Hallo Alle,
in letzter Zeit kam ja immer wieder mal das Thema "Carbon - gutes Tubusmaterial oder nicht?" aufs Tablett. Ich will hier mal die Fakten zusammenfassen:
Carbon hat einen erheblich niedrigeren spezifischen E-Modul als Metall. Insbesondere mit Sandwichkonstruktionen sind sehr leichte und trotzdem steife Tuben möglich. Metall ist da klar im Nachteil, Sandwich mit Metall ist für Tuben nicht erhältlich (nur Plattenmaterial AluCore)
Carbon hat eine erheblich geringere thermische Längenausdehnung als Metall (außer Invar). Je nach Faser und Faserwinkel liegt das bei einem Zehntel von Alu, oder darunter. Bei einem Gerät mit 1000mm Brennweite liegt die Ausdehnung damit in einer Nacht mit 10Grad Temperaturdifferenz bei maximal 2-3 hundertstel mm. Das ist in der Größenordnung der spezifizierten mechanischen Genauigkeit von Kameras, und damit vernachlässigbar. Carbon besitzt als inhomogener Werkstoff eine erheblich bessere Schwingungsdämpfung als Metall.
Was heißt das für den Teleskopbau?
Spiegelsysteme: Carbon ist klar im Vorteil, und wird immer mehr eingesetzt. Die Temperaturveränderung ändert auch die Brennweite des Spiegelsystems. Das ist aber in der gleichen (kleinen) Größenordnung wie die Veränderungen im Tubus, und auch vernachlässigbar.
Refraktoren: Hier gilt im Prinzip das gleiche wie für das Spiegelsystem, wenn wir Steifigkeit und Gewicht betrachten. Für visuellen Gebrauch interessiert uns die Fokusdrift nicht. Für Langzeit-Astrofotografie stellen wir einen Fokusdrift fest, der nicht alleine mit der thermischen Längenausdehnung wie bei den Spiegelsystemen zu tun hat. Durch die Temperaturabhängigkeit der Brechungsindizes der Gläser findet eine erheblich größere Fokusdrift statt, was einem Material mit größerer thermischer Längenausdehnung entgegenkommt. Das Problem ist aber, daß die Fokusdrift so groß ist, daß auch die Verwendung eines Metalls als Tubusmaterial die Fokusverlagerung nicht kompensieren kann. Der Einsatz eines kompensierenden Fokussierers ist also notwendig.
Damit hat Carbon also bei drei Varianten uneingeschränkt die Nase vorn: Spiegel visuell, Spiegel fotografisch, Refraktor visuell. In der Anwendung Refraktor fotografisch ist der Nachteil in der Längenausdehnung rein akademisch, weil sowieso eine Driftkompensation stattfinden muß.
Ich will hier jettz bitte KEINE Schlammschlacht lostreten. Also bitte nicht diskutieren, warum in den Foren Neuheiten grundsätzlich erst mal schlechtgeredet werden, oder keine Spekulationen, ob die Diskussion anders gelaufen wäre, hätten bekannte Edelhersteller als Erste auf das Material gesetzt. Es geht nur um die Klärung der technischen Frage: was sind mögliche Vorteile von Metalltuben bzw. Carbontuben.
Clear skies
Tassilo
P.S. die Frage, ob die bessere Isolationswirkung eines (besonders bei Sandwichkonstruktion) Verbundfasertubus von Nachteil oder von Vorteil ist, habe ich ausgespart. Ich halte das für vorgeschoben, weil ja von den gleichen Leuten, die das jetzt als Vorteil anpreisen seit Jahren Krüpax-Rohre im APO-Bau verwendet werden, die ebenfalls gut isolieren.