Tatort Südpol: verdächtiger Blazar im Neutrinofall

  • <b>Woher stammte ein extrem energiereiches Neutrino, das eine Beobachtungsstation am Südpol im Dezember 2012 registriert hat? Diese Frage hat ein internationales Wissenschaftler-Team unter der Leitung Würzburger Astrophysiker lange beschäftigt. Jetzt scheint das Rätsel gelöst.</b>


    Vor fast zehn Milliarden Jahren ereignete sich in einer weit entfernten Galaxie mit den Namen PKS B1424-418 ein dramatischer Strahlungsausbruch, dessen Licht im Herbst 2012 die Erde erreichte. Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Matthias Kadler, Professur für Astrophysik an der Universität Würzburg, konnte nun zeigen, dass sehr wahrscheinlich auch ein extrem hochenergetisches Neutrino seinen Ursprung in diesen Ausbruch hatte und zur selben Zeit die Erde erreichte. Es ist damit zum ersten Mal gelungen, eine mögliche Verbindung zwischen einem bestimmten extragalaktischen Objekt und einem entsprechenden kosmischen Neutrino aufzuzeigen. An der Arbeit beteiligt waren auch Wissenschaftler des neuen Forschungsclusters für Astronomie und Astroteilchenphysik der Universitäten Würzburg und Erlangen-Nürnberg; die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Nature Physics veröffentlicht.


    Neutrinos sind die schnellsten, leichtesten und kontaktscheuesten Elementarteilchen; erst seit kurzem ist es überhaupt möglich, hochenergetische Neutrinos aus den Tiefen des Universums nachzuweisen. Obwohl die Zahl der Neutrinos die aller Atome im Universum bei weitem übersteigt, zeigen sie kaum Wechselwirkung mit normaler Materie; dadurch stellt der Nachweis von Neutrinos eine beachtliche Herausforderung dar. Diese Eigenschaft der Neutrinos führt aber auch dazu, dass sie leicht aus Regionen entweichen können, aus denen kein Lichtsignal herauskommt – wie beispielsweise aus dem Zentralbereich eines kollabierenden Sterns – und dass sie fast unbeeinflusst durch andere Materie von ihrer Quelle bis zur Erde gelangen können. Neutrinos tragen somit Informationen über kosmische Umgebungen und Prozesse, die der Untersuchung mithilfe elektromagnetischer Strahlung alleine nicht zugänglich sind.


    Mit dem Neutrino-Observatorium IceCube am Südpol wurden erst kürzlich Hinweise auf kosmische Neutrinostrahlung gefunden, was von der Zeitschrift „Physics World“ zum Durchbruch des Jahres 2013 gekürt wurde. Bisher hat das IceCube-Forscherteam rund 100 hochenergetische Neutrinoereignisse identifiziert, von denen die energiereichsten Einzelereignisse mit einprägsamen Namen aus der Kinderfernseh-Serie „Sesamstraße“ belegt wurden. Am 4. Dezember 2012 wurde ein Neutrino mit einer Energie von mehr als zwei Peta-Elektronenvolt (1 PeV = 10^15 eV) identifiziert, das auf den englischen Namen „Big Bird“ getauft wurde. Im Vergleich ist das so, als ob man das Billionenfache (10^12) der Energie einer Röntgenaufnahme beim Zahnarzt in ein einziges Elementarteilchen packen würde, das weniger als ein Millionstel der Masse eines Elektrons aufweist. Big Bird war das seinerzeit energiereichste nachgewiesene Neutrino und steht heute immer noch auf dem zweiten Platz.


    Von wo kommt Big Bird? Die Positionsbestimmung von IceCube war ziemlich ungenau und konnte den Entstehungsort nur auf ein recht großes Himmelsareal mit einer Fläche von ca. 64 Vollmonden eingrenzen. „Die Ausgangssituation erinnerte an einen Kriminalfall“, sagt der Hauptautor der Studie, Matthias Kadler, Professor für Astrophysik an der Universität Würzburg. „Wir waren konfrontiert mit einer Explosion ungeklärten Ursprungs, einem Verdächtigen, und einer Reihe verschiedener Indizienbeweise.“


    Im Sommer 2012 wurde das Gammastrahlen-Observatorium Fermi der NASA Zeuge eines dramatischen Aufleuchtens im Zentralgebiet der aktiven Galaxie PKS B1424-418, die als Gammastrahlungs-Blazar klassifiziert ist. Eine aktive Galaxie ist eine im Prinzip normale Galaxie, die allerdings einen ungewöhnlich hellen kompakten Kernbereich aufweist. Die starke Strahlung im Zentralbereich wird durch den Einfall von Materie in ein supermassereiches Schwarzes Loch im Zentrum der Galaxie erzeugt, mit Millionen oder sogar Milliarden mal der Masse unserer Sonne. Ein Teil dieser einfallenden Materie kann in zwei extrem energiereiche Materiestrahlen oder Jets umgelenkt werden, die sich, gebündelt durch starke Magnetfelder, mit fast Lichtgeschwindigkeit in entgegengesetzten Richtungen ausbreiten. Wenn einer dieser beiden Jets nahezu direkt auf die Erde gerichtet ist, spricht man von einem Blazar.


