Tagesablauf eines Astrophysikers

  • Hallo zusammen,


    ich bin gerade beim Abitur und nun dabei, meinen künftigen Weg zu planen. Ich interessiere mich für das Weltall und die Entstehung und Entwicklung des Weltalls. Daher habe ich mir überlegt, dass ein Studium in der Astrophysik das richtige für mich sein könnte. Um sicher zu sein wollte ich hier einmal nach dem Tagesablauf und den üblichen Tätigkeiten einey Astrophysikers fragen.
    Danke für jeden Tipp. [:)]


    Viele Grüße,
    abcd1998


    <font color="limegreen">Aus dem Einsteigerforum verschoben von Caro</font id="limegreen">

  • Moin,


    zunächst: Astrophysik ist "Physik".


    Die Tätigkeit sieht etwa so aus:
    morgens: Am Rechner sitzen
    mittags: Am Rechner sitzen
    abends: Am Rechner sitzen


    Faktisch geht es um das Auswerten/Simulieren von riesigen Datenbeständen, also sehr viel Umgang mit statistischen und mathematischen Modellen mit spezieller Software am Rechner bzw. per Netzzugriff auf anderen Rechnern mit der nötigen Power. Dazu kommt das Lesen der durchweg (im Grunde fast ausnahmslose) in Englisch abgefassten wissentschaftlichen Artikel der "Kollegen" aus aller Welt. Gleiches gilt für das eigene Abfassen von wissenschaftlichen Beiträgen.


    Aufgefrischt wird der Alltag durch diverse Meetings, Kongressteilnahmen etc. Die Ausnahme bleibt ein Besuch eines Großteleskops. Wahrscheinlicher ist eher, dass man im Vorfeld bei der Planung/Bau/Verbesserung eines der Instrumente die Technikabteilung wissenschaftlich begleitet.


    An den Universitäten kommt noch der Lehrbereich hinzu, wo wissenschaftliche Mitarbeiter regelmäßig die Alltagsarbeit bewerkstelligen: Seminare abhalten, Klausuren/Seminar-/Übungsarbeiten Korrektur lesen, Studenten betreuen.


    Der Rest ist Dreingabe.

  • Bin zwar kein Astrophysiker, fühle mich aber trotzdem bemüßigt, etwas dazu zu sagen.


    Vorne Weg: Du kannst in Deutschland kein Astrophysiker oder Astronom werden. Das geht alles über ein Studium der Physik. Der Beruf ist dann "Physiker/in". Das heißt folgendes: Du musst durch eine mindestens 5 jährige am Anfang (eigentlich der ganze Bachelor durch) sehr harte Schule.
    Das fängt im ersten Semeseter mit Mathe an, was dich nie wieder los lässt. In der Experimentalphysik kann man das später auf ein erträgliches Maß runterschrauben, aber man muss sich damit auseinandersetzen und den Durchaltewillen haben.


    Zum Studium gibts hier schon eine Menge, vielleicht sind deine Fragen auch schon in dieversen Threads beantwortet, einfach mal die Forensuche bemühen.
    Die Kurzfassung:
    Es geht los mit Mathe, Mathe, Mathe ( wie es an den einzelnen Unis heißt, ist mehr oder weniger egal, überall kriegt man die Grundlagen der Analysis und linearen Algebra reingeprügelt, meist noch ein extra Fach mit Schwerpunkt auf Differentialgleichungen), ein bisschen Exphysik und an mancher Uni ein Praktikum, bei dem man Versuche durchführt und protokolliert.
    Die nächste Stufe ist dann die klassiche theoretische Physik: theoretische Mechanik und Elektrodynamik, nebenbei geht Mahte meist weiter, ich hatte in Jena dazu noch Computational Physics (grundlagen der numerischen Simulation). Danach gehts dann mit Quantenmechanik weiter und es kommt Thermodynamik/statistische Physik dazu, sowie ein komplizierteres Uni-Praktikum. Das so im groben, Standortspezifisch kommen noch andere Fächer dazu.


