24" f 3.9

  • Eigentlich hatte ich für mich beschlossen, dass ein Dobson der 16 bis 18“ Klasse der vernünftigste Kompromiss sein sollte. So ein Teil ist noch bequem zu tragen, man bekommt es noch ohne Getrickse durch jede Tür und es lässt sich problemlos im Auto verstauen. Das sollte sich aber ändern als Astrofreund Hermann eines Tages mit einer riesigen Quarzglasscheibe, 100x65 cm und 35 mm Dicke, angeschleppt kam. Er konnte sie mal so eben beruflich „entbehren“. Daraus wurden dann bei der Firma Dührsen in Breitenfelde drei Rohlinge von 11“, 14“ und 24“ per Wasserstrahl rausgeschnitten.
    Ein grobes Teleskopkonzept für den 24“er wurde festgelegt. Das Öffnungsverhältnis sollte etwa bei F4 bis 4.2 liegen. Ich wollte kein Lowriderdesign, da ich eine Abneigung habe mit dem Kopf schräg nach oben zu gucken. Außerdem wird irgendwann etwas aus einem nach unten geneigten Okularauszug fallen (Murphys / Manfreds Law).


    Das Flexen


    Als nächstes erfolgte das Einbringen des erforderlichen Krümmungsradius mittels Freihandflexen. Für mich ist das Bearbeiten einer Glasscheibe mit einer schweren 230 mm Flex (auch wenn ich es schon ein paar Mal erfolgreich gemacht habe) der absolute Horror. Da kann prinzipiell eine ganze Menge passieren: umstehende Autos werden beschädigt, der Hund vom Nachbarn wird perforiert, die schwarze Satinbettwäsche auf der Wäscheleine der Nachbarin ist auf einmal weiß, usw. Ganz nebenbei kann man auch noch den Rohling unrettbar zerstören. Wir rückten der Quarzscheibe zu dritt auf meiner Auffahrt zu Leibe: Axel am Wasserschlauch, Hermann musste die Scheibe drehen (der gefährlichste Job) und ich habe geflext. Schnell merkten wir, dass bei Quarzglass andere Regeln gelten. Es dauerte ungefähr 90 Minuten bis die erforderliche Krümmung drin war (Bei normalem optischen Glass braucht man bei dieser Größe ca. 40 Min). Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Der Rohling hatte nach der Aktion eine leicht hubbelige Oberflächenform mit wenig Riefen und sah schön rotationssymetrisch aus. Also alles im grünen Bereich. Es machte nichts, dass die Nachbarn komisch guckten...Nachfolgend wurde ein Fullsizetool aus handelsüblichem Baumarktgips herbestellt, mit Bootslack versiegelt und nach dem Trocknen mit 5x5 cm Fliesen beklebt.


    Der Grobschliff


    Ein paar Wochen später konnte der Grobschliff mit K 60 und MOT beginnen. Hier zeigte der Quarzblock dann seine Zähne. Extrem langsam und mit ganz viel Karboverbrauch ging es weiter. Nach ca. 20 Stunden und 9 kg K 60 war die erforderliche Anpassung erfolgt. Nachdem die letzte Riefe ausgeschliffen war, hatte der Rohling ein Öffnungsverhältnis von F3.9. Das waren ja schöne Aussichten für den Feinschliff und die nachfolgende Politur.


    Der Feinschliff


    Der Feinschliff verlief angenehm. Hier zeigte dann der Rohling einer freundlichen Seite. Pro Körnung benötigte ich fürs Ausschleifen, alles MOT, 90 Minuten (K 120, K 240, K 500 und 9 my Microgrit WCA/T). Ein vollkommen stressfreier Job.


    Die Politur


    Zur nachfolgenden Politur wurde die Schleifschale mit selbstklebenden Polierpads des Typs SYNTEX Std. V / weiß / 76 mm / 6-fach geschlitzt von Pieplow & Brandt beklebt. Als Poliermittel verwendete ich Ceri 3000.
    In der Vergangenheit hatte ich die Erfahrung gemacht, dass man mit diesen Polierpads den Spiegel um ca. 30% schneller auspoliert. Die Polierpads verursachen eine größere Mikrorauigkeit, die man sehr gut im Foucaulttest sehen kann. Man muss die Oberfläche anschließend noch mit Pech glätten.
    Nach einer kurzen ersten Runde zeigte sich, dass der Spiegel überall gut anpoliert war. Die Mitte glänzte etwas mehr als der Rand, aber das ist durchaus normal.
    Nachfolgend polierte ich mit dem Fullsizetool 10 Stunden MOT und dann noch einmal 6 Stunden TOT. Dann war der Spiegel perfekt und kratzerfrei auspoliert.
    Die Polieraktion war ein ziemlicher Kraftakt, der in Sportklamotten durchgeführt wurde.
    Der Foucaulttest zeigte dann eine halbwegs sphärische Form mit einer guten Kante. Astigmatismus war nicht erkennbar.