    Während des rund ein Jahr andauernden Ausbruchs war die Helligkeit von PKS B1424-418 in Gammastrahlen rund 15- bis 30-mal höher als im Schnitt vor dem Ausbruch. Dieser Blazar liegt innerhalb des Suchbereichs für das Neutrinoereignis, aber das gilt auch für eine Reihe weiterer aktiver Galaxien, die von Fermi entdeckt wurden.



    Der Gammahimmel im Umfeld des Blazars PKS B1424-418, aufgenommen mit dem LAT-Detektor an Bord des Fermi-Gammastrahlungsobservatoriums. Die Farben zeigen die Intensität der Gammastrahlung. Der gestrichelte Kreis zeigt den Wahrscheinlichkeitsbereich am Himmel, in dem das Big-Bird-Neutrinoereignis stattgefunden hat. Fermi-LAT-Daten, gemittelt über 300 Tage um den 27. Februar 2013, während denen PKS B1424-418 den hellsten Blazar in diesem Bereich des Himmels darstellte. Bild: NASA/DOE/LAT-Kollaboration


    Auf der Suche nach dem Ursprung für das Neutrinoereignis wandten sich die Wissenschaftler nun zu einem langfristigen Beobachtungsprogramm in Radiowellen, das unter der Bezeichnung TANAMI läuft. Seit 2007 wurden im Rahmen von TANAMI rund 100 aktive Galaxien am Südhimmel systematisch überwacht, darunter eine Reihe von Galaxien, bei denen Strahlungsausbrüche mit Fermi entdeckt wurden. Drei Radiobeobachtungen aus den Jahren 2011 bis 2013 decken die Zeit des Fermi-Strahlungsausbruchs von PKS B1424-418 ab. Sie zeigen, dass die Radiostrahlung aus dem Zentralbereich des Galaxienjets in diesem Zeitraum ebenfalls fast viermal heller wurde. Während seiner kompletten Programmlaufzeit ist im Rahmen von TANAMI bisher kein vergleichbarer Strahlungsausbruch in einer aktiven Galaxie beobachtet worden.


    „Blazare sind in der Lage, in ihren Jets Protonen auf relativistische Energien zu beschleunigen. Durch Wechselwirkung mit Licht können im Zentralgebiet des Blazars daraus Pionen erzeugt werden“, erklärt Karl Mannheim, Ko-autor der Studie und Professor für Astronomie in Würzburg, und fügt hinzu: „Aus dem Zerfall der Pionen entstehen dann sowohl Gammastrahlen als auch Neutrinos. Von allen bekannten Objekten in der Astrophysik sind nur die Blazare imstande, den mit IceCube beobachteten extraterrestrischen Fluß von Neutrinos zu erklären.“


    „Wir suchten daher in dem Feld, in dem Big Bird entstanden sein muss, nach solchen Blazaren“, erzählt Ko-Autorin Felicia Krauß, die an der Universität Erlangen-Nürnberg promoviert. „Es war ein unvergesslicher Moment, als wir realisierten, dass der dramatischste Blazarausbruch, den wir in TANAMI je gesehen hatten, genau in diesem Feld und genau zur richtigen Zeit stattgefunden hatte.“


    In einer am 18. April 2016 in der Fachzeitschrift „Nature Physics“ veröffentlichten Arbeit schlagen die Wissenschaftler vor, dass der Strahlungsausbruch von PKS B1424-418 und das Neutrinoereignis Big Bird miteinander in Verbindung stehen. Sie berechnen eine nur fünfprozentige Wahrscheinlichkeit dafür, dass beide Ereignisse nur zufällig zur gleichen Zeit und am selben Ort stattfanden. Durch die Analyse von Daten mit den NASA-Satelliten Fermi, Swift und WISE sowie dem australischen Long Baseline Array (LBA) und weiteren Beobachtungen konnten die Forscher ermitteln, wie sich die Energie des Strahlungsausbruchs über das elektromagnetische Spektrum vom Radio- bis in den Gammabereich verteilt und daraus ableiten, dass die Gesamtenergie ausreicht, um ein Neutrino im PeV-Energiebereich zu erzeugen. „Der Blazar hatte während seines Strahlungsausbruchs sozusagen die nötigen Mittel, ein Motiv und auch die passende Gelegenheit. Er ist deshalb unser Hauptverdächtiger für den Ursprung des Big Bird Neutrinos“, erklärt Matthias Kadler.


    Francis Halzen, der Projektleiter von IceCube an der University of Wisconsin–Madison, der an der vorliegenden Untersuchung nicht beteiligt war, sieht in diesem Ergebnis einen spannenden Hinweis darauf, was noch in Zukunft zu erwarten ist: „Im IceCube Projekt werden nun Benachrichtigungen zu Neutrino-Ereignissen in Echtzeit herausgegeben, die auf eine Größe von nur wenig mehr als einem halben Grad Durchmesser am Himmel genau sind, also nur geringfügig größer als der Vollmond“, sagt er. „Damit öffnen wir allmählich ein Neutrino-Fenster ins Universum.“


    Diese Untersuchung zeigt eindrucksvoll die Bedeutung für die Aufklärung der Natur der Objekte, die exotische Strahlungen wie Neutrinos oder Gravitationswellen aussenden.


    Weitere Infos und Bilder auf den Seiten der Uni Würzburg unter https://www.uni-wuerzburg.de/s…-fall-neutrino-ermittelt/

  • Hallo Caro,
    phantastisch, ich stör mich aber am Ausdruck im ersten Abschnitt des Artikels "zur selben Zeit".
    Auch so ein "Super"Neutrino müßte doch erheblich während seiner 10 Milliarden Jahre Laufzeit hinter dem Licht herhinken. Dem hat man sicher Rechnung getragen.
    Meine Frage: wie groß wäre der Zeitunterschied?
    Gruß Hans

  • Hi Hans,


    ich antworte mal, da ich unter den Autoren des Fachartikels bin.


    Man sollte die Fragestellung andersrum diskutieren meiner Meinung nach: Da der Helligkeitsausbruch im elektromagnetischen Bereich des in Frage kommenden Blazars einige Monate dauerte, aber man (wenn überhaupt) davon nur ein einziges Neutrino gesehen hat, kann man natürlich selbst unter dieser Annahme erstmal nicht sagen, von wann genau im Ausbruch das Neutrino ist (wenn man nicht von vornherein annehmen will dass Neutrinos und Photonen gleich schnell sind).


    Was man aber tun kann (und wir in dem Paper auch gemacht haben) ist die maximale Laufzeitdifferenz (und damit den absoluten Geschwindigkeitsunterschied) zwischen Neutrinos und Photonen ausrechnen. Wie gesagt aber immer nur unter der Annahme, dass das Neutrino auch wirklich von dem diskutierten Ausbruch kommt, was uns plausibel erscheint, aber eben nicht absolut sicher bewiesen ist. In dem Fall käme man auf einen relativen maximal erlaubten Geschwindigkeitsunterschied Neutrino/Photon von 10^-11, also echt ziemlich wenig. Das wären 160 Tage für die Rotverschiebung von PKS 1424 (Lichtlaufzeit 9,12 Gigajahre).


    Viele Grüsse,
    DK

  • Moin,


    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">wurde ein Neutrino mit einer Energie von mehr als zwei Peta-Elektronenvolt (1 PeV = 10^15 eV) identifiziert, das auf den englischen Namen „Big Bird“ getauft wurde. Im Vergleich ist das so, als ob man das Billionenfache (10^12) der Energie einer Röntgenaufnahme beim Zahnarzt in ein einziges Elementarteilchen packen würde, das weniger als ein Millionstel der Masse eines Elektrons aufweist.
    <hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">

    Moin,
    wie misst man solche Energiemengen? und was
    heisst das eigentlich "hat eine Energie von...."
    danke fuer ein paar erklärende Zeilen
    LG Arno

  • Das Neutrino wurde mit dem IceCube Experiment am Südpol nachgewiesen. Was man dort nachweist, ist wenn das Neutrino im oder in der Nähe des instrumentierten Eisvolumens Sekundärteilchen (Müonen z.B. oder auch einen ganzen Schauer aus geladenen Teilchen) erzeugt. Diese sind bei den betreffenden Energien oft schneller als die Lichtgeschwindigkeit im Eis und erzeugen daher Cherenkovlicht. Dieses weist man mit Photomultipliern im Eis nach. Ausmass des nachgewiesenen Lichtes gibt dann einen gewissen Rückschluss auf die Energie des ursprünglichen Neutrinos.

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