenstrom im Prinzip aus allen Richtungen gleichmäßig kommt, aber durch die Eigenbewegung unserer Galaxis eine Dipolstruktur erhält. Damit wäre der extragalaktische Ursprung des Teilchenstroms nachgewiesen.


    Nun liegt der 2MRS Dipol dem Paper zufolge bei 251° galaktischer Länge und 38° galaktischer Breite. Dieser Ort befindet sich im Sternbild Sextans. (Ansonsten findet man in der Literatur einen korrigierten Wert von 261° Länge und 38° Breite im Sternbild Hydra.) Dagegen liegt der Dipol des Teilchenstroms dem Paper zufolge bei 233°/-13° im Sternbild Canis major. Den Autoren des Papers zufolge ist das eine Abweichung von etwa 55° gegenüber dem 2MRS Dipol. (Legt man den Wert aus der Literatur zugrunde, beträgt die Abweichung sogar 65°.) Für mein laienhaftes Gefühl ist diese Abweichung so groß, daß der Nachweis des außergalaktischen Ursprungs des Teilchenstroms damit als gescheitert betrachtet werden müßte. Allerdings weisen die Autoren darauf hin, daß die Teilchen, wenn sie denn von anderen Galaxien kommen, durch das Magnetfeld unserer Galaxis und durch lokale Magnetfelder abgelenkt werden und daher auf der Erde nicht mehr aus ihrer Ursprungsrichtung ankommen. Unter Zugrundelegung eines neuen Modells des galaktischen Magnetfeldes könnte sich die Abweichung des Teilchenstromdipols vom 2MRS Dipol um ca. 20° verringern, also von 55° (65°) auf 35° (45°).


    Nun gut, Ungenauigkeiten hat man solchen Dingen immer, und der CMB Dipol liegt ja auch um 10°-15° neben dem 2MRS Dipol. Aber die (bereits um die Effekte des galaktischen Magnetfeldes korrigierte) Abweichung des Teilchenstromdipols vom 2 MRS Dipol ist dreimal so groß, und zwar in eine andere Richtung. Läßt er sich dann wirklich noch durch den gleichen Mechanismus erklären wie der 2MRS Dipol? Nur dann wäre der außergalaktische Ursprung des Teilchenstroms aufgewiesen!


    „Kleinste Teilchen aus fernen Galaxien! Ein 50 Jahre altes Rätsel gelöst.“ „… grundlegende Fragen über die Ursprünge des Universums beantwortet!“ Tatsächlich? Na, ich weiß nicht ….


    Viele Grüße
    Johannes

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">Sind die Ergebnisse noch nicht veröffentlicht?<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Hallo Thomas,


    die Studie wurde im Fachblatt Science veröffentlicht und lässt sich hier als PDF nachlesen.

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!