    Das Parabolisieren


    Fürs Parabolisieren fertigte ich mir drei Tools mit den Durchmessern 25, 20, und 10 cm an. Diese Tools wurden mit einer tropfenförmigen Pechhaut belegt (einfach Pech wohldosiert auf das Tool löffeln und sich nicht über entstehenden Pechsträhnen aufregen).
    Den Tipp für diese Art der Pechhaut habe ich vom leider verunglückten Werner Reimann bekommen. Der Vorteil ist, dass man sehr sparsam mit dem Pech umgehen kann und die Spiegeloberfläche weniger zu Mikrorauigkeiten neigt, da keine scharfen Kanten in das Glas flügen. Karsten Brockmann hat die Tropfentechnik noch etwas perfektioniert. Er löffelt die Pechtropfen vorher auf Backpapier und kann sie dann auf dem vorher mit Benzin eingeriebenen Tool genau plazieren.
    Die nachfolgende Parabolisierung entwickelte sich zu einer ausgesprochenen Geduldsprobe. Klassische Parabolisierungstriche mit dem 25 cm Tool zeigten kaum Wirkung. Da kamen wohl die Faktoren vom Material und Öffnungsverhältnis zusammen. Erst brutale Striche mit dem 20 cm Tool über die Mitte und anschließend ebenso brutale tangentiale Striche mit dem 25 cm Ding im Randbereich zeigten, dass etwas geht. Mit dem 10 cm Tool konnte ich ganz gut Fehler im unmittelbaren Randbereich wieder ausbügeln.
    Hätte ich als Testverfahren für die Parabel das klassische Zonenmessverfahren angewandt, würde ich wohl in der geschlossenen Psychiatrie sitzen.
    Meine Messstrecke führt aus dem Flur in das Wohnzimmer, wo der Foucaulttester auf einem stabilen Esstisch steht. Trotzdem werden Schwingungen durch den Laminatboden übertragen, so dass ein seriöses Ausmessen unmöglich wäre. Außerdem geht die klassische Zonenausmessung bei 24“ f3.9 aufgrund extrem kleiner Toleranzen sowieso nicht. Ich habe mich daher für den Ronchitest entschieden. Mit RonWin konnte ich mir eine Vorlage für eine perfekte Parabel ausdrucken und die Muster dann mit dem Gesehenen vergleichen. Natürlich ist ein Ronchitest nicht so genau, der Rest muss am Stern erfolgen.
    Es dauerte rund 30 Stunden bis ich mit der zuvor beschriebenen Strichführung in die Nähe der Parabel gelangte. Der Vergleich mit RonWin zeigte fast keinen Unterschied mehr, höchstens ein ganz leichter Hauch Unterkorrektur war an dem Linienmuster zu erahnen.



    First Light


    Am wohl einzigen klaren Abend Ende Januar konnte ich mit dem fast fertiggestellten Teleskop den ersten Sterntest machen. Der Test zeigte dann eine ausgeprägte gleichmäßige Unterkorrektur. Also Spiegel wieder rein, warmfönen, 30 Minuten parabolisieren, wieder raus, auskühlen lassen, Testen.
    Das Spielchen wiederholte sich fünfmal, dann war es zwei Uhr nachts (in der Woche) und die Parabel drin. Der Spiegel zeigte zum Schluss ein phasenweise knackscharfes Bild bei 580-facher Vergrößerung. Auf dem Mars waren mit unverspiegelter Optik viele Details sichtbar. Der Sterntest ergab, dass der Spiegel in der Mitte noch minimal unterkorrigiert ist (ein leicht vergrößerter Fangspiegelschatten intrafokal war auf den zweiten Blick zu erkennen), ansonsten blieb alles unauffällig. Auch Astigmatismus konnte ich nicht sehen. Bei dem Quarzglas gab es keine sichtbare thermische Veränderung.
    Zwischenzeitlich habe ich das Teleskop als klassischen Leichtbaudobson, komplett mit Blende und allem Pipapo fertig.
    Anfang nächster Woche soll ich den frisch beschichteten Spiegel von der Bergedorfer Sternwarte abholen können.
    Dann wird das Wetter auch wieder besser, da ist nämlich Vollmond.



