(22) Den Strehl verbogen!

  • Den Strehl verbogen!


    Kräftig verbogen hat der Experimentator heute einen 99% Strehl Spiegel aus Pyrex,
    als er diesen in nur 5 Minuten mit einer Wärme-Matte aus der Aquaristik rückseitig von18.7
    auf 21.8 Grad Celsius hochheizte und dabei die Verformung seiner Interferenz-Streifen
    protokollierte. Die ersten beiden Bilder zeigen einen temperierten Spiegel, das 3. Bild
    einen kräftig überkorrigierten Spiegel, als nach 5 Minuten die Spiegel-Rückseite auf
    21.8 Grad hochgeheizt und davon bis zur Vorderseite 20.8 Grad durchgedrungen waren.


    Die Temperatur-Differenz zwischen Rückseite und Vorderseite eines Spiegel, also der
    Fall, daß die Rückseite eines Spiegel durch fallende Temperaturen zu Beginn einer
    Nacht wärmer ist also die beschichtete Vorderseite, führt zu einer kräftigen Verformung
    der Parabel-Oberfläche in die optisch schlechtere Hyperbel. Generationen von Spiegel-
    schleifer wissen das und figurieren deshalb ihre Parabel zwischen 90% und 95%, damit
    der Spiegel am Himmel in dieser Situation die richtige Form hat. Oder aber man kühlt
    den Spiegel auf die vermutliche Nachttemperatur herunter.


    Im Labor wird dieser Fall dadurch simuliert, daß man den zunächst durchtemperierten
    Spiegel mit einer 18 x 18 cm Wärme-Matten( vom Dehner GartenCenter für den Heimtier-
    bedarf) auf der Rückseite zartfühlend um ca. 3 Grad aufheizt. Nach Beendigung der Ver-
    suchsreihe kann man ja dann die Wärme-Matte dem Schmusetier zurückgeben.


    Alle Interferogramme wurden mit einem grünen Laser bei 532 nm hergestellt und zeigen,
    wie aus einen perfekten Spiegel eine "Gurke" werden kann und umgekehrt, solange es
    sich nur um die Parabel-Korrektur handelt, der Spiegel selbst aber weiter keine gravie-
    renden Fehler hat. Damit ist zugleich klar, wie sensibel selbst Pyrex noch auf Temperatur-
    veränderungen/Differenzen reagiert.


    Bild 01.



    Der Spiegel vor der Behandlung: Das erste I_Gramm wurde vor einiger Zeit erstellt,
    (meine eigenen Spiegel messe ich über Jahre immer wieder durch), das zweite zu Beginn
    des Versuchs.


    Bild 02.



    Bild 03



    Mit diesen Werten sollten an den Planeten demnächst keine Wünsche mehr
    übrig bleiben, solange das Seeing und der Temperatur-Einfluß mitspielt. Um störende
    Koma auszuschalten, die über den Testaufbau eingeführt wird, habe ich nur die mittleren
    vier Streifen ausgewertet. An ihnen sieht man die Deformation ohnehin besonders gut.


    Bild 04



    Die kräftige Durchbiegung der Mitte wurde bereits fokussiert, wie das auch am Himmel
    jeder Sternfreund tut, sonst würde die Abweichung noch stärker ausfallen. Es entsteht
    ein Interferogramm, das alle Merkmale eines überkorrigierten Spiegels zeigt. Zum Vergleich
    darf ich auf den 19. Bericht verweisen, der in Bild 10 das Beispiel eines unterkorrigierten
    Spiegels zeigt und in Bild 9 die Parabel aus dem Krümmungs-Mittelpunkt, die prinzipiell
    die Überkorrektur einer Sphäre darstellt. Durch die Fokussierung des Interferogrammes
    entsteht die typische Wellenform des Parabel-Interferogramms mit dem Maximum bei
    0.707 vom Durchmesser, wenn Rand-Mitte-Rand auf einer Linie liegen, die durch die Mitte
    geht.


    Bild 05



    Sollte jedoch eine Temperatur-Differenz die perfekte Vorderseite in die Hyperbel
    "hineinziehen", was über den Testaufbau gemacht wurde, wird aus dem Luxus-Teil
    unversehens eine Gurke und der Strehl geht um 34% "in den Keller" ! Spätestens jetzt
    müßte klar sein, wie wichtig die Kenntnis der genauen Parabel eines Newton-Besitzers
    ist. Dann könnte er durch Belüftung oder Isolierung korrigierend sein System eingreifen.
    Karl-Ludwig Bath, Erfinder des gleichnamigen Bath-Interferometeres, hatte in seiner
    von mir 1985 gebauten AstroKamera 250/1000 mit zwei hyperbolischen Flächen zwei
    Temperatur-Meßfühler, mit denen er sehr sorgfältig die Temnperatur kontrollierte. Bei
    einer Differenz von nur 2 Grad Celsius zwischen innerem Tubus und Spiegel-Rückseite
    beendete er regelmäßig seine Arbeit, weil er genau wußte, was passieren würde.


    1.Fazit: Bezogen auf die Tabelle des 19. Berichtes wäre für diesen
    Temperatur-Fall eine Unterkorrektur von 90% das Richtige.(Bild 11)



    2.Fazit: Sollte der Optik-Tester im Labor immer einen Föhn in Reichweite haben, oder
    ein Metall-Teil aus der Gefrier-Truhe, mit dem er die Rückseite eines über- bzw. unter-
    korrigierten Spiegels strehl-seitig hinauf- bzw. herunterschraubt, auf daß nur noch
    die Regelmäßigkeit, die abgesunkenen Kanten, die Zonen und die Flächenrauhheit
    in das Meßergebniss eingingen? Schauderbar, wenn ich bloß daran denke, obgleich
    man mit einer Kompensations-Test-Anordnung in ähnlicher Weise vorgehen könnte.
    Trotzdem sollten Spiegel-Besitzer bei kräftig unterkorrigierten Spiegeln diesen auf der
    Rückseite eher isolieren und exakt figurierte Spiegel auf der Rückseite kräftig belüften,
    damit aus dem sorgfältig ausgehandelten Top-Spiegel in der Praxis nicht unversehens
    eine "Gurke" wird. Aber nicht nur Spiegel haben ein Temperatur-Problem !


    Wolfgang Rohr

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