    Zu all dem Kram musst du bereit und fähig sein. Dir muss klar sein, dass Physik(studieren), egal welche Spezialisierungsrichtung, kein 40h-Job mit festen Arbeitszeiten ist. Bis auf ganz wenige geniale Ausnahmen gerät an sich jeder Physikstudent am Anfang hin und wieder mal in "Panik", sitzt regelmäßig bis in die frühen Morgenstunden an Übungsaufgaben und macht in der Prüfungszeit außer atmen, essen und schlafen nichts anderes.


    Tja, das ist die unbequeme Wahrheit, darüber hinaus ist es ein tolles Studium, du lernst unglaublich viele interessante Sachen, bei manch einer Übaungsaufgabe saß ich sogar freiwillig bis 2 dran, um es doch noch zu schaffen.
    Die meisten Leute sind in Ordnung und die Fakultäten sind nicht überlaufen wie bei anderen Fächern. Arbeitsmarkttechnisch ist es auch ein Beruf, der Zukunft hat.

  • Also, mein Tagesablauf. Der beginnt, wann immer ich so ganz ohne Wecker gerade wach werde. Feste Arbeitszeiten mit Stechuhr hat man als Astrophysiker nämlich nicht. Ich bin von Natur aus immer relativ früh wach, ich hatte aber beispielsweise früher einen Kollegen, der war nicht vor 11 Uhr im Büro, einfach weil er halt einen anderen Tagesrhythmus hatte als meinereiner. Man kann nicht nur kommen sondern auch gehen wann man will, und er blieb normalerweise länger als ich. Ich kann auch ziemlich spontan entscheiden, morgen einfach mal Urlaub zu nehmen und in die Berge zum Wandern fahren, weil die Wetterprognose sagt, daß die Gelegenheit günstig ist. Das zeigt einem schon, als Wissenschaftler hat man gewisse Freiheiten, die man in einer Firma nicht hätte. Das ist auch gut so, denn in diesem Beruf kommt viel darauf an, gute Ideen zu haben, und die fallen bekanntlich nicht vom Himmel, gerade wenn man nur stur seine Zeit vor dem Computer absitzt.


    Mit dieser Freiheit geht aber auch Verantwortung einher, denn wer wegen der freien Zeiteinteilung einfach gar nichts mehr macht, der schafft auch nichts. Das wiederum merken nicht nur die Kollegen und der Arbeitsgruppenleiter, es fällt auch schlicht und ergreifend auf, wenn man sich um den nächsten Job bewirbt und nichts vorweisen kann. Die Karriere eines Wissenschaftlers beginnt nämlich traditionell mit einer Art Wanderzeit. Nach dem Studium - wie schon erwähnt Physik mit Regelstudienzeit für Bachelor und Master zusammen 5 Jahre - folgt die Doktorarbeit, da darf man nochmal 3 plus x Jahre rechnen. Spätestens danach sollte man das Nest der Uni, an der man das Studium begonnen hat, verlassen und in die weite Welt hinaus. Als sogenannter Postdoc ist es das Ziel, andere Arbeitsgebiete und neue Kollegen kennenzulernen, mit denen man zusammenarbeitet, um seinen Horizont zu erweitern. Man wechselt dazu mehrfach alle 1-3 Jahre das Forschungsinstitut. Erst wenn man in dieser Hinsicht einiges an Erfahrung gesammelt hat, kann man sich sinnvoll Gedanken darüber machen, sich auf feste, unbefristete Stellen zu bewerben.


    Aber zurück zum Tagesablauf. Um es bei der Gelegenheit klar zu sagen: Schöne Bildchen mit dem Teleskop machen, so wie es Astrofotografen als Hobby betreiben, ist nicht das Ziel. Tatsächlich ist das Arbeitsgerät der allermeisten Astrophysiker in erster Linie der Computer und nicht das Teleskop. Je nach Neigung hat man mit letzterem mal mehr, mal weniger oder sogar gar nicht zu tun. Wer mehr beobachterisch tätig ist, wird viel Zeit mit der Auswertung von Daten verbringen, deutlich mehr als es gedauert hat, sie am Teleskop aufzunehmen. Wer eher theoretisch arbeitet, befaßt sich mit der Konzeptionierung von Simulationen und gegebenenfalls mit der Anpassung von Modellen an Meßdaten. In beiden Fällen braucht es nicht nur das Studium, um wirklich zu verstehen, was man da eigentlich beobachtet hat oder simuliert, sondern auch solide Programmierkenntnisse, denn die Software, die man für das was man tun möchte braucht, die gibt es oft noch nicht oder man muß eine vorhandene Software auf seine Bedürfnisse anpassen. Die Kunst des Programmierens lernt man üblicherweise ganz automatisch nebenbei.