  • Hi Rüdiger,
    beeindruckender Bericht! Ich bin wirklich mal auf Deine Erfahrungen mit dem belegten Spiegel gespannt dann (->wenn er grade in Bergedorf ist habe ich ihn heute sozusagen unwissentlich besucht, allerdings natürlich nicht gesehen [;)]).
    Ich habe jedenfalls grossen Respekt vor dem Spiegelschleifen und denjenigen die es derart beherrschen. Iiiirgendwann würd ich das selbst mal gerne probieren, aber in bescheidenerem Umfang.
    Viele Grüsse,
    DK

  • Hallo!


    Das ist ja mal wieder eine echt typische "Rüdiger-Aktion": da schneiden wir uns mal eben ein 24" Pizza aus einem Brocken Glas und schrubben daraus einen f/3,9 Spiegel. Wie man es von Dir gewohnt ist, sicher mit perfekter Parabel. Glückwunsch zur gelungenen Aktion ! Bin schon gespannt das neue Teleskop in echt bewundern zu können (ITV 2010?).


    Beste Grüße
    Frank

  • Hallo Dominik, Frank und Reiner,


    bin auch gespannt was der Spiegel zeigt wenn er belegt ist. Da sieht man in der Regel die Fehler etwas ausgeprägter.
    Zum ITV fahren wir auf alle Fälle und machen dort eine Woche Urlaub.
    "Schwerer Rückfall". Ich bin jetzt geheilt, so etwas Großes und aus dem Material mache ich nie nie wieder. Grobschliff und Parabolisieren waren "obergrausam". Der Spiegel ging mit so auf den Geist, dass ich zeitweise einen richtigen Hass auf die ganze Spiegelschleiferei hatte. Aber jetzt ist wieder alles gut.

  • Hallo Rüdiger,
    noch viel besser, als ich von Deinen Erzählungen beim Schleifkurs erwartet hatte. Und ich mache immer noch an meinem 12-Zöller-Spiegel rum - bin aber auf der Zielgeraden. Herzlichen Glückwunsch zu diesem tollen Teleskop, bis bald
    Carsten Brockhoff

  • Hallo Rüdiger,


    Hut ab vor soviel Courage. F unter 4 schleifen ist eine Herausforderung, Hut ab vor Deinem Ergebnis!
    Schau mal unten - das ist Dein alter 24er mit nunmehr einem F 3,3 - die passen zusammen wie Zwillingsbrüder.
    Der erste hatte hier vor wenigen Jahren noch manche vor mir inspiriert (séance Nostalgie) - siehe hier: http://www.astrosurf.com/ubb/Forum2/HTML/017119.html



    Gruß Rolf

  • Hi Rüdiger,


    ich war schon länger nicht mehr in diesem Forum. Was ich hier von Dir lese haut mich fast um. Meinen tiefsten Respekt! Ich kann gut nachvollziehen, dass man zwischenzeitlich richtiggehende Hassgefühle zu einem Spiegel entwickeln kann.
    Da hast Du - wieder einmal - riesige Geduld, Durchsetzungs- und Leidensfähigkeit bewiesen. So einen Spiegel anzugehen - da braucht es fast schon eine gewisse masochistische Ader[;)]


    Ich wünsche viel Spass mit der 'Scherbe'


    Viele Grüße


    Achim

  • Hallo Rüdiger,
    <blockquote id="quote"><font size="1" face="Verdana, Arial, Helvetica" id="quote">Zitat:<hr height="1" noshade id="quote">...Also Spiegel wieder rein, warmfönen, 30 Minuten parabolisieren, wieder raus, auskühlen lassen, Testen.<hr height="1" noshade id="quote"></blockquote id="quote"></font id="quote">
    Das ist die hohe Schule - parabolisieren am Stern! Respekt!!
    Also so ein 24" in Quarz hat irgendwas ultimatives. Meinen herzlichen Glückwunsch zu diesem feinen Stück.


    cs Kai

  • Hallo Achim, Hallo Kai,
    vielen Dank für den Zuspruch. Die Spiegel ist seit einigen Wochen aluminisiert und hat in dieser Zeit schon einiges an Licht gesammelt. Anfänglich machte sich ab und zu ein leichter Asti breit, der aber nach einer Modifikation an der Hauptspiegelzelle nahezu verschwunden ist. In der norddeutschen Sommerpause werde ich wohl der Radiallagerung Wippen verpassen, um das Ganze noch astisicherer zumachen. Aber mit Optik bin ich sehr zufrieden. Eine der spektakulärsten Beobachungen in Bezug auf die Auflösung war wohl die durchgehenden Sichtung der Alpenrille im Binoansatz mit 290-fach. Im Nachbarkrater Plato waren locker 5 Kleinstkrater wie ausgestanzt zu erkennen. Endlich habe ich auch einen 24"er, der leicht zu transportieren ist. Denn gegenüber meinem alten 24"er ist die Spiegelbox mit knapp 30 kg geradezu ein Leichtgewicht.

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