Sterneruption macht Wasserschneegrenze sichtbar

  • <b>Zum ersten Mal gelang es Wissenschaftlern, die sogenannte Schneegrenze von Wasser innerhalb einer protoplanetaren Scheibe sichtbar abzubilden. Diese Linie kennzeichnet den Abstand, ab dem die Temperatur in der Scheibe um einen jungen Stern so weit gesunken ist, dass sich Schnee bilden kann. Eine dramatische Zunahme der Helligkeit des jungen Sterns V883 Orionis hat den inneren Bereich der Scheibe schlagartig erwärmt, so dass die Wasserschneegrenze deutlich weiter nach außen verschoben wurde, als es für einen Protostern eigentlich üblich ist. Aus diesem Grund war es den Wissenschaftlern mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) möglich, die Grenze zum ersten Mal zu beobachten. </b>


    Junge Sterne sind oftmals von dichten, rotierenden Scheiben aus Gas und Staub umgeben, die als protoplanetare Scheibe bezeichnet werden und aus denen sich Planeten bilden. Durch die Wärme eines typischen jungen sonnenähnlichen Sterns ist sämtliches Wasser innerhalb der protoplanetaren Scheibe bis zu einer Entfernung von etwa 3 Astronomischen Einheiten (AE) vom Stern gasförmig [1] – das entspricht etwa dem Dreifachen der durchschnittlichen Entfernung zwischen Erde und Sonne, also etwa 450 Millionen Kilometer [2]. Weiter außen findet durch den extrem niedrigen Druck ein direkter Übergang der Wassermoleküle vom gasförmigen in den festen Zustand statt, so dass sich eine dünne Schicht aus Eis auf Staubkörnern und anderen Partikeln bildet. Der Bereich in der protoplanetaren Scheibe, in dem Wasser vom gasförmigen in den festen Zustand übergeht, wird als Wasserschneegrenze bezeichnet [3].


    Der Stern V883 Orionis hingegen ist ungewöhnlich. Durch eine dramatische Zunahme der Helligkeit hat sich die Wasserschneegrenze bis zu einer Entfernung von etwa 40 AE nach außen verschoben (das entspricht etwa 6 Milliarden Kilometern oder ungefähr dem Radius der Umlaufbahn des Zwergplaneten Pluto in unserem Sonnensystem). Ohne diese enorme Helligkeitsänderung und die hohe Auflösung, die ALMA mit langen Basislinien [4] bietet, wäre es dem Team unter der Leitung von Lucas Cieza (Millennium ALMA Disk Nucleus und Universidad Diego Portales, Santiago de Chile) nicht gelungen, zum ersten Mal die Schneegrenze von Wasser in einer protoplanetaren Scheibe abzubilden.


    Die plötzliche Helligkeitszunahme, die V883 Orionis widerfahren ist, ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn große Mengen Materie aus der Scheibe um einen jungen Stern auf seine Oberfläche fallen. V883 Orionis ist nur um etwa 30% massereicher als die Sonne, und dank der Eruption, die der Stern erlebt, ist er derzeit jedoch erstaunliche 400 Mal leuchtkräftiger – und deutlich heißer [5].


    Erstautor Cieza erläutert: „Die ALMA-Beobachtungen haben uns überrascht. Das Ziel unserer Beobachtungen war eigentlich nach Fragmentierungen der Scheibe zu suchen, die zu Planetenentstehung führen. Wir haben nichts davon gesehen; stattdessen fanden wir etwas in einer Entfernung von 40 AU vom Stern, das wie ein Ring aussah. Das macht deutlich, wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten für ALMA sind und dass es uns auch dann hochinteressante Ergebnisse liefern kann, wenn wir eigentlich nach etwas Anderem suchen.“



    Künstlerische Darstellung der Wasserschneegrenze um den jungen Stern V883 Orionis. Illustration: A. Angelich (NRAO/AUI/NSF)/ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)


    Für die Planetenentstehung ist der Schnee im Weltraum eine grundlegende Voraussetzung. Das Wassereis sorgt dafür, dass die Staubkörner schneller zusammenballen und zu größeren Objekten heranwachsen können – diese sogenannte Koagulation stellt die erste Phase der Planetenentstehung dar. Man geht davon aus, dass sich innerhalb der Schneelinie, wo Wasser gasförmig ist, Gesteinsplaneten bilden. Jenseits der Schneegrenze fördert das Wassereis die schnelle Bildung solch kosmischer Schneebälle, aus denen irgendwann einmal weitaus massereichere Gasplaneten wie Jupiter entstehen.


    Die Entdeckung, dass diese Eruption die Wasserschneegrenze auf etwa das Zehnfache des üblichen Radius verschoben hat, ist für die Entwicklung geeigneter Modelle, mit denen die Planetenentstehung beschrieben werden soll, von großer Bedeutung. Man geht davon aus, dass solche Eruptionen eine Phase in der Entwicklung der meisten Planetensysteme darstellen, demzufolge könnte es sich hierbei um die erste Beobachtung eines durchaus weit verbreiteten Ereignisses handeln. In diesem Fall könnten die ALMA-Beobachtungen einen entscheidenden Beitrag für das bessere Verständnis darüber liefern, wie Planeten im Universum entstehen und sich entwickeln.


    Fußnoten
    [1] 1 AE, oder eine Astronomische Einheit, entspricht der mittleren Entfernung zwischen Erde und Sonne, also etwa 149,6 Millionen Kilometer. Diese Einheit wird üblicherweise verwendet, um die Entfernungen innerhalb des Sonnensystems oder Planetensystemen um andere Sterne zu beschreiben.
    [2] Während der Entstehung des Sonnensystems verlief diese Linie zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter, demzufolge bildeten sich die Gesteinsplaneten Merkur, Venus, Erde und Mars innerhalb der Linie und die Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun außerhalb.
    [3] Die Schneegrenze für andere Moleküle wie Kohlenstoffmonoxid und Methan wurde mit ALMA in anderen protoplanetaren Scheiben in Entfernungen von mehr als 30 AE vom Protostern bereits beobachtet. Wasser gefriert bei einer vergleichsweise hohen Temperatur, was bedeutet, dass die Wasserschneegrenze für gewöhnlich viel zu nah am Protostern liegt, um direkt beobachtet werden zu können.
    [4] Die Auflösung ist ein Maß für die Fähigkeit, zwei nah beieinanderliegende Objekte noch getrennt wahrgenommen zu werden. Für das menschliche Auge würden mehrere helle Taschenlampe in weiter Entfernung wie ein einziger leuchtender Punkt aussehen, wohingegen sie bei geringer Entfernung unterscheidbar wären. Dasselbe Prinzip gilt auch für Teleskope. Um die ausgezeichnete Auflösung von ALMA vollständig ausschöpfen zu können, muss das Teleskop in einem Modus mit langen Basislinien betrieben werden, wie es auch bei den neuen Beobachtungen der Fall war. Die Auflösung von ALMA für die Entfernung von V883 Orionis liegt bei etwa 12 AE – ausreichend, um bei 40 AE die Schneegrenze von Wasser dieses eruptiven Systems zu beobachten, jedoch nicht für einen klassischen jungen Stern.
    [5] Sterne wie V883 Orionis werden als FU-Orionis-Sterne bezeichnet, da FU Orionis der erste Stern war, der gefunden wurde und dieses Verhalten aufwies.


    Weitere Infos, Bilder und Videos auf den Seiten der ESO unter http://www.eso.org/public/germany/news/eso1626/?lang

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!