Astronomie im Mittelalter

  • Liutprand von Cremona ( 929- 972 )




    Die Stadt Konstantinopel, das frühere Byzantinum und heutige Neu- Rom, liegt zwischen überaus trotzigen Völkern. Im Norden nämlich sind es die Ungarn, die Petschengen, die Chasaren, die Russen, die wir mit einem anderen Namen Normannen nennen., und als nächste Nachbarn die Bulgaren; im Osten ist es Bagdad, im Südosten die Bewohnen Ägyptens und Babyloniens; im Süden aber Afrika und sehr nahe ihm gegenüber die Insel Kreta. Die übrigen Völker unter demselben Himmelsstrich, die Armenier, Perser, Chaldäer, Abasgen, sind Neu- Rom unterworfen. Die Einwohner dieser Stadt aber sind den genannten Völkern an Reichtum wie auch an Bildung weit überlegen.
    Sie pflegten nämlich, um nicht von Nachbarvölkern überfallen zu werden, allnächtlich im ganzen Stadtgebiet, wo zwei, drei und vier Straßen zusammenstoßen, bewaffnete Posten zum Schutze der Stadt aufzustellen, um sie bewachen zu lassen. Und wenn die Wächter nach Dunkelwerden jemand irgendwohin gehen lassen, so wird er alsbald ergriffen, die Nacht über bis zum Morgen verwahrt, um ihn dann vorzuführen. Auf diese Art bleibt die Stadt unbehelligt nicht nur von äußeren Feinden, sondern auch von Straßenräubern.
    Nun wollte der erhabene Kaiser Leo die Treue und Zuverlässigkeit der Wachen prüfen; er verließ also in der Dämmerung ohne Begleitung den Palast und kam zur ersten Wache. Als die Wächter ihn davonlaufen und wie aus Furcht ausweichen sahen, ergriffen sie ihn und fragten ihn, wer er sei und wohin er gehe.
    Er sei einer von vielen, gab er zur Antwort, und wolle ins Bordell. Sie darauf: „ Wir werden dich tüchtig verhauen und gefesselt bis morgen hierbehalten!“ Er antwortete:“ Aber nein, Brüder, nein, nehmt, was ich bei mir habe, und laßt mich meines Weges gehen.“
    Und als sie zwölf Goldstücke bekamen, ließen sie ihn sogleich frei.
    Vorn hier aber ging er weiter und kam zur zweiten Wache. Hier wurde er wie bei der ersten ergriffen und nach Erlegung von zwanzig Goldstücken entlassen.
    Als er zur dritten kam, ergriff man ihn, entließ ihn jedoch nicht, wie bei der ersten und zweiten, sondern nahm ihn alles ab, legte ihn in enge Fesseln, schlug lange mit Fäusten und Peitschen auf ihn ein und warf ihn ins Gefängniß, um ihn am nächsten Tage vorzuführen. Nachdem die Wachleute abgezogen waren, rief der Kaiser den Gefängnißaufseher zu sich und fragte ihn:“ Mein Freund, kennst du den Kaiser Leo?“ „ Wie“, antwortete der, „ soll ich jemanden kennen, den ich meines Wissens nie gesehen habe? Wenn er sich- selten genug- in der Öffentlichkeit zeigt und ich ihn von weiten betrachte- ich darf ja nicht in die Nähe-, so ist mir, als sähe ich eine Wundererscheinung, aber nicht einen Menschen. Es wäre aber für dich besser, du würdest dich darum bemühen, ungeschoren von hier wegzukommen, als mich nach solchen Dingen zu fragen.
    Nicht gleich meint es mit euch Fortuna, mit dir im Gefängniß und mit ihm im goldenen Thronsaal. Diese Fesseln sind zu leicht, sie sollen verstärkt werden, um dir die Zeit zu nehmen, über den Kaiser nachzusinnen.“ „ Still, still, sagte dieser zu ihm, „ ich bin ja selbst der erhabene Kaiser Leo, der den Glanz seines Palastes unter unguten Vorzeichen verlassen hat.“
    Der Wärter aber, der es nicht glauben wollte, daß jemand die Wahrheit sagte, erwiderte:“ Soll ich glauben, daß ein Schweinehund, der sein Gut mit Freudenmädchen verpraßt, der Kaiser sei? Da du dich vernachlässigt hast, will ich die die Sterne prüfen. Höre zu: „Mars steht im Gedrittschein, Saturn schaut zurück zur Venus, Jupiter im Geviertschein, Merkur ist dir ungünstig, die Sonne rund, der Mond ist im Sprung, Unglück verfolgt dich“