    Nun habe ich irgendwann mal Ergebnisse - dieses Irgendwann kann schnell gehen (und schnell hieße dann wenige Tage am Stück) oder aber auch Monate dauern, in jedem Fall muß man sich von den typischen Zeitskalen trennen, die an der Schule für das Bearbeiten einer Aufgabe üblich sind: Wer sich maximal eine halbe Stunde auf ein und dieselbe Sache konzentrieren kann, der hat ein Problem. Manchmal läuft es auch nicht gut, und egal wie sehr man sich angestrengt hat, stellt sich heraus, daß das was man da machen wollte einfach nicht funktioniert oder sonstwie schiefgelaufen ist. Dann heißt es von vorne anfangen, neue Ideen haben. Hartnäckigkeit ist also gefragt, oft über Wochen und Monate, manchmal sogar Jahre hinweg.


    Ergebnisse jedenfalls, die will man nicht für sich behalten, sondern in der Fachwelt bekannt machen. Dazu gibt es zwei Wege. Der erste wäre, auf eine Konferenz irgendwohin zu fahren (Konferenzen sind über die ganze Welt verstreut, so da man von eben dieser in seiner Laufbahn einiges zu sehen bekommt. Aktuell sehr empfehlenswert: das General Assembly der Internationalen Astronomischen Union auf Hawaii [;)]) und das ganze dort in einem Vortrag oder auf einem Poster zu präsentieren. Kritische Rückfragen sind an der Tagesordnung, aber auch Verbesserungsvorschläge bekommt man von den Kollegen aus aller Welt, so daß man das ganze bei Bedarf nochmal überarbeiten kann. Die zweite Variante ist, einen Fachartikel darüber zu schreiben. Fachartikel heißt, für ein Publikum aus dem selben Fachgebiet wie man selber, also keinen populärwissenschaftlichen Text, sondern einen "richtigen" Artikel in dem man haargenau beschreibt, was man gemacht hat, was rausgekommen ist und auch welche Probleme es dabei gab. Das sind dann üblicherweise so 10-20 Seiten Text, Schriftgröße 10, mit Formeln, Tabellen, Grafiken, ganz selten mal ein Bild. Und alles auf Englisch natürlich, der Sprache, die auch die Alltagssprache am heimischen Forschungsinstitut mit den Kollegen ist, die ja aus aller Welt sind.


    Aus Kontakten, die man auf Konferenzen geknüpft hat, oder weil einen jemand anschreibt, der nach Lektüre des letzten Fachartikels, den man geschrieben hat, feststellt, daß man sich mit ganz ähnlichen Dingen beschäftigt, so daß es sich anbietet zusammenzuarbeiten, ergeben sich dann die Ideen für das nächste Projekt, das man genauso anpackt. Da will auch einiges organisiert werden: Wer macht welchen Teil einer Gemeinschaftsarbeit, wer arbeitet die Anmerkungen des Gutachters des letzten Fachartikels ein? Was folgt, ist klassischer Emailaustausch und Skype-Konferenzen mit dem Kollegen am anderen Ende der Welt, bis sich alle einig sind.


    Was solltest du also mitbringen als angehender Astrophysiker? Grundsätzliches Interesse an der Astrophysik (hast du), mathematisches Grundverständnis (Mathe an der Uni ist zäh - bei jonny klingts noch ganz akut durch [;)], überlebt man aber alles), Teamfähigkeit und Fremdsprachen (zumindest Englisch)kenntnisse und keine Angst vor dem Computer und seinen tiefergehenden Funktionen. Selbständig arbeiten ohne daß dir andauernd jemand auf die Finger schaut solltest du können, und außerdem bereit sein auf Reichtümer zu verzichten. Wer nämlich als fertig studierter oder promovierter Physiker (auch nach einer Spezialisierung in der Astrophysik) in die Wirtschaft wechselt, verdient oft ein Vielfaches mehr. Dafür gibt man dann aber auch viele der Privilegien des Wissenschaftlerdaseins auf.


    Viele Grüße
    Caro

  • Dann geb ich auch mal meinen Senf dazu...
    Ich habe eine der mehr oder weniger praktischen Doktorantenstellen bei der ich von Zeit zu Zeit auch noch nachts am Teleskop stehen darf um Aufnahmen für Lichtkurven zu machen.
    Aber die meiste Zeit ist wirklich reine PC Arbeit. Morgens an die Sternwarte fahren, Mails checken und da weiter machen wo man am Tag zuvor aufgehört hat. Mittags dann nen kurzen Happen essen gehen und weiter gehts. Zwischendurch wird mal die Wettervorhersage überprüft um zu schauen ob abends beobachtungstechnisch was gehen könnte. Falls ja muss man sich eine Liste möglicher Ziele erstellen und die passenden Aufsucherkarten ausdrucken. Während die Aufnamen laufen vertreibe ich mir die Zeit meistens mit lesen oder dem Schauen von Youtube Videos. Produktives Arbeiten ist um zwei Uhr nachs eher schwierig.
    Die Datenanalyse ist in meinem Fall recht einfach da ich mir hierfür ein automatisiertes Programm geschrieben habe das die fertigen Lichtkurven ausspuckt. Vor meiner Masterarbeit hatte ich keinerlei Programmierkenntnise. Ich habe aber dann schnell gelernt dass man sich das Leben damit doch ziemlich erleichtern kann. (Für den Einstieg würde ich Python empfehlen).
    Und irgendwann kommt man dann auch mal nach Hause um sich ne Mütze Schlaf zu gönnen...
    Grüße, Markus

  • ..bei Studienanfänger ist das Interesse an Astrophysik als Teilgebiet der Physik riesengroß, ein sehr großer Teil der Physikstudenten wählt dort wo es möglich ist Astrophysik im Grundstudium als Wahlfach. Doch nur ein ganz kleiner Teil arbeitet später als Astrophysiker als 'Lebensberuf'. Die Forschung in der Physik und auch in der Astrophysik fußt ganz wesentlich auf der Arbeit von Nachwuchswissenschaftlern wie z.B. Doktoranden auf befristeten Stellen, nur die Gruppenleiter, die häufig auch Professoren an einer Uni sind 'sitzen fest im Sattel'. Die sitzen auch viel vor dem Computer, ein großer Teil der Arbeit besteht darin Forschungsgelder für den Nachwuchs einzuwerben, Vorlesungen und Vorträge zu halten, und alles was zum Management auch in anderen Bereichen gehört. Ein wichtiger, spannender und auch anstrengender Teil der Arbeit besteht hier darin die interessanten Themen auszuwählen, so dass Forschungsgelder bewilligt werden. Auch wenn sehr viel gerechnet (Simulationen) wird tritt Mathematik, die im Physikstudium eine zentrale Rolle spielt, tritt von Ausnahmen abgesehen etwas in den Hintergrund.


    Vom Beginn des Physikstudiums bis zum Master oder Ende der Doktorarbeit hat man genügend Zeit zu sehen, ob man diesen Weg gehen möchte (und kann, die Dauerstellen sind heißbegehrt und rar) oder in einem anderer Bereich der Physik landet, der auch sehr interessant sein kann und der einem ein breiteres Angebot zu Arbeiten eröffnet.



    Beste Grüße


    Thomas

  • Hallo Thomas,


    dem kann ich nur zustimmen, mir ging es genau so. Ich habe hauptsächlich wegen meines Interesses an Astronomie angefangen Physik zu studieren. "Unterwegs" habe ich aber dann gemerkt, dass es thematisch nicht das ist, was ich mir vorstellen konnte, den Rest meines Lebens zu machen und auch arbeitsmarkttechnisch nicht unbedingt das ist, was ich mir wünsche.
    Jetzt bin ich in der experimentellen Festkörperphysik gelandet, hätte ich zu Anfang nicht vermutet, im Moment bin ich sehr glücklich damit, neben den Datenverarbeitungsaufgaben auch mal den Lötkolben in der Hand zu haben, die Vakuumanlagen zu bedienen oder in den Reinraum zu gehen.

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