    Der Kaiser aber sagte: „ Damit du anerkennst, daß ich die Wahrheit sage, komm mit mir, .wenn das Morgensignal gegeben wird- denn vorher dürfen wir es nicht wagen,-, zum Palast, und zwar unter einem glücklicheren Vorzeichen als jenem, unter dem ich ihn verließ. Wenn du siehst, daß man mich dort nicht als Kaiser empfängt, sollst du mich töten.[...]“
    Nun schenkte ihm der Wärter Glauben, und nachdem, wie es der Kaiser gesagt hatte, das Morgensignal gegeben worden war, folgte er ihm zum Palast. Hier angekommen, wurde er, weil man ihn kannte, mit großen Ehren empfangen und setzte dadurch seinen Begleiter von maßlosem Erstaunen außer Atem. Jedenfalls, als er ansah, wie die Würdenträger alle dem Kaiser entgegenliefen, ihm Verehrung und Anbetung bezeugten, die Schuhe auszogen, wie sich ein jeder um dies und das bemühte, da wäre ihm der Tod lieber gewesen als das Leben. Der Kaiser aber sagte zu ihm: „ Betrachte nun die Gestirne, und wenn du mir richtig das Zeichen, unter dem du kamst, sagst, so wirst du beweisen, daß du die wahre Gabe der Weissagung hast. Zuerst aber sage mir, welche Krankheit dich so sehr erbleichen ließ?“ Und die Antwort war:“ Schon stellt Clotho, die beste der Parzen, das Spinnen ein, Lachesis will sich nicht mehr mit dem Drehen der Spindel abmühen, und die grausamste von ihnen, Atropos, wartet, die Finger schon zur Faust geballt, nur auf den Befehl deiner Hoheit, um die Fäden zusammenzufassen und abzureißen. Die Bleichheit meines Gesichtes aber rührt daher, daß die Seele aus dem Körper hinuntersank und das Blut mit in den unteren Teil des Körpers nahm.“ Da lächelte der Kaiser und sagte:“ Hole die Seele zurück, hol sie und nimm dazu zweimal zwei Pfund Goldstücke; vor niemand aber sollst du dich meinetwegen verantworten, es sei denn dafür, daß ich weglief.“ Danach ließ der Kaiser die Wachen zu sich kommen, die ihn ergriffen und wieder hatten laufen lassen, und jene, die ihn geschlagen und eingesperrt hatten. Zu ihnen sprach er:“ Wenn ihr wachet und die Stadt hütet, trefft ihn da nicht gelegentlich Diebe oder Ehebrecher?“ Jene, die ihn gegen Geld entlasse hatten, antworteten darauf, sie hätten nichts gesehen; die ihn aber geschlagen und eingesperrt hatten, antworteten so: „ Deine heilige Herrlichkeit hat befohlen, daß die Posten jeden sogleich festnehmen, auspeitschen und im Gefängniß abliefern sollten, den sie nach Einbruch der Dämmerung irgendwohin gehen sehen. Deinen Befehl also, allerheiligster Herrscher, gehorchend haben wir in der vorigen Nacht einen, der in den Bordellen herumlief, festgenommen, gegeißelt und im Gefängniß abgeliefert, um ihn zu verwahren, bis er nach deinem heiligen Gebot hervorgeholt wird.“ Der Kaiser darauf:“ Aus meiner kaiserlichen Macht befehle ich nachdrücklich, daß man ihn sofort vorführe!“ ohne Zögern rannten sie davon, den Gefesselten zu bringen, doch als sie erfuhren, daß er entlaufen sei, kehrten sie mehr tot als lebendig zum Palast zurück. Als sie aber das dem Kaiser meldeten, rief dieser, indem er ihnen zeigte, wie man ihn ausgezogen und tüchtig geschlagen hatte: Kommt her, fürchtet euch nicht, ich bin es selbst, den ihr gegeißelt habt und von dem ihr jetzt glaubt, er sei entflohen. Ich weiß wohl und bin überzeugt, daß ihr nicht den Kaiser, sondern den Feind des Kaisers zu schlagen meintet. Jene aber, die mich nicht als den Kaiser, sondern als Räuber und einen, der es auf mein Leben abgesehen habe, gehen ließen, sollen- ich will es nicht nur, sondern befehle es- halbtot gepeitscht und unter Verlust ihrer ganzen Habe aus der Stadt gejagt werden. Euch schenke ich aber nicht nur von meinem, sondern auch vom Reichtum jener Bösewichter. Wie klug der Kaiser hier vorging, wird Eure väterliche Würde daraus ersehen, daß die anderen seitdem die Stadt aufs gewissenhafteste bewachen und den Kaiser fürchten, als sei er gegenwärtig, auch wenn er abwesend ist. Und so ist es gekommen, daß der Kaiser des Nachts den Palast nicht mehr verläßt und die Seinen alles in Treue bewachen.



    Liutprand von Cremona
    Antapodosis I 29-30.



    In: Quellen zur Geschichte der Sächsischen Kaiserzeit
    Hrsg. v. Reinhold Rau
    = Freiherr von Stein Gedächnisausgabe ( FSGA) VIII
    Darmstadt 1971


    ---Ich hoffe, Ihr findet solche Texte hier angemessen, der astrologische Teil ist relativ kurz, aber ich wollte die hübsche Geschichte nicht zuerstückeln..


    CS


    Michael

  • Hallo Michael,


    schöne und (leider) zeitlose Geschichte über Loyalität und Korruption.


    "Gewissen aus, Hand auf" ist immer noch eine sehr weit verbreitete Haltung......



    Gruß & CS Franjo

  • Hallo Michael,


    Eine schöne Geschichte, auch wenn der astronomische Bezug nicht so stark ist. Vielleicht ist sie besser im Off Topic aufgehoben?
    Ein Tipp: wenn Du so lange Texte einstellst, gliedere sie bitte mit ein paar Absätzen. Durch die große Zeilenlänge sind solche Texte sonst sehr schwer zu lesen.


    Bis dann:
    Marcus

    16" f/4 Dobson, 6" f/5 Dobson, C8, 60/360 Apo, 70/700 PST-Mod "Sunlux"


    Zeige mir einen Dobson und ich zeige Dir eine Baustelle

  • Ja- Marcus


    Das mit den Absätzen hatte ich mir selbst schon überlegt. Wär´vielleicht übersichtlicher gewesen, nur hab´ich mich schon schwer getan, den Text nicht in Original- Latein reinzustellen. Ich bin ein Fan des " Diplomatischen Abdruckes"- das ist in der Historie die buchstabengetreue Wiedergabe, mit allen orthographischen Besonderheiten, seltsamen Interpunktionen etc..Weil, wenn man da "verbessernd" eingreift, dann interpretiert man schon...Aber ok...hier ist kein Historikerforum..
    Das nächste mal mache ich das mit Absätzen, die ist als eigene markiere...


    CS


    Michael

  • <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote"><i>Original erstellt von: Wattwurm</i>
    <br />Ja- Marcus


    Das mit den Absätzen hatte ich mir selbst schon überlegt.




    Das nächste mal mache ich das mit Absätzen, die ist als eigene markiere...


    CS


    Michael
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">



    Kannst ja immer noch. Veränderst ja nix am Text selber. Dafür haben wir ja hier die Bearbeiten Funktion.



    Wäre ja schade, wenn jeder nur die Hälfte ließt, weil es so anstrengend ist.



    Gruß Jogi

  • Thietmar von Merseburg (975-1018)



    10. Das Erscheinen eines Kometen kündigte verlustreiche Seuchen an.



    In: Thietmar von Merseburg
    Chronicon
    Hrsg von Rudolf Buchner
    Darmstadt, 1962
    S. 124f.

  • Sternenuhr des Pacificus von Verona





    Sammelhandschrift, St. Gallen. Um1000
    Pergament,194 Blätter H 24,5 cm, B 17,5 cm
    St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 18


    Die abgebildete Szene beschreibt eine bemerkenswerte Erfindung, die Pacifius von Verona (776-844) zugeschrieben wird. Es handelt sich um ein Sehrohr, das zum Himmelspol gerichtet ist und an dessen Ende sich eine (möglicherweise drehbare) Skala befindet. Dies gestattet die Beobachtung der unmittelbaren Umgebung des Himmelspols. Durch die in zwölf Abschnitte geteilte Skala besteht die Möglichkeit, einen Ort des um den Pol kreisenden Sterns in der äquatorialen Längenskala ( Stundenwinkel) zu bestimmen.



    Da der heutige Polarstern im Mittelalter noch viel weiter als heute vom Himmelspol entfernt, aber immerhin der hellste Stern im Polgebiet war, ist dieser zweifelsfrei dasjenige Objekt gewesen, dessen Pol- Umlauf beobachtet und dessen Längenabstand vom jahreszeitlich variablen Mitternachtspunkt letztlich gemessen wurde. Es muss offen bleiben, ob die Beobachter den jeweiligen Mitternachtspunkt durch Drehung der Scheibe selbst einstellen konnten oder ob dieser bei fester Skala tabellarisch ermittelt wurde ( man wüsste natürlich gern, was genau in dem nachträglich ausgeschnittenen Kreis gezeigt wurde).
    Die in anderen zeitgenössischen Abbildungen auftauchende Bezeichnung des beobachteten Sterns als computatrix lässt beide Möglichkeiten offen.
    Da sich die Richtung der Himmelsachse nicht ändert, ist eine feste Justierung des Sehrohrs auf den Mittelpunkt aller den Pol umkreisenden Sterne plausibel; die Gestaltung der tragenden Säule lässt vermuten, dass das Gerät nicht provisorisch aufgestellt wurde. Den nächtlichen Beobschtern stand hiermit ein Gerät zur Bestimmung der Uhrzeit zur Verfügung, das in dieser Hinsicht dem damals noch nicht bekannten Astrolabium ebenbürtig oder gar überlegen war und als Vorläufer der modernen Teleskope mit parallaktischer Montierung angesehen werden kann.


    In: Karl
    Charlemagne
    Der Grosse
    Orte der Macht
    Katalog


    HRSG.v. Frank Pohle



    http://www.cesg.unifr.ch/en/


    Dresden
    2014
    S.221f